Mythen der Arbeit Kleine Angestellte werden die neuen Armen - stimmt's?

Kellnerin bei der Arbeit: Steht die untere Mittelschicht auf der Verliererseite?
Foto: Matthias Rietschel/ APNDie untere Mittelschicht steht in den USA nicht erst seit der Finanzkrise unter Druck. Viele Betroffene müssen mehr als einen Job ausüben, um mit ihren Verdiensten über die Runden zu kommen. Dabei sind keineswegs nur Arbeiter betroffen, die Blue-Collar Workers, sondern genauso die White-Collar Workers, also Angestellte. Die Frage liegt auf der Hand: Stehen hierzulande die kleinen Angestellten ebenfalls auf der Verliererseite?
Auf dem Arbeitsmarkt gilt das Gesetz von Angebot und Nachfrage. Ökonomischer Druck auf einzelne Gruppen entsteht immer dann, wenn das Angebot an Arbeitskräften mit bestimmten Qualifikationen und Kompetenzen die entsprechende Nachfrage deutlich übersteigt. Wenn es genügend geeignete Bewerber auf eine freie Stelle gibt, besteht für den Arbeitgeber wenig Anlass, bessere Konditionen etwa in puncto Bezahlung, Jobsicherheit, Aufstieg zu bieten. Man spricht dann von einem Arbeitgebermarkt, einem Markt, bei dem die Unternehmen sozusagen in einer strategisch günstigeren Position sind.
Ein Statusverlust für Arbeitnehmer droht insbesondere dann, wenn Jobs, für die sie spezialisiert sind, massiv wegfallen. Einmal getroffene Ausbildungsentscheidungen sind nicht leicht zu revidieren, insbesondere wenn sie mit einer hohen Spezialisierung verbunden sind. Oftmals gelten sie für das ganze Erwerbsleben.
Die Gründe für den Jobkahlschlag
Erstens: Die technische Entwicklung kann Jobs zerstören. Das ist nicht immer so, der technische Fortschritt kann auch neue Beschäftigungsmöglichkeiten mit sich bringen. Nicht selten führt er aber zum Wegfall von Arbeitsplätzen. Der Bankautomat hat viele Beschäftigte an den Bankschaltern überflüssig gemacht, elektronische Buchungssysteme haben Heerscharen von Buchhaltern verdrängt.
Zweitens: die Verlagerung an ausländische Standorte mit geringeren Lohnkosten. Musterbeispiel ist die Bekleidungsindustrie. Während sie noch vor einer Generation vielen Beschäftigten einen Arbeitsplatz in Deutschland bot, ist die Fertigung mittlerweile fast vollständig ins Ausland abgewandert.
Drittens: Das Nachfrageverhalten der Verbraucher verändert sich. Auch dahinter können technische Entwicklungen stehen, etwa, wenn der PC die Schreibmaschine ablöst oder die digitale Fotografie die traditionelle. Diese Veränderungen können ganze Branchen treffen, im Fall des Computers etwa die Druckindustrie und die Medien.
Schöpferische Zerstörung
Strukturwandel ist vielfach schöpferische Zerstörung. Manchen Wirtschaftszweigen gelingt es gut, sich neu zu erfinden. Zugleich wächst beständig Neues. Print- werden durch Onlinemedien ersetzt. Der Einzelhandel in manchen Bereichen schrumpft, der Internethandel boomt. Immer gibt es Gewinner und Verlierer, wobei es manchmal nicht von vornherein klar ist, welche Beschäftigten die Veränderung unterm Strich wie betrifft.
Dennoch lassen sich im Strukturwandel bestimmte allgemeine Tendenzen ausmachen, was die Art der Tätigkeiten der Menschen betrifft. Womit wir zur Ausgangsfrage zurückkehren: Gibt es Hinweise darauf, dass die "kleinen" Angestellten der Mittelschicht von diesen Tendenzen negativ betroffen sind?
Grob lässt sich zunächst einmal zwischen manuellen und kognitiven Tätigkeiten, also zwischen Hand- und Geistesarbeit, unterscheiden. Außerdem gibt es Tätigkeiten, die sich in gleicher oder ähnlicher Form ständig wiederholen oder solche, die sich je nach Situation verschieden darstellen oder Interaktion mit anderen Menschen einschließen.
Qualifikation ist der beste Schutz vor Arbeitslosigkeit
Wissenschaftliche Untersuchungen sprechen dafür, dass generell Routinetätigkeiten stark an Boden verlieren. Dabei spielt es keine Rolle, ob es sich um immer den gleichen Handgriff handelt oder eine immer gleiche Verwaltungstätigkeit, etwa eine Buchung. Irgendwann kommt der Punkt, an dem solche Tätigkeiten von der Maschine oder dem Computer übernommen werden. Routinetätigkeiten sind leichter rationalisierbar.
Ordnet man Jobs nach der Höhe der Qualifikationsanforderungen, so stellt man fest, dass im unteren Bereich die manuellen Tätigkeiten dominieren, im mittleren und oberen die kognitiven. Im unteren Bereich findet sich viel manuelle Routine wie beim Fließbandarbeiter, aber auch - etwa bei der Bedienung im Restaurant oder beim Hausmeister - viel Interaktion und situatives Handeln. Im oberen Bereich fallen typischerweise viele kreative und interaktive geistige Tätigkeiten an. Man denke an eine Ingenieurin oder einen Dozenten.
Im mittleren Bereich herrschen hingegen Tätigkeiten vor, die sich als kognitive Routine beschreiben lassen, beispielsweise die Buchhaltung. Diese sind besonders anfällig dafür, wegrationalisiert zu werden. Vor diesem Hintergrund ließe sich schon argumentieren, dass die kleinen Angestellten um ihren ökonomischen Status fürchten müssen.
Sieht man sich die Fakten aber genauer an, stellt man fest: Die Entwicklung ist hierzulande nicht mit der in den USA vergleichbar, in der die Mittelschicht auf breiter Front zu den Verlierern gehört. Für Deutschland ist stattdessen festzuhalten: Qualifikation ist mehr denn je der beste Schutz vor Arbeitslosigkeit, auch weil Qualifizierte sich besser auf neue Situationen einstellen können. Auf der Verliererseite werden vor allem die Geringqualifizierten stehen - egal ob als Arbeiter oder als Angestellte.