
Tech-Talente im Farbrausch: Hawaiihemd für die Füße
Modetrend der Techies Komm raus, du schrille Socke
Es ist an der Zeit, einem Kleidungsstück etwas Aufmerksamkeit zu schenken, das gewöhnlich völlig zu Unrecht vernachlässigt wird: der Herrensocke. Warm halten soll sie, fest genug sitzen, ohne einzuschneiden, und ihren Träger nicht in Verlegenheit bringen. Solche Herausforderungen des Büroalltags bewältigt auch eine Durchschnittssocke ohne Mühe.
Sie kann aber noch mehr. Zum Beispiel Blicke auf stramme Männerwaden lenken. Das behauptet zumindest Matt Graves, 37, Pressesprecher von Twitter. Er schwört auf blaue und orangefarbene Streifen - und liegt damit im Silicon Valley genau im Trend.
Wo die IT-Branche Unternehmensklumpen bildet, regiert ein ganz eigener Dresscode. Die New Economy wollte sich stets auch äußerlich von der Old Economy absetzen, durch betonte Nonchalance und Distanz zu konservativen Business-Outfits. Im "Silly Valley" sind Jeans, Kapuzenpulli oder Flip-Flops die nonkonformistische Informatiker-Uniform. Wie soll man denn da noch auffallen?
"Erkennungszeichen wie bei einer Gang"
Na, durch schrille Socken als Ausdruck der eigenen Persönlichkeit, schreibt die "New York Times" und zitiert Hunter Walker, 38, Produktmanager von YouTube: "Ich war in Meetings, da haben Leute meine Socken gesehen, genickt und ihr Hosenbein gelüftet, um ihre zu zeigen - das ist wie ein Erkennungszeichen, fast wie bei einer Gang."
Von der neuen Vorliebe der Techies profitiert vor allem eine Firma aus Schweden: Happy Socks heißt sie und hat ihren Sockenverkauf in den USA im Vergleich zum Vorjahr um 104 Prozent gesteigert. Gegründet wurde Happy Socks 2009 von Viktor Tell und Mikael Söderlindh. Der Grafikdesigner und der Werbefachmann haben sich spezialisiert auf Modelle in außergewöhnlichen Farben und Mustern. Da gibt es Socken im Hawaiihemd-Style, im Zebra-Look, mit bunten Kreisen, Karos und Streifen, ab acht Euro aufwärts.
In Kalifornien seien vor allem quietschbunte "Argyles" gefragt, Socken mit Rautenmustern, sagt Söderlindh. Insgesamt 23.000 Paare hat seine Firma in den USA in den vergangenen sechs Monaten verkauft. Im Länderranking der fröhlichen Socken-Liebhaber landen die Amerikaner damit auf Platz drei, allerdings weit abgeschlagen hinter Schweden und dem Zweitplatzierten: Deutschland. Seit August 2011 haben die Schweden fast 135.000 bunte Socken nach Deutschland exportiert.
Dezent ist anders; dezent mussten Socken im Geschäftsleben vor allem sein. Bisher. Und auf keinen Fall durften haarige, bleiche Männerwaden hervorlugen. Nun aber interessieren sich mehr Kerle für poppige Strümpfe, was auch deutschen Herstellern nicht entgangen ist. "Karierte oder gestreifte Socken, Motiv- oder Ringelsocken sind voll im Trend", heißt es bei Falke. Die Firma kombiniert ihre farbenfrohen Modelle mit rutschfesten Noppen.
Bunte Socken? "Ein alter Hut"
Hugo Boss hat in diesem Jahr gleich sechs Sockenkollektionen im Angebot - mit Streifen, Ringel und Rauten in fünf bis sechs Farben. "Es zeichnet sich eine Nachfrage nach bunten Socken ab", sagt Markenstratege Björn Walz. Für den modischen Mann seien Socken ein Accessoire zu Anzügen: "Farbige Socken haben inzwischen einen wichtigen Stellenwert und unterstreichen neben Krawatten und Einstecktüchern den individuellen Look."
Dominiert wird das Geschäft bei Traditionsunternehmen wie Falke und Hugo Boss aber weiterhin vom Klassiker unter den Herrensocken: schwarzen Kniestrümpfen. Und so bald werde sich das nicht ändern, glaubt Bernhard Roetzel. "In 99 Prozent der deutschen Büros macht man sich mit bunten Socken lächerlich", so der Stil- und Herrenmode-Experte aus Berlin. Das könne sich nur jemand leisten, der eine besonders wichtige Stellung im Unternehmen habe - oder eine besonders unwichtige.
Wer den Trend der Tech-Talente trotzdem mitmachen wolle, solle zumindest die Farbe seiner Socken auf die Krawatte abstimmen, empfiehlt Roetzel, Autor des Buches "Der Gentleman - Handbuch der klassischen Herrenmode". Ein No-Go: zu Karo-Socken eine gepunktete Krawatte. "Wenn schon, dann nur ein Gag", so Roetzel. Den erlaubt sogar er sich auch ab und an - und präsentiert bei Vorträgen über gediegene Herrenoutfits hellblaue oder rote Kniestrümpfe. Verwegen!
Aber eigentlich seien bunte Socken sowieso "ein alter Hut". Ausgerechnet englische Aristokraten waren in den zwanziger Jahren die ersten, die sich an bunte Füße trauten. "Das waren Adlige mit Jobs als Frühstücksdirektoren. Sie wollten zeigen, dass sie nicht zu den Bürospießern gehören - und sich erlauben können, was anderen untersagt ist", so Roetzel.
Im Silicon Valley sind die grellen Socken mehr ein Insider-Jux. YouTube-Manager Hunter Walker, Facebook-Produktdesigner Joey Flynn und Twitter-Sprecher Matt Graves lieben das laut "New York Times" noch aus einem anderen Grund: Sie sind farbenblind - und brauchen sich keine Sorgen mehr zu machen, unpassende Socken zu tragen. Bunt ist immer unangemessen. Passt also immer.

Autorin Verena Töpper (Jahrgang 1982) ist KarriereSPIEGEL-Redakteurin.
