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Reisebüro für Behinderte: Ich roll dich überall hin

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Reisebüro für Behinderte Mit dem Rollstuhl um die Welt

Wer reisen will, muss mobil sein. Oder? Martin Smik bringt Menschen mit Behinderung bis nach Kenia, Rollstuhl oder Sauerstofflasche kommen mit. Doch die Reisen haben ihren Preis.
Von Dennis Betzholz

Es war das Jahr 2001, das World Trade Center war eingestürzt, der Euro löste gerade die Deutsche Mark ab - allerorten herrschten Unsicherheit und Angst vor Fernreisen, keine Urlaubsstimmung. Es war ein Jahr, in dem viele Reisebüros schlossen. Martin Smik, 54, aus Marburg eröffnete eines. Er verkauft dort nicht nur Reisen, sondern Auszeiten vom Anderssein. Smik organisiert Reisen für Rollstuhlfahrer, Blinde, Gebrechliche - und hat sich damit selbst einen Traum erfüllt.

Die Zielgruppe ist groß: Ende 2013 lebten nach Angaben des Statistischen Bundesamtes 7,5 Millionen schwerbehinderte Menschen in Deutschland. Menschen, die im Urlaub ärztliche Hilfe brauchen, denen es schwerfällt, ihr Gepäck alleine aufzugeben oder in ein Flugzeug einzusteigen. Rund ein halbes Dutzend Reiseanbieter haben sich auf ihre Bedürfnisse spezialisiert. Dass Smik noch dazugehört, ist nicht selbstverständlich.

Sein Traum vom eigenen Unternehmen wäre beinahe zum Debakel geworden. In den ersten drei Jahren bekam er Geld von der Europäischen Union. Um danach weitermachen zu können, nahmen er und seine Mitgründerin jeweils einen Kredit in Höhe von 25.000 Euro auf. Am Ende des dritten Geschäftsjahres war das Geld weg.

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Smik ist Pädagoge und kein Betriebswirt, die Zahlen hatte er aus den Augen verloren. Ein Unterstützer rettete das kleine Reisebüro - und Smik erstickte seine Existenzsorgen in Arbeit. Anfangs war der Computer für ihn ein Buch mit sieben Siegeln, heute programmiert er seine Datenbanken selbst. Und er zieht fast täglich einen Kontoauszug, um die Zahlen im Blick zu halten.

14 Tage Kalifornien mit zwei Betreuern - 17.000 Euro

Heute hat sein Reisebüro "Weitsprung", dessen Hauptsitz in Marburg ist, Filialen in Hamburg, Bremen und Paderborn. Smik beschäftigt sechs Angestellte und kann auf mehr als 500 Freiwillige zurückgreifen. Er hat sie geschult, und nun schickt er sie mit Menschen mit Behinderung auf Reisen. Geld bekommen sie nicht, stattdessen Flug, Kost und Logis, im besten Fall sogar eine Traumreise, für die seine Kunden zwischen 1300 Euro (