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Job & Karriere

Fünf Ideen für die neue Arbeitswelt Wer keinen Sinn im Meeting sieht, darf gehen

Ein Gastbeitrag von Carsten C. Schermuly
Besprechungen müssen begründet werden, und unproduktive Abläufe werden beerdigt – klingt gut und ist nicht schwer, sagt New-Work-Experte Carsten Schermuly. So könnte moderne Arbeit gelingen.
Auf und ab: Was gestern gut war, kann morgen vielleicht schon weg

Auf und ab: Was gestern gut war, kann morgen vielleicht schon weg

Foto: OsakaWayne Studios / Getty Images

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Ivgenia Möbus

Carsten Schermuly ist Professor für Wirtschaftspsychologie an der SRH Berlin University of Applied Sciences und dort Vizepräsident für Forschung und Transfer. In seinem neuen Buch »New Work Utopia« (Haufe Verlag) beschreibt er anhand des fiktiven Unternehmens Stärkande die Zukunftsvision einer besseren Arbeitswelt.

Albert wohnt in einer Kleinstadt im Hintertaunus. Er ernährt sich biologisch und liebt Getreidebrei zum Frühstück. Den isst er in der Küche seiner Altstadtwohnung, danach geht er ins Erdgeschoss und arbeitet in seinem Ladenlokal. Albert kann sich seine Zeit frei einteilen und macht mittags einen Spaziergang durch die Stadt. Nach Einbruch der Dunkelheit räumt er auf und steigt zurück zu seiner Familie ins Obergeschoss. Hört sich nach New Work an, oder?

Mit dieser Einschätzung sind Sie nicht allein. In unserem New-Work-Barometer  zeigt sich: Mittlerweile setzen 64,8 Prozent der Befragten New Work mit Homeoffice gleich. Aber: Albert ist tatsächlich ein Mensch aus dem Mittelalter. Damals war »Homeoffice« die Regel für die meisten Werktätigen. Nichts gegen mobiles Arbeiten, aber ich hege Zweifel, ob wir allein mit Arbeitsprinzipien, die 500 Jahre alt sind, die Dynamiken der Zukunft bewältigen werden.

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Dafür brauchen wir neue, frische Impulse, die Mitarbeitende und Führungskräfte fit machen für die Herausforderungen einer sich ungemein schnell wandelnden Welt. Hier sind fünf davon, angelehnt an mein neues Buch, einer New-Work-Utopie.

New Work braucht ein Ziel

Das mag selbstverständlich klingen, ist aber alles andere als das. Oft dient das Schlagwort »New Work« lediglich als Marketinginstrument für die Selbstdarstellung der Firma. Dabei sind die Instrumente der neuen Zusammenarbeit kein Selbstzweck, um moderner zu wirken (das ist allenfalls eine Nebenwirkung), sondern mächtige Werkzeuge. Sie sollen psychologisches Empowerment für alle Mitarbeitenden möglich machen. Empowerment bedeutet die Umsetzung der Maxime »Hilf mir, es selbst zu tun« – Eigenverantwortung im positiven Sinn, nicht als Alleinlassen, sondern als Ermächtigung.

So erleben Menschen viel Sinn, Kompetenz, Selbstbestimmung und Einfluss in ihrem Beruf. Psychologisches Empowerment führt zu mehr Arbeitszufriedenheit, Bindung an das Unternehmen (empowerte Menschen gehen sogar erst später in Rente), aber auch Proaktivität, Innovationsverhalten und Leistung profitieren laut vielen Studien. Empowerment sollte kein nettes Projekt der Personalabteilung sein, sondern auf Vorstandsebene betrieben und gefördert – und regelmäßig über unkomplizierte Feedbackmöglichkeiten und Mitarbeitendenbefragungen gemessen werden.

Sinnvolle Teammeetings

Onlinemeetings können echte Zeit- und Empowerment-Fresser sein. Es könnte sich lohnen, dafür folgendes Regelwerk auszuprobieren:

1. Wer einen Termin einstellt, wird vom System aufgefordert, einen Sinn zu formulieren. Die Empfängerinnen müssen daraufhin nicht nur den Termin, sondern auch den Sinn des Meetings bestätigen.

