

"Notgedrungen überwintern zahllose Hochschulabsolventen auf miserabel entlohnten Praktikantenposten", stand schon 2003 auf SPIEGEL ONLINE. Und im Herbst 2004: "In der vagen Hoffnung auf eine feste Stelle hangeln sich junge Akademiker von Praktikum zu Praktikum." Ein halbes Jahr später war in der "Zeit" zu lesen, dass zwischen Ausbildung und Beruf eine häufig mehrere Jahre währende Dauerpraktikantenschaft getreten sei.
Der Artikel war mit "Generation Praktikum" überschrieben - und prägte damit einen Begriff, der sich als geflügeltes Wort im öffentlichen Bewusstsein festgesetzt hat. Die Frage ist nur: Stimmt das Bild, das hier gezeichnet wird?
Die Befunde basierten überwiegend auf "allgemeinen Eindrücken und Beobachtungen im Umfeld von Freunden und Bekannten", stellten die Hochschulforscher Kolja Briedis und Karl-Heinz Minks von der Hochschul-Informations-System GmbH bereits im Jahr 2007 fest. Ihr Projektbericht "Generation Praktikum - Mythos oder Massenphänomen?" beantwortet die Frage eindeutig: Zwar gibt es Hinweise, dass die Zahl der Praktika nach dem Studium zugenommen hat, dennoch handelt es sich dabei um kein Massenphänomen, wenn man die Studierenden insgesamt betrachtet.
Der Begriff "Generation Praktikum" führt also in die Irre. Doch diese Erkenntnis ist nicht im öffentlichen Bewusstsein angekommen. Woran das liegt, ist leicht zu erklären: Es gibt Bereiche, in denen Praktika nach dem Studium tatsächlich stark verbreitet sind.
Problem vor allem für Geistes- und Sozialwissenschaftler
Während technische und naturwissenschaftliche Fächer mit wenigen Ausnahmen wie Architektur, Bauingenieurwesen oder Biologie davon kaum betroffen sind, spielen sie bei Geistes- und Sozialwissenschaftlern durchaus eine Rolle. Jeder vierte Sprach- und Kulturwissenschaftler absolviert nach dem Studium ein Praktikum, zuweilen gleich eine Praktikumsserie. Auch unter Wirtschaftswissenschaftlern und Juristen sind Praktika nach dem Studium nicht selten. Übrigens findet man unter Praktikanten Frauen häufiger als Männer - und das ist keineswegs nur durch die Fächerwahl bedingt.
Entscheidend ist, dass die Medien eine besonders praktikumsintensive Branche sind. Presse, Hörfunk, Fernsehen, Verlage, auch PR- und Werbeagenturen oder Museen: Praktika sind hier nach dem Studium weit verbreitet. Das mag akzeptabel sein, wenn die Ausbildung dabei tatsächlich im Vordergrund steht. Oft erledigen Praktikanten aber auch kostengünstig die Arbeit, die eigentlich von Festangestellten gemacht werden sollte. Dahinter muss nicht immer böser Wille zur Ausbeutung stehen. Denn manch engagierter Kleinverlag wäre wohl anders gar nicht überlebensfähig.
Da Journalisten mit der Situation in der Medienbranche in der Regel besser vertraut sind als mit der Lage in anderen Bereichen des Wirtschafts- und Arbeitslebens, verwundert es nicht, dass die spezifische Situation hier mit einem allgemeinen Phänomen gleichgesetzt wird. Und so wird etwas zum Problem einer ganzen Generation erklärt, was nur für einen Teil der Hochschulabsolventen ein echtes Problem ist.
Leider auch ein kaum zu lösendes: Gutgemeinte gesetzliche Regelungen wie eine Höchstdauer, eine Mindestbezahlung oder ein garantierter Ausbildungsanteil laufen immer Gefahr, Praktika nicht zu verbessern, sondern zu verhindern. Und damit wäre den Hochschulabsolventen auf der Suche nach einem Job am wenigsten gedient.
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Kopierknechtschaft: Angeblich ist es das Schicksal einer ganzen Generation, der vielbesungenen "Generation Praktikum". Joachim Möller widerspricht im KarriereSPIEGEL: Der Arbeitsmarktforscher sieht Probleme vor allem für Geisteswissenschaftler, aber kein Massenphänomen für junge Akademiker insgesamt. mehr
Draußen, vor dem Tor: Im Jahr 2006 hatte sich eine Generation gefunden, die sich vor allem über ihr prekäres Arbeitsleben definierte - als schlecht oder unbezahlte Praktikanten, in Praktika abgeschobene Berufseinsteiger, schlechtbezahlte Volontäre oder Trainees. Die "Zeit" verpasste ihr im März 2005 das einprägsame Etikett "Generation Praktikum". Doch ist sie real?
2006 war sich auch der SPIEGEL sicher: Ja, die gibt's!
Nein, die gab es nie, sagt der Kasseler Soziologe und Hochschulforscher Harald Schomburg. Er spricht lieber von der "Generation Vielfalt". Praktika nach dem Studium seien in Wahrheit selten und typisch nur für einzelne Branchen, dauerhaft prekär beschäftigt sei kaum ein Uni-Absolvent.
Die Ausgebeuteten, klar gibt es die, sagt Gewerkschafterin Jessica Heyser. "Generation Prekär" hält sie für die passende Bezeichnung. Ausbeutung und Selbstausbeutung nehme zu, in Italien und Spanien heiße sie "Generation 1000 Euro" - junge, gutqualifizierte Arbeitnehmer, die jahrelang nicht über 1000 Euro netto hinaus kommen.
Generation Praktikum? "Ein Begriff, der nie Geltung hatte", sagt Kolja Briedis, Hochschulforscher beim HIS in Hannover. Die Generation der Entrechteten sei ein von den Medien genährter Mythos - und nur in der Branche gebe es die Dauerpraktikanten überhaupt, kurzum: nichts als Nabelschau, so Briedis schon vor Jahren in einem SPIEGEL-ONLINE-Interview. mehr
Stimmt nicht, setzt Claudia Behm dagegen. Sie gehört zum Verein fairwork, der schon 2004 unbezahlte Praktika anprangerte. Laut Behm werden Berufsanfänger als "billige Arbeitskräfte eingesetzt"; Volontariate, Trainee-Jobs und Hospitanzen seien oft keine Ausbildungs-, sondern schlecht oder gar nicht bezahlte Arbeitsverhältnisse.
Auch bis nach Österreich schaffte es die "Generation Praktikum". Der Jurist Michael Stelzel gab seiner Doktorarbeit diesen Titel. Er sagt: Zwar ende für viele Akademiker die Durstrecke irgendwann, aber "viele halten sich zu lange in diesen prekären Verhältnissen auf". Die "Lehrjahre" hätten sich deutlich verlängert, viel schafften es erst nach dem 30. Geburtstag, sich eine eigene Wohnung zu leisten.
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