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Recruiter Slam Frau Personalerin, Sie können ja dichten

Loyal reimt sich auf egal, Schuppen auf Puppen: Beim Recruiter Slam versuchen Personaler, die Generation Y zu begeistern - mit vermeintlich witzigen Reimen.
Von Markus Reiter

"Was machen wir hier eigentlich?", fragen Tobias und Jan. Im Einheitslook mit grauen Jeans und bordeauxroten Hemden stehen sie auf der Bühne und reden über verkorkste Beziehungen, über One-Night-Stands, über die Dating-App Tinder und über "Girls im Dirndl mit großem Balkon". Personalgewinnung habe viel gemeinsam mit Tinder, "Maximal-Tinderei" mache sie fit für ihren Job als Recruiter, sagen die beiden.

Es ist Recruiter Slam in Stuttgart, der erste seiner Art in Deutschland. Das Geschäft mit der Personalgewinnung ist härter geworden, wer die "High Potentials" erreichen will, muss sich schon mal zum Affen machen. Angeblich wollen die künftigen Fach- und Führungskräfte der "Generation Y" mit Infotainment umworben werden. Wer seinen Vortrag mit "Unsere Firma wurde 1873 von dem Kaufmann Heinz Willy in Lübeck gegründet" beginnt, ist gleich unten durch.

Doch einen mitreißenden Vortrag schüttelt man nicht aus dem Ärmel, fanden Event-Organisator Tobias E. Meinhold und Recruiter Michael Witt. Meinhold und sein Team veranstalten normalerweise Poetry- und Science-Slams im oberschwäbischen Biberach. Was Wissenschaftler und Hobby-Dichter können, sollten Recruiter doch wohl auch beherrschen, dachten sich die beiden.

Die Regeln sind einfach:

Zehn Minuten auf der Bühne das Publikum unterhalten - möglichst originell. Danach gibt's Punkte von den Zuhörern. Wer bei der Bewertung absahnen will, muss sich also was einfallen lassen.

Fotostrecke

Recruiter Slam: Wenn Personaler reimen

Foto: Marcel Grünelt/ KTP

Henrik Zaborowski, Recruiting-Coach aus Bergisch-Gladbach, fasst das Leid und Elend seines Berufs in Verse:

Was ist bloß los in unserem deutschen Schuppen
Wir waren mal das Land der Denker und der Dichter,
Heute gesucht? Nur noch Mainstream-Puppen!
Typ Bobby Ewing, nur noch etwas schlichter.

Verlässlich, produktiv und loyal.
So sieht der ideale Mitarbeiter aus.
Was der sonst noch alles kann? Egal!
Selbstbewusstsein, eigenes Denken sind der Führungskraft ein Graus.

Ute Neher, Projektleiterin Personalmarketing bei der Telekom in Stuttgart, stellt sich im magentafarbenen T-Shirt auf die Bühne.

Sie will "einfach nur Ute sein".

Magenta ist die Firmenfarbe der Telekom. Doch zehn Minuten, in denen man einfach nur Ute ist, können verdammt lang werden. Selbst wenn man von seiner kleinen "zauberhaften Magenta-Traumwelt" erzählt, den Magenta-Fanclub im Publikum mit aufblasbaren Magenta-Händen klatschen lässt und seine Glasfaserhalskette präsentiert.

"So ein Recruiter Slam ist eine saucoole Idee", sagt Neher hinterher. "Die Bewerber kennen uns ja nur als Firmenvertreter. Das ist eine tolle Möglichkeit, den Menschen hinter der Funktion zu zeigen."

Über die menschlichen Seiten der Recruiter erfährt man eine ganze Menge bei so einem Slam: Der Mann von Bayer fühlt sich manchmal wie eine Sklaventreiber mit Peitsche. Der Recruiter aus Wien steigt in kurzer Lederhose und weißen Turnschuhen auf die Bühne. Auch er hat offensichtlich schon so manche Enttäuschung mit der Dating-App Tinder erlebt.

Und Henrik Zaborowski lässt seiner Neigung zu Kirchentagsritualen freien Lauf ("Steht mal auf und fasst euch alle an den Händen!").

Wir haben die Arbeit zu unserem Gott erklärt
Der uns als Sklaven hält, um sich zu vergnügen.
Leistung gibt dem Menschen seinen Wert?
Mir scheint, dieser Gott ist ein Meister im Betrügen.

Sein gereimter Appell, im Bewerber stets den Menschen zu sehen, trifft offenbar den Nerv des Publikums. Zaborowski trägt am Ende des Slam-Abends den Sieg davon.

Es wird Zeit, das volle Potential zu aktivieren.
Menschen einzusetzen nach ihren Stärken, Motiven und Interessen.
Was glaubt ihr, wie kann das passieren?

In dem wir unsere bisherigen Standards schnell vergessen.

Der Mensch ist mehr, als was er tut
Wie er tickt, ist schlecht im Lebenslauf zu sehen
Und ja, es erfordert Zeit und Mut
Genauer auf den Menschen einzugehen

Glaubt man Robindro Ullah, wird die Zukunft für die Recruiter richtig hart. Ullah geht für den eher konservativen Maschinenbauer Voith von der Schwäbischen Alb auf Personalsuche. Im Jahre 2042, slamt er, werden sich die Verhältnisse völlig umgedreht haben. Dann lassen sich die heißbegehrten Fachkräfte ihre möglichen Arbeitgeber von Apples Sprach- und Assistenzsoftware Siri vorselektieren. Und stellen auch schon mal Fragen wie: Wie reagiert die urschwäbische Firma, wenn ich in der Kantine Maultaschen als "die großen Ravioli da drüben" bezeichne? Klar, bei Voith wird daraufhin sofort der "Integrationsbeauftragte für schwäbische Kultur" aktiv.

Bei der eigentlichen Zielgruppe ist die Idee, Recruiter von ihrer menschlichen Seite zu erleben, allerdings noch nicht so recht angekommen. Die große Mehrheit der rund 300 überwiegend weiblichen Slam-Besucher sind selber Personaler. Als Ute Neher von der Telekom fragte, wer im Saal wirklich einen neuen Job suche, meldet sich ein Einziger. Und der ist mit seinem Chef da.

Foto: die arge lola

Markus Reiter ist freier Journalist und Publizist. Mit seiner Agentur Stuttgarter "Klardeutsch" hilft er Redaktionen und Unternehmen, klar und verständlich zu schreiben und zu sprechen.Homepage: www.klardeutsch.de 

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