2. Die Sinnprüfung beschränkt sich aber nicht auf die Phase vor dem Meeting. Alle Teilnehmenden haben die Pflicht, den Sinn auch im Verlauf zu prüfen, und dürfen das Meeting jederzeit verlassen, wenn der Sinn für sie nicht mehr gegeben ist.

3. Meetings dauern 30 Minuten. Wer mehr möchte, muss begründen und bitten.

4. Alle Mitarbeitenden werden für Meetings geschult und verfügen über Moderationsfähigkeiten.

5. Je höher der Status einer oder eines Teilnehmenden, desto später darf sie oder er erst ihre oder seine Meinung sagen. Dadurch wird verhindert, dass sich die Diskussion zu schnell an der Meinung einer Führungskraft orientiert.

Auf die Jagd nach Bürokratie gehen

Das Empowerment-Erleben wird in vielen Unternehmen allerdings von zu viel Bürokratie erstickt. Da könnten regelmäßige »Bureaucracy Buster« helfen: Mitarbeitende können neue bürokratische Hürden melden und über deren Abschaffung abstimmen. Die Regeln mit den höchsten Negativwerten (hohe Kosten und wenig Nutzen) werden dann in der nächsten Runde behandelt – da treffen sich die Mitarbeitenden und diskutieren. Dabei gäbe es vier mögliche Ausgänge:

  • Die Regel wird abgeschafft

  • Die Regel wird verändert

  • Die Regel wird durch eine andere Regel ersetzt

  • Die Regel bleibt erhalten

Die Idee: Bürokratie wird stetig verschlankt. Wenn Regeln erhalten bleiben, werden diese nach einem Buster anders wahrgenommen und akzeptiert.

Leadership on Demand

Auch beim Thema Führung kann man etwas für das psychologische Empowerment der Mitarbeitenden tun. Egal, ob ein Team groß oder klein, ob es gut oder schlecht organisiert ist – in den allermeisten Unternehmen in Deutschland bekommt ein Team eine Führungskraft vorgesetzt. Das muss aber kein Naturgesetz sein. Eine Firma, die echtes New Work praktiziert, könnte sich etwa in Kreisen organisieren, die selbst entscheiden können, ob sie geführt werden möchten oder nicht.

Kreise mit zwei oder drei Personen könnten die Führungsaufgaben selbst übernehmen, andere Kreise sich in kritischen Phasen für Führung entscheiden, andere dagegen und wieder andere generell dafür. Führung würde dann zu einer Maßnahme, die sich ein Team gönnt, damit es besser zusammenarbeiten kann. Führung wäre freiwillig und könnte von beiden Seiten abgelehnt werden. Dadurch würde sie endlich zu etwas Sinnhaftem.

Sterben lassen

Innovativ zu sein, das ist für die meisten Unternehmen ein entscheidender Faktor für wirtschaftlichen Erfolg. Innovativ sind viele Firmen, aber die meisten sind weniger gut darin, nicht nur Neues entstehen, sondern auch Altes sterben zu lassen. Sterben gehört aber zu einem lebendigen System; Projekte können dann angstfrei beerdigt werden, wenn die Mitarbeitenden wissen, dass es für sie persönlich einen alternativen Platz im Ökosystem des Unternehmens gibt. Niemand muss dann ein Projekt, einen Prozess oder ein Produkt künstlich am Leben erhalten, weil er oder sie glaubt, ohne es die Position oder den Status zu verlieren. Lebendige Systeme müssen sich verändern und entwickeln. Warum nicht regelmäßig Sterbeworkshops durchführen, in dem die Mitarbeitenden Produkte identifizieren, die beerdigt werden können?

Fazit

Es reicht nicht, sich nach der Betriebsvereinbarung für Homeoffice stolz auf die Schultern zu klopfen und New Work im Betrieb als erreicht anzusehen. Die Zukunft ist komplex. Die äußere Komplexität muss durch eine innere gespiegelt werden.

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