Mutterschutz für Vorständinnen "Wir wollen die Gesetzesänderung noch in diesem Jahr"

Delia Lachance musste als Vorständin bei Westwing zurücktreten - weil sie Mutter wird
Foto: Gisela Schober/ Cartier/ Getty ImagesVerena Pausder konnte sich die gesamte Autofahrt zum Fußballspiel ihrer Söhne nicht beruhigen. "Es kann doch nicht sein, dass man als Vorständin sein Amt niederlegen muss, weil man Mutter wird", sagte sie zu ihrem Mann. Der Grund ihres Ärgers: Wenige Tage zuvor war Delia Lachance, Vorständin des börsennotierten Onlineshops Westwing, zum 1. März von ihrem Amt zurückgetreten. Warum? Sie erwartet ein Kind.
Westwing begründete Lachances Schritt damals in einer Mitteilung damit, "weil die rechtlichen Rahmenbedingungen in Deutschland für Vorstandsmitglieder von Aktiengesellschaften aktuell nicht die Möglichkeit vorsehen, Mutterschutz und Elternzeit in Anspruch zu nehmen".

Verena Pausder kämpft mit einer Initiative für mehr Mutterschutz auf Vorstandsebene
Foto: Lina Grün/ obsTatsächlich gibt es in Deutschland das grundsätzliche Problem, dass längerfristige Abwesenheit (sei es durch Mutterschutz, Elternzeit, längerfristige Krankheit oder die Pflege von Angehörigen) Vorstandsmitglieder zur Niederlegung ihres Mandats zwingt. Bleibt man im Amt, bestehen auch die Pflichten weiter, die die Position mit sich bringt - inklusive des Haftungsrisikos. Auch männliche Vorstandsmitglieder sind davon betroffen. Sie können faktisch ebenso keine Eltern- oder Pflegezeit nehmen, ohne ihr Mandat niederzulegen. Vorstände von Aktiengesellschaften gelten arbeitsrechtlich nicht als Arbeitnehmer, sie sind nicht weisungsgebunden – und haben damit auch keinen Anspruch auf Mutterschutz oder Elternzeit.
Ein Mandat soll bis zu sechs Monate ruhen können
Verena Pausder machte ihrem Ärger darüber in einem Beitrag auf LinkedIn Luft. Sie fragt darin: "Wir schreiben das Jahr 2020 und sehen keine gesetzlichen Möglichkeiten vor, dass eine Vorständin eine Babypause macht, ohne ihr Mandat niederlegen zu müssen?"
Der Beitrag wurde bis heute mehr als 1400-mal geteilt. Das Thema traf einen Nerv und Verena Pausder, die Aufsichtsrätin der börsennotierten Comdirect Bank AG ist, schwor sich: "Ich tue etwas."
Und Pausder machte. Gemeinsam mit sechs weiteren Mitstreitenden hat sie in den vergangenen Monaten #stayonboard ins Leben gerufen. Die Initiative wird von zahlreichen Menschen aus Forschung und Politik unterstützt. Darunter Delia Lachance, Ex-Telekom-Vorstand und Bundestagsmitglied Thomas Sattelberger (FDP) oder die Kölner Juraprofessorin Barbara Dauner-Lieb.
Frage nach Diversität und Gleichberechtigung stellt sich unabhängig von Corona
#stayonboard fordert eine Anpassung des Aktienrechts: Die Änderung soll Vorstandsmitgliedern die Möglichkeit geben, ihr Mandat und die damit einhergehenden Rechte und Pflichten aus dem Gesetz und dem Dienstvertrag für bis zu sechs Monate unbezahlt ruhen zu lassen. Danach soll das Amt automatisch wieder aufgenommen werden können.
Anne Sanders, Juraprofessorin
"Chefetagen müssen nicht nur diverser, sie müssen auch menschlicher werden", sagt Pausder. Sie nimmt dabei auch die Unternehmen in den Blick. Hier sollen keine Arbeitnehmerrechte für Vorstände geschaffen werden. Das Ruhen soll gegenüber dem Arbeitgeber nicht zur "Unzeit" verlangt werden dürfen, ebenso sollen zentrale Firmeninteressen und -ziele durch die Niederlegung des Mandats nicht "gefährdet" sein. Der Aufsichtsrat soll nach den bestehenden gesetzlichen Regelungen entscheiden, ob für die Dauer des Ruhens vorübergehend ein bestehendes Vorstandsmitglied als Stellvertreter oder ein Aufsichtsratsmitglied als Stellvertreter des Vorstandsmitglieds bestellt wird, dessen Mandat ruht. Der Schritt soll im Handelsregister der Unternehmen transparent gemacht werden.
"Auch Vorstandsmitglieder sind Menschen. Frauen werden schwanger, Männer setzen sich für ihre Kinder ein und dürfen dadurch nicht ihre Position verlieren – sich für die Familie zu engagieren, darf nicht als komisch gelten", sagt Anne Sanders, Juraprofessorin an der Universität Bielefeld, die die Initiative unterstützt. 64 Frauen standen auf Vorstandsebene der börsennotierten Unternehmen in Deutschland zu Beginn des Jahres 2020 633 Männer gegenüber.
Nun soll das Eckpunktepapier sowohl ins Wirtschafts-, als auch ins Familien- und ins Justizministerium getragen werden. Dort braucht es dann Unterstützer, um Thema im Bundestag zu werden. "Ich sehe die Chancen dafür mittlerweile durchaus gut", sagt der Berliner Rechtsanwalt Tobias de Raet, der #stayonboard als Initiator unterstützt.
Für Verena Pausder ist dabei auch der Faktor Zeit entscheidend. Die Fragen nach "Diversität und Gleichberechtigung" möchte sie auch jetzt stellen – trotz Corona. Das Thema will sie vorantreiben: "Wir wollen die Gesetzesänderung noch in diesem Jahr."