"Motzbrüder" und "Sozialfälle" Post distanziert sich von Mobbing-Leitfaden

Mobbing-Verdacht bei der Post: Mitarbeiter in vier Problem-Typen einteilen
Foto: A3276 Martin Gerten/ dpaHamburg - Sie arbeiten aus Sicht ihrer Vorgesetzten langsam, sind ungeschickt, beratungsresistent und häufig krank. Deshalb seien sie als "Motzbrüder" und "Sozialfälle" zu behandeln: Freie Tage gibt es nur zu unbeliebten Zeiten, Überstunden sollen verfallen. So steht es in einem "absolut vertraulichen" Papier der Deutschen Post AG, aus dem der "Stern" zitiert.
Das Unternehmen distanziert sich von diesem "Mobbing-Leitfaden". "Der Fall ist schon lange ad acta gelegt", sagte Post-Sprecher Dirk Klasen SPIEGEL ONLINE. "Das Papier ist 2009 entstanden und sofort im Müll gelandet."
In dem internen Leitfaden werden die Postzusteller nach ihrer Arbeitsmoral und ihrem Leistungsvermögen in vier Problem-Typen eingeteilt:
- Den Typ eins beschreiben die Autoren als "extrem langsam", aber auch als "zuverlässig" und "uneingeschränkt zustelltauglich", weil er "keine Qualitätsmängel" zeige.
- Typ zwei wird im Papier als "Motzbruder oder -schwester" bezeichnet. Solche Mitarbeiter kämen zwar pünktlich, hätten aber "keine Arbeitsdisziplin", seien "beratungsresistent" und "uneinsichtig". Insgesamt verkörperten sie eine "negative Grundeinstellung" zu ihrem Job.
- Noch schlechter kommt Typ drei weg - ein "Sozialfall", langsam und ungeschickt, viele Reklamationen, kurzum: "für die Briefzustellung" nicht geeignet.
- Und Typ vier könne wegen seines hohen Alters "den Schalter nicht mehr umlegen", habe ständig gesundheitliche Probleme.
Die Verfasser des Papiers entwickeln auch klare Vorstellungen, wie Vorgesetzte mit solchen leistungsschwachen Mitarbeitern umgehen sollen. Dem "Stern" zufolge sollen sie dafür sorgen, dass langsame Briefträger ihre Überstunden verfallen lassen; dass sie samtags und montags sowie vor Feiertagen nie frei bekommen; dass die Kollegen von den "Verfehlungen" dieser Zusteller erfahren. Noch etwas perfider: Schnecken-Postboten sollen in ihrem Bezirk Turbo-Kollegen an die Seite bekommen, damit der Tempodruck wächst.
"Sofort einkassiert und gestoppt"
Das Schreiben ist laut "Stern" das Ergebnis eines Arbeitskreises von Führungskräften in Nordrhein-Westfalen und war als Powerpoint-Präsentation einer E-Mail angehängt. Die Verfasser fordern in der E-Mail die Leiter einzelner Bezirke auf, "eine Liste mit auffälligen Kräften zu erstellen" und diese "den einzelnen Charakteren zuzuordnen".
Laut Post-Sprecher Dirk Klasen ist der Leitfaden in einer einzelnen Briefniederlassung entstanden und hat diese nie verlassen: "Als der Niederlassungsleiter das Papier in die Hände bekommen hat, hat er dieses sofort einkassiert und die Verbreitung gestoppt."
Die Idee zu dem Papier stammt offenbar von einem einzelnen Manager oder einer Managerin. Über das Geschlecht ist sich Klasen nicht sicher, über die Konsequenzen schon: Der- oder diejenige sei vom Niederlassungsleiter zur Rede gestellt und versetzt worden. "Der Verantwortliche arbeitet jetzt in einem anderen Bereich und ist nicht mehr mit Personalthemen befasst", so Klasen.
"Zynisch und zutiefst verletzend"
Volker Geyer, dem Bundesvorsitzendem der Kommunikationsgewerkschaft DPVKOM, geht das nicht weit genug: "Der Verantwortliche muss disziplinarisch oder arbeitsrechtlich bestraft werden, eine Versetzung reicht da nicht." Der Mobbing-Leitfaden entspreche zweifellos nicht der Linie des Unternehmens, dennoch müsse die Post hier ein Zeichen setzen, "dass solches Fehlverhalten von Führungskräften nicht hingenommen wird". Die Einordnung der Mitarbeiter in die vier genannten Typen sei "menschenverachtend, zynisch, zutiefst verletzend".
In dieser Bewertung stimmt ihm Post-Sprecher Dirk Klasen zu: Die Idee eines Mobbing-Leitfadens sei "grenzwertig" und widerspreche "eklatant den Grundsätzen der Post im Umgang mit ihren Mitarbeitern". Eine Kündigung des verantwortlichen Managers oder der Managerin sei aber nicht in Frage gekommen, "man muss den Leuten auch zugestehen, dass sie Fehler machen".
Die Gewerkschaft Ver.di kündigte an, "ein Auge darauf zu haben, dass bei der Post alle Papiere dieser Art verschwinden".
"Der Schwächste fliegt" als Führungsmodell
Im Post-Konflikt geht es um den Umgang mit "Minderleistern", neudeutsch: Low Performer. Den Begriff prägte einst Jack Welch, langjähriger Chef des US-Konzerns General Electric. Der Manager predigte seine 20-70-10-Formel, nach dem Motto "Der Schwächste fliegt". Aus Sicht von Welch (Spitzname "Neutronen-Jack" wegen seiner ruppigen Führungsmethoden) besteht die Belegschaft eines Unternehmens aus 20 Prozent Spitzenleuten, 70 Prozent Durchschnitt und 10 Prozent Minderleistern. Und von diesen Low Performern müsse sich ein Arbeitgeber trennen, im Zuge einer ständigen Leistungsbewertung und Mitarbeiterfluktuation.
Wer im Arbeitsalltag Hoch- oder Minderleister, wer Leistungs- oder Wasserträger ist, woran es liegt - das ist stets eine Frage der Perspektive. Schon viele Chefs haben darüber nachgedacht, wie sie vermeintliche Low Performer unter Druck setzen und loswerden können. Hässlich wird es, sobald solche ungeschminkten Überlegungen an die Öffentlichkeit geraten.
So tauchte 2008 beim Verlag Gruner + Jahr ein vertrauliches Papier mit einem Ablaufplan auf, wie man Mitarbeiter "mit unzureichendem Leistungsniveau" im Zuge von Sparmaßnahmen behandeln soll. Stufe eins: In einem Gespräch sollte es um eine Vertragsauflösung gehen, inklusive Abfindungsangebot ("nicht verhandelbar"). Stufe zwei: "systematisches Nachhaken". Eskalationsstufe drei: Abmahnungen oder Kündigungen als "konsequente Sanktion" bei nicht näher definierten Verstößen.