Arbeiten von überall Gebt mir ein Büro!

Probleme im Strand-Office: Kann er wirklich bei dem Gegenlicht die Schrift lesen?
Foto: CorbisIch gehöre zur Top-Zielgruppe der Heimarbeiter: Mütter. Überall wird propagiert, wie toll es für uns sein muss, von zu Hause zu arbeiten und so Schreibtisch und Bügelbrett wunderbar zu vereinbaren. Also eigentlich ein Grund zur Freude, dass bei Microsoft das Büro jetzt überall ist. Denn bei dem IT-Unternehmen haben Betriebsrat und Geschäftsführung eine Betriebsvereinbarung unterzeichnet, die den sogenannten Vertrauensarbeitsort nun arbeitsrechtlich garantiert. Jeder kann dort also ab sofort arbeiten, von wo er will - nicht nur wann er will (die stechuhrbefreite Vertrauensarbeitszeit gilt schon länger).
Das Ganze ist natürlich große Klasse. Die Unternehmen sparen viel Geld für Miete und Konferenzkekse. Man selbst spart sich künftig den Weg zur Arbeit, muss keine niesenden Menschen in der U-Bahn ertragen, keinen Stau, allein die CO2-Ersparnis macht glücklich. Fernbeziehungen verlieren den Sonntagabend-Blues. Das tageslichtfreie Großraumbüro steht im Sommer gänzlich leer, wer will, sitzt draußen im Café und führt von dort die Geschäfte oder macht Mail vom Beckenrand. Geht's noch besser?

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Ich hab das neulich übrigens mal probiert, mich zum Arbeiten in die Sonne gesetzt. Ich konnte nichts lesen auf meinem Bildschirm. Habe mich umgesetzt. Sonnenbrille rauf, runter, selbst im Schatten: ganz schwierig. Also erstmal die Ausdrucke durchgearbeitet. Stift ging nicht. Neuen geholt. Textmarker vergessen. Dann kam Wind auf, alles runtergeflogen und durcheinander. Schließlich fing der Nachbar an, seinen Rasen zu mähen.
Ich ging rein und leerte die Spülmaschine.
Später am Nachmittag holte ich die Kinder aus der Kita, wir gingen auf den Spielplatz, sie tobten auf dem Karussell, ich saß auf der Bank (im Schatten) und las E-Mails. Perfekte Idylle für etwa sieben Minuten. Dann schrie ein Kind. Es lag vor dem Karussell im Sand. Es war nicht meins. Ich arbeitete weiter. Dann schrie eine Mutter. Sie meinte mich. Angeblich hätten meine Kinder ihres vom Karussell geschubst. Und ich sei an allem schuld. Es folgten unschöne Szenen. Und ich hatte ein schlechtes Gewissen: Gegenüber meinen Kindern, der im Sand liegenden Drama-Queen, meinen E-Mails.
Jetzt verrate ich mal ein ganz dunkles Geheimnis, das viele Eltern teilen und das wir uns nach dem sechsten Monat Elternzeit und dem dritten Bier zuraunen: Wir freuen uns aufs Büro. Erst recht, seit wir Eltern sind. Wir sehnen uns geradezu nach dem sauberen Schreibtisch, dem aufgeräumten Flur. Nach den Kollegen, nach Gesprächen auf Augenhöhe, dem mit ungesundem Naschwerk gut ausgestatteten Büro der freundlichen Teamassistenz. Wir lieben den Gedanken, dass uns jemand Mittagessen kocht. Wir genießen Ruhe: Wie man in dem Geschrei zu Hause arbeiten soll, ist mir bis heute ein Rätsel. Home-Office wäre bestenfalls möglich gewesen, bevor die Kinder da waren.
Wohin mit dem Workaholic?
Uns beschleicht eine gewisse Unruhe bei Wörtern wie Vertrauensarbeitsort, und mit uns meine ich nicht nur uns Eltern, sondern auch die Freunde üppiger Schreibtischdeko und haushoher Zimmerpflanzen in schweinetroggroßen Seramis-Kübeln, die dafür in ihrem Ein-Zimmer-Apartment echt keinen Platz haben. Auch der gepflegte Workaholic hat sich uns angeschlossen, er kriegt einen Lagerkoller, wenn er mehr als 60 Wochenstunden in den eigenen vier Wänden verbringt und dabei erstmals die Putzfrau kennenlernt. Wir sehen sie kommen, die Gefahr, die droht, wenn alles nach draußen verlagert wird, in die virtuelle Cloud und ins echte Leben.
Wenn das eigene Klo nun offiziell ein Arbeitsplatz ist, wird das Büro, unser letzter Rückzugsort, zum Luxusgut. Doch wir sorgen vor: Wir legen täglich etwas zurück, für die Zeit, da unsere Firma Eintrittsgeld an der Bürotür verlangt.
Bei Microsoft wird ebenfalls gut vorbereitet: Coachings von Mitarbeitern und Führungskräften "helfen beim Übergang und klären offene Fragen: Wie kommuniziere ich aus dem Home-Office heraus mit meinen Kollegen?" Tja, liebe IT-Spezialisten, das wird eine Herausforderung. Wir hätten da mal einen Vorschlag, sozusagen als Regel Nummer eins: Im stillen Vertrauensarbeitsörtchen rechtzeitig die Stummtaste drücken.

Helene Endres ist Redakteurin beim manager magazin.