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Ramadan Was Beschäftigte und Arbeitgeber zum Fastenmonat wissen sollten

Wie vertragen sich Fasten und Arbeiten? Was ist, wenn ein Kollege müde und unkonzentriert wirkt? Ein Überblick.
Ist es unpassend, im Büro zu essen – wenn die Kollegin neben mir fastet?

Ist es unpassend, im Büro zu essen – wenn die Kollegin neben mir fastet?

Foto: Aloysius Patrimonio / PantherMedia / Aloysius Patrimonio

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Für mehr als fünf Millionen Musliminnen und Muslime  in Deutschland hat mit dem April der Fastenmonat Ramadan begonnen. Das verändert den Alltag von gläubigen Muslimen: 30 Tage lang nehmen sie von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang keine Nahrung und Getränke zu sich. Auch auf Nikotin und Sex verzichten Muslime in dieser Zeit. Ausgenommen vom Fasten sind etwa Alte, Kinder, körperlich schwer arbeitende Menschen oder Schwangere.

Für berufstätige Menschen ist Fasten kein rein privates Ritual, da es auch die Leistungsfähigkeit beeinflusst. Hier die wichtigsten arbeitsrechtlichen Fragen:

Muss man den Arbeitgeber informieren, dass man fastet – wenn ja, wann?

»Fasten ist eine individuelle Entscheidung, die nicht auf Kosten anderer Kollegen oder des Betriebes ausgetragen werden darf«, sagt Religionssoziologe Rauf Ceylan von der Universität Osnabrück. Eine generelle Pflicht, mit der Chefin oder dem Chef im Vorfeld übers Fasten zu sprechen, gibt es allerdings nicht. Wenn der Mitarbeiter seine Religion ausleben möchte, dann ist das vom Arbeitgeber erst mal zu akzeptieren. Begründet wird das aus Artikel 4 des Grundgesetzes , der Religionsfreiheit.

»Mit dem Arbeitgeber frühzeitig zu sprechen, ist trotzdem eine gute Idee, weil es eine Angelegenheit ist, die das Arbeitsverhältnis betrifft«, sagt Rafael Hertz, Fachanwalt für Arbeitsrecht aus Frankfurt am Main. Nicht, weil man dazu verpflichtet wäre; vielmehr aus Eigeninteresse. Die Vorgesetzte hat so genügend Zeit, Dienste umzuplanen und fastende Mitarbeitende anders einzuteilen. Es verschafft beiden Seiten Planungssicherheit.

»Das Fasten soll nicht dazu führen, dass man mit Ach und Krach durchhält oder seinen Job riskiert. Wenn sich Ramadan und Arbeit nicht vereinbaren lassen, kann man statt zu fasten auch Geld spenden – oder man verschiebt es auf einen späteren, günstigeren Zeitpunkt«, so Religionssoziologe Ceylan. Mit dem Islam sei das vereinbar.

Darf mir meine Chefin das Fasten verbieten?

Dies werde zwar für den Profisport diskutiert , generell dürfe der Arbeitgeber das Fasten jedoch nicht untersagen, sagt Hertz. Während des Ramadan müsse die Chefin zu einem gewissen Maß in Kauf nehmen, dass Mitarbeitende unkonzentriert sind: »Immer einhundert Prozent, das kann eine Vorgesetzte von ihren Beschäftigten nicht verlangen.«

Müssen Arbeitgeber Gehalt zahlen, wenn der fastende Mitarbeiter ausfällt?

Lässt ein Arbeitnehmer sich krankschreiben, hat er die ersten sechs Wochen  Anspruch auf das volle Gehalt. »Etwas anderes wäre es, wenn der Arbeitgeber nachweisen kann, dass der Ausfall durch das Fasten bedingt ist«, sagt Hertz. Das ist zwar sehr unwahrscheinlich, in diesem Fall ginge der Mitarbeitende jedoch leer aus.

Mein Kollege ist Moslem. Soll ich ihn einfach darauf ansprechen, ob er fastet – oder geht mich das nichts an?

56 Prozent der Muslime in Deutschland fasten, knapp 20 Prozent teilweise.  Dass jemand fastet, ist also nicht zu weit hergeholt, findet Ceylan: »Wer fragt, zeigt erst einmal Interesse. Darüber kann auch ein Gespräch über den kulturellen Hintergrund entstehen – was das kollegiale Zusammenleben fördern kann.« Muslimische Angestellte könnten zurückfragen: »Du bist Christ, fastest du auch?« Wichtig sei, bei Kollegen nicht den Eindruck zu erwecken, sie müssten sich für ihre Kultur und Traditionen rechtfertigen.

