In Kooperation mit

Job & Karriere

Rechtslage für Whistleblower So verpfeife ich meinen Chef

Der Kollege steckt Geschenke ein, der Vorgesetzte lässt Umweltstandards außer Acht: Wer illegale Praktiken im Betrieb aufdecken will, steckt in einem Dilemma. Denn die Rechtslage ist kompliziert.
Whistleblower wie Edward Snowden: Was tun, wenn sich der Chef schmieren lässt?

Whistleblower wie Edward Snowden: Was tun, wenn sich der Chef schmieren lässt?

Foto: Patrick Seeger/ dpa

"Tell us" - das wünscht sich der Siemens-Konzern bei Bestechung, Diebstahl oder Betrug. Unter 00800-80050055 erreichen Mitarbeiter dort eine Hotline für Whistleblower. "Erzähl es uns" heißt sie auf Deutsch, die Nummer ist im Netz für jedermann einsehbar.

Benutzer können per Mitteilung oder Hotline angeben, was für eine Art von Verstoß sie dem Konzern melden wollen. Sie werden aufgefordert, beteiligte Personen zu nennen, den Gesamtschaden einzuschätzen und gefragt, ob Führungskräfte in den Vorfall verwickelt sind. Ob der Whistleblower anonym bleibt oder nicht, kann er sich aussuchen.

Whistleblowing bedeutet so viel wie verpfeifen. Gemeint ist, illegale Praktiken etwa in Unternehmen oder staatlichen Behörden aufzudecken. Von der Öffentlichkeit werden Whistleblower häufig als mutige Helden verehrt. Aber Kollegen und Chefs sehen sie nicht selten als Denunzianten oder Nestbeschmutzer.

Das derzeit wohl bekannteste Beispiel ist Edward Snowden , der die Abhörtaktiken der US-Geheimdienste der Welt bekanntmachte. Zwar ist der Fall schwer vergleichbar. Trotzdem steht mancher Arbeitnehmer vor ähnlichen Fragen: Er erfährt von illegalen Machenschaften seines Arbeitgebers. Was nun?

Eine Strafanzeige ist der letzte Schritt

"Für Arbeitnehmer ist in Deutschland in so einer Situation sehr schwer zu erkennen, was er darf und was er muss", sagt Arbeitsrechtsanwalt Björn Gaul. Es gibt nur wenige gesetzliche Regelungen. Ein Whistleblower-Gesetz war einmal im Gespräch, ist aber nie verabschiedet worden.

Zunächst einmal sollten Arbeitnehmer versuchen, Missstände intern anzusprechen, rät Gaul. Aus dem Arbeitsvertrag ergebe sich eine Pflicht zur Rücksichtnahme gegenüber dem Arbeitgeber. Wer etwa sieht, dass irgendwo auf dem Gelände Öl verklappt wird oder ein Einkäufer teure Geschenke annimmt, sollte erst einmal zu seinem Vorgesetzten gehen.

Aber wenn der Chef selbst mit drinsteckt? Dann wenden sich Mitarbeiter am besten an den Vorgesetzten darüber, an die Geschäftsführung, oder sie gehen zum Betriebsrat, empfiehlt Gaul. Eine Strafanzeige bei der Polizei zu stellen oder sich an die Öffentlichkeit zu wenden, sollte im Zweifel erst die letzte Option sein.

Im schlimmsten Fall droht die Kündigung

Allerdings: Wer Grund zur Annahme hat, dass es in der Firma illegale Machenschaften gibt und glaubt, dass eine interne Meldung nichts bringt, darf direkt zu den Behörden gehen oder sogar die Medien einschalten, wenn die Angelegenheit von öffentlichem Interesse ist. Eine Kündigung aus diesem Grund ist nicht zulässig. Darauf weist Arbeitsrechtler Hans-Georg Meier hin. Er bezieht sich dabei auf ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte von 2011 (Aktenzeichen: EGMR, 21.07.2011, 28274/08).

Damals hatte eine Altenpflegerin geklagt, die ihren Job verlor, nachdem sie Missstände in einem Pflegeheim angezeigt hatte. In Deutschland hatte sie in der letzten Instanz verloren, dann aber vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg Recht bekommen.

Dieses Urteil hat die Rechte von Arbeitnehmern zwar gestärkt - aber trotzdem ist die Situation heikel: Beschuldigen sie jemanden zu Unrecht, müssen sie im schlimmsten Fall eine Abmahnung oder eine Kündigung hinnehmen. Außerdem können sie sich schadenersatzpflichtig machen, sagt Gaul. Die weniger Mutigen halten deshalb im Zweifel wohl oft lieber den Mund.

Bis zu 20 Prozent berechtigte Beschuldigungen

Auch um das zu vermeiden, hat Siemens seine Whistleblower-Hotline eingerichtet. "Tell us" gibt es seit 2007 und ist eine Reaktion auf die Korruptionsaffäre, die den Konzern 2006 erschütterte. Damals hatten Siemens-Mitarbeiter in großem Umfang über Jahre bestochen und betrogen. Während Whistleblower-Hotlines in Amerika weit verbreitet sind, sind sie es in Deutschland bislang weniger.

"Etwa 20 bis 30 Prozent der bei der Hotline gemeldeten Hinweise betreffen tatsächlich Verstöße", sagt Klaus Moosmayer, Compliance-Verantwortlicher bei Siemens. Das betrifft Delikte gegen Gesetze oder Ethik-Kodizes - wie ein Hinweis auf Untreue oder Betrug. Beim Rest ginge es etwa um die Einrichtung des Arbeitsplatzes oder das Verhalten des Vorgesetzten. Von den Hinweisen auf tatsächliche Compliance-Verstöße sei an circa 10 bis 20 Prozent etwas dran.

Ein Missbrauch der Hotline kommt selten vor. Bislang habe es nur ganz wenige Fälle gegeben, in denen jemand böswillig zu Unrecht beschuldigt worden sei.

Unabhängig davon, ob es eine Hotline gibt, stehen viele Whistleblower neben den rechtlichen Unsicherheiten noch vor einem anderen Problem. In der Bevölkerung sei das "Verpfeifen" in der Regel verpönt, sagt Rechtsanwalt Meier. Solche Menschen würden als Nestbeschmutzer angesehen, mit denen viele nichts zu tun haben wollen. "Man liebt zwar den Verrat, aber nicht den Verräter."

Kristin Kruthaup, dpa/joe
Die Wiedergabe wurde unterbrochen.
Merkliste
Speichern Sie Ihre Lieblingsartikel in der persönlichen Merkliste, um sie später zu lesen und einfach wiederzufinden.
Jetzt anmelden
Sie haben noch kein SPIEGEL-Konto? Jetzt registrieren