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New-Work-Experte Frédéric Laloux "Was Chefs von oben entscheiden, bewirkt oft wenig"

Chefs sollten in Firmen nicht alles allein entscheiden, sagt Frédéric Laloux. Hier erklärt der Experte für New Work, warum Unternehmen erfolgreicher sind, wenn Mitarbeiter mehr mitreden können.
Zur Person
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Frédéric Laloux ist ein Vordenker der weltweiten New-Work-Bewegung, die das Miteinander am Arbeitsplatz neu definieren will. Der 45-jährige Belgier hat das Buch "Reinventing Organizations" geschrieben, das als Standardwerk für moderne Unternehmensorganisation gilt. Der ehemalige Associate Partner von McKinsey berät Firmen mittlerweile meist von seinem Wohnort, einer Ökosiedlung in der Nähe von New York City. Er tritt selten öffentlich auf.

SPIEGEL ONLINE: Herr Laloux, Sie waren früher bei der Beraterfirma McKinsey. Dann sind Sie zu dem Schluss gekommen, dass in der Arbeitswelt etwas grundlegend faul ist. Was denn?

Laloux: Wir entwerfen heute Unternehmen am Reißbrett wie Maschinen. Menschen sind darin Ressourcen, die man wie andere Inputs optimal einsetzen muss. Doch dieses alte Denken ist außer Puste geraten. Mehr und mehr Organisationen machen deshalb den Sprung zu einer anderen Denkweise: Sie verstehen sich als lebendige Organismen. Ein Lebewesen hat keine fixes Organigramm, keine festen Zielvorgaben. Es muss auch seinen Output nicht maximieren, es braucht nur von allem genug. Wir essen ja auch nicht mehr und mehr, sondern nur so viel, bis wir satt sind. Ein Organismus, der nur wachsen will, wird zum Krebsgeschwür.

SPIEGEL ONLINE: Aber Unternehmen müssen doch wachsen, um bestehen zu bleiben?

Laloux: Das müssen sie nicht zwangsweise. Dieses Wettrennen um das größte Wachstum, das unser Wirtschaftssystem prägt, ist eine Sackgasse. Er beruht auf Bedürfnissen, die Firmen mit Marketing geschürt haben und die die meisten Menschen gar nicht hatten. Das Paradoxe ist jedoch, dass Firmen, die den Sprung ins neue Denken machen, meist unglaublich florieren. Mitarbeitern steht viel weniger im Weg, was sie davon abhält, ihre Ideen und Talente einzubringen.

SPIEGEL ONLINE: Wieso?

Laloux: Lebende Organismen arbeiten vernetzt, ohne starre Machthierarchie. Unser Gehirn hat 85 Milliarden Nervenzellen, es kommt sehr gut ohne das mittlere Management aus. Immer mehr Unternehmen ersetzen deshalb die traditionelle Machtpyramide durch vernetzte Selbstführung. Man kann aber auch mit kleineren Schritten anfangen: Angestellte können beispielsweise wählen, wer ihre Chefs sein sollen, wie viele Urlaubstage sie nehmen und wann sie Feierabend machen wollen. Sehr viele Firmen sorgen auch dafür, dass sich Mitarbeiter über alle Abteilungen hinweg besser vernetzen und austauschen können, zum Beispiel über digitale Plattformen. Plötzlich entstehen dadurch alle möglichen neuen und spannenden Initiativen.

SPIEGEL ONLINE: Das heißt aber auch, dass Führungskräfte Kontrolle und Macht abgeben müssen.

Laloux: Ja, und davor haben Chefs oft eine große Angst. Sie erkennen dabei nicht, dass ein großer Teil ihrer Macht und Kontrolle fiktiv ist. Sie können zwar von da oben viel entscheiden, aber das bewirkt oft am Ende wenig, weil viele Firmen in Bürokratie und Grabenkämpfen weitgehend erstarrt sind. Wenn man sich das einmal eingesteht, öffnet sich die Tür zu einer neuen Einsicht: Paradoxerweise werden Manager viel wirkungsvoller, wenn sie ihren Mitarbeitern mehr Freiheit geben. Sie können dann zwar im Detail nicht mehr alles bestimmen, aber wenn sie sinnvolle Impulse setzen, werden die viel stärker aufgegriffen. Das ist allerdings eine Weltanschauung, in die Unternehmungsführungen erst hineinwachsen müssen.

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New Work: Chefs, die weniger Chef sein wollen

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SPIEGEL ONLINE: Wie können sich Chefs diese Weltanschauung aneignen?