Muss der Arbeitgeber Gebetsräume bereitstellen?

Hier haben Arbeitsgerichte bereits entschieden: Kurzgebete muss der Arbeitgeber ermöglichen , wenn sie den Betriebsfrieden nicht massiv stören und vorher abgesprochen sind. Einen separaten Raum zum Beten muss er jedoch nicht anbieten. Auch die Zeit des Gebets  wird im Regelfall als Arbeitszeit vergütet.

Ich faste nicht, trotzdem gehen die Kollegen davon aus. Wie spreche ich sie darauf an?

Wird der Kollege mit Migrationsgeschichte automatisch vom Kantinengang ausgeschlossen, sollte der das thematisieren. Auch die Kollegen sollten sich fragen, warum sie einfach davon ausgehen, dass er fastet: »Ich beobachte schon: Nach wie vor wird von Menschen, die aus einem muslimischen Land kommen oder eine Migrationsgeschichte haben, fast erwartet, dass sie auch Moslems sind – obwohl sich natürlich nicht jeder mit dem Islam identifiziert«, sagt Ceylan.

Mein Mitarbeiter kann seine übliche Arbeit nicht verrichten – darf ich ihm kündigen?

»Ausgeschlossen ist das nicht«, sagt Hertz. Im schlimmsten Fall käme eine personenbedingte Kündigung in Betracht. Sie würde sich darauf stützen, dass ein Mitarbeiter wegen des Ramadan nicht dazu in der Lage ist, für eine längere Zeit die Leistung abzurufen, die er laut Vertrag schuldet . In der Praxis ist eine personenbedingte Kündigung wegen der Teilnahme am Ramadan jedoch kaum denkbar. Dafür müsste der Arbeitgeber unter anderem nachweisen, dass der fastende Mitarbeiter seine Arbeit eben wegen des Fastens schlechter macht. In vielen Berufen dürfte das schwierig werden. »Nennenswerte Gerichtsentscheidungen, die in der Vergangenheit im Kontext des Ramadan dazu ergangen sind, gibt es meines Wissens nicht«, sagt Hertz. Dazu kommt: Der Arbeitgeber kann eine personenbedingte Kündigung zwar ohne vorherige Abmahnung  aussprechen, davor müsste er jedoch erst einmal schauen, ob es im Betrieb nicht eine weniger anstrengende Aufgabe für den fastenden Mitarbeitenden gibt.

Mein Kollege fastet, wirkt müde und unkonzentriert und bringt sich weniger ein – wie kann ich mit ihm darüber sprechen?

Auch hier gilt: alles eine Frage der Kommunikation. Der Arbeitgeber kann etwa ein Mitarbeitergespräch führen. Auch die Kollegen können das Thema anschneiden, wenn die Arbeit darunter leitet. »Das sollte man offen und transparent ansprechen, damit sich nichts aufstaut. Auch nach dem Fasten möchte man mit dem Angestellten und Kollegen ja normal weiterarbeiten«, so Ceylan.

Und auch Arbeitsrechtler Hertz findet, dass ein Gespräch im Vorfeld helfen kann. »Der Arbeitgeber hat viele Möglichkeiten. Man könnte der Mitarbeiterin oder dem Mitarbeiter für den Zeitraum des Ramadan eine körperlich leichtere Tätigkeiten zuteilen oder schauen, ob man Anstrengenderes nicht an den Beginn des Arbeitstages legen kann«, sagt Hertz. Am Ende sollte es auch im Interesse des Arbeitgebers sein, eine flexible Lösung zu finden.

Unser Betrieb ist so klein, ich kann meinen fastenden Angestellten nicht einfach andere Aufgaben geben.

Das ist eine Situation, in der Arbeitgeber an Grenzen kommen. »Hier wäre die erwähnte personenbedingte Kündigung ein denkbares Szenario«, sagt Hertz. Vor allem bei Kleinstunternehmen, etwa mit drei Mitarbeitenden, wenn es schwierig ist, eine andere Aufgabe zu finden. »Trotzdem kann ein Arbeitgeber niemanden dazu zwingen, seinen Glauben nicht ausüben zu dürfen. Am Ende dürfen jedoch auch die Grundrechte von Kolleginnen und Kollegen als auch des Arbeitgebers nicht unter den Tisch fallen – es geht um den Einzelfall«, sagt Jurist Hertz. Dass Mitarbeitende die Fastenzeit deswegen verschieben, reduzieren und ganz darauf verzichten müssen, lasse sich aus der bisherigen Rechtssprechung nicht ableiten, sagt Hertz.

Habe ich einen gesetzlichen Anspruch darauf, am Ende des Ramadan am Festgebet teilzunehmen?

Laut dem Gesetz – nein. »Man könnte aber zum Beispiel über unbezahlten Urlaub nachdenken«, sagt Hertz. Der Jurist rät dazu, den Urlaubsantrag mit Begründung frühzeitig zu stellen. »In diesem Fall ist das Interesse des Arbeitnehmers, einen freien Tag zu bekommen, regelmäßig berechtigt«.

Was kann ich tun, wenn der Arbeitgeber mir nicht erlaubt, freizunehmen?

In einer Notsituation wäre hier wohl die einzige Lösung, entschuldigt der Arbeit fernzubleiben. Ob das berechtigte Interesse des Arbeitnehmers oder des Arbeitgebers überwiegt, kommt auf den Einzelfall an.

Mein Chef fastet, viele meiner Kollegen auch – ich selbst aber nicht. Soll ich im Betrieb jetzt heimlich essen?

Wenn der Arbeitgeber und viele Kollegen fasten, wird der Fastenmonat vielleicht offener im Unternehmen thematisiert – und man fühlt sich verpflichtet, Rücksicht zu nehmen. Heimlich essen muss deshalb allerdings niemand. »Bei uns im Büro laden wir alle zum gemeinsamen Fastenbrechen ein – ansonsten ist aber Business as usual«, so Religionssoziologe Ceylan.

Ich bin kein Muslim, würde meine fastenden Angestellten aber gern zum Fastenbrechen einladen. Ist das unpassend?

Als Arbeitgeber ist man nicht verpflichtet, alle religiösen Feiertage für die eigene Belegschaft auszutragen. Werden im Betrieb aber Weihnachten oder andere Traditionen gefeiert, könne man ein gemeinsames Abendessen zum Ende des Ramadan ausrichten, sagt Religionssoziologe Ceylan: »Mit ein bisschen Fingerspitzengefühl spricht doch nichts dagegen. Das sind kleine, wertschätzende Gesten, die nicht viel Organisation oder Investition benötigen.« Und wenn man als Unternehmen muslimische Kundinnen vertritt, sei es auch eine schöne Gelegenheit, um zu netzwerken.

Ist es unsensibel, während des Ramadan Geburtstagskuchen ins Büro mitzubringen – obwohl ich weiß, dass mein Kollege nichts davon essen kann?

Ganz im Gegenteil, sagt der Religionssoziologe: »Der Sinn vom Ramadan ist nicht, dass sich das soziale Umfeld nach der fastenden Person richtet. Es geht ja gerade darum, der Versuchung zu widerstehen«. Der Alltag müsse ganz normal weitergehen. »Der Kollege kann dazukommen, mitsingen, zum Mitessen zwingt ihn ja niemand. Rücksicht nehmen lohnt sich immer – aber man muss es nicht übertreiben.«

Soll ich meinem Kollegen einen gesegneten Ramadan wünschen – oder ist das komisch, weil ich mich auch vorher nicht groß für seine Religion interessiert habe?

»Im Büro halte ich das für eine schöne Geste«, sagt Ceylan. Wovon er abrät: Etwa einen türkischen Kollegen zu beglückwünschen, mit dem man nie gesprochen hat – und bei dem man nicht weiß, ob er überhaupt Muslim ist oder fastet.

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Gibt es Fragen, die ich meinen fastenden Kollegen im Büro lieber nicht stellen sollte?

»Warum trinkst du kein Wasser?« oder »Warum fastest du überhaupt, das ist doch ungesund?« Solche Fragen hat Religionssoziologe Ceylan schon oft gehört. »Ich kenne viele Muslime, die darauf genervt reagieren.«

Ihm zufolge kann man trotzdem fragen: Denn wer schon seit seiner Jugend fastet, tut das möglicherweise sehr routiniert, ohne eingeübte Traditionen zu überdenken. »Kommt man mit dem Kollegen darüber ins Gespräch, kann man sich mit dem eigenen Glauben doch noch einmal anders auseinandersetzen.« Wovon man unbedingt absehen sollte: Den Kollegen zum Islamexperten zu ernennen und ihm andauernd theologische Fragen zu stellen, nur weil er fastet.

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