Laloux: Es kann helfen, viel zu lesen und sich mit Managern von Firmen auszutauschen, die so etwas schon versucht haben. Noch wirksamer ist es für Führungskräfte, wenn sie eine Weile ganz unten an der Pyramide mitarbeiten, zum Beispiel Regale füllen oder im Call Center ein paar Tage am Telefon zu hängen. Dann merken sie, dass vieles, was von oben kommt, keinen Sinn macht. Und es wird leichter, Menschen nicht nur als Ressourcen, sondern als Wunder zu sehen, voller Potenzial, das sich noch nicht entfalten konnten.

SPIEGEL ONLINE: Und dann?

Laloux: Dann können sie damit beginnen, die alten Hierarchien abzubauen. Dabei ist es jedoch nicht das Ziel, alle gleichzumachen. Denn ohne eine starre Machtverteilung bilden sich informelle Hierarchien heraus: Es werden dann die Leute gefragt, die sich am besten mit einem Thema auskennen und nicht die, die auf der Leiter weiter oben stehen. Menschen können viel kreativer, produktiver und motivierter arbeiten, wenn die alte Hierarchie nicht ständig dazwischenfunkt.

SPIEGEL ONLINE: Nennen Sie mal ein Beispiel.

Laloux: Ein französischer Sportartikelhändler hat vor zwei Jahren seine damals 60.000 Mitarbeiter eingeladen, neue Länder für das Unternehmen zu erschließen und sie dafür mit dem nötigen Budget ausgestattet. Auf einmal meldeten sich aus allen Ecken oft junge Menschen, die diese Möglichkeit begeistert ergriffen. In vier Jahren wird die Firma jetzt mehr Länder erschließen als vorher in 40 Jahren! So etwas hätte vorher nie passieren können, als die Firmenleitung versuchte, alles zentral zu planen. Das ist aus dem Team erwachsen.

SPIEGEL ONLINE: Aber große Unternehmen müssen doch die Geschäfte der nächsten Jahre planen können?

Laloux: Wir denken oft, wir könnten alles planen und bräuchten es dann nur noch zu machen. Für komplexe Dinge ist das eine Illusion, die kann man nicht bis zum Ende durchplanen. Man kann aber Impulse setzen und den lebendigen Organismus, also die Mitarbeiter, aufs Abenteuer einladen. Wenn die Richtung Sinn macht und alle ausprobieren und mitarbeiten dürfen, wie sie wirklich wollen, kommen wunderbare Dinge dabei heraus.

SPIEGEL ONLINE: Wie fängt man so eine Veränderung an?

Laloux: Oft einfach damit, dass Führungskräfte ihren Mitarbeitern ganz offen sagen, dass das alte System langsam erstarrt und sie einen neuen Weg einschlagen wollen. Sie können fragen, wer ihn mitgestalten möchte. Oft findet sich eine Gruppe, die sich dafür begeistert, mehr Verantwortung zu übernehmen und selbst Entscheidungen zu treffen, statt auf die Entscheidungen der Chefs zu warten. Diese Gruppe muss dann vom Management unterstützt und beschützt werden.

SPIEGEL ONLINE: Kann New Work auch in Krankenhäusern oder Flughäfen funktionieren, wo an den Jobs Leben hängen?

Laloux: Ja, denn wenn jeder Verantwortung trägt, denken alle mit. Spezialeinheiten der Armee in allen Ländern der Welt arbeiten mit Selbstführung, anders kann man mit hoher Komplexität und Unvorhersehbarkeit gar nicht umgehen. Wie viele Menschen sterben in Kliniken, weil der Krankenpfleger irgendeine Information nicht an den Arzt weitergegeben hat - oder weil die Beschäftigten mehr mit Bürokratie als mit den Patienten beschäftigt sind?

SPIEGEL ONLINE: Wenn jedoch plötzlich so viele Menschen mitreden können, dauert es dann nicht ewig, bis eine Entscheidung getroffen wird?

Laloux: Das ist ein gängiges Bild, stimmt aber nicht. In traditionellen Unternehmen dauert es oft Monate, bis Chefs über etwas entscheiden, das ihre Mitarbeiter vorher ausgearbeitet haben und das auf allen nötigen Hierarchiestufen darunter abgesegnet wurde. Der Gründer der niederländischen Pflegeorganisation Buurtzorg hingegen schreibt von seinem Sofa aus Blogbeiträge, in denen er alle 14.000 Mitarbeiter direkt nach ihrer Meinung fragt. Innerhalb von 24 Stunden haben sich die meisten das angeschaut und viele haben seine Idee kommentiert. Ein oder zwei Tage später zieht er seine Schlüsse und fällt eine Entscheidung. Das geht viel schneller und unpolitischer als in traditionellen Unternehmen.

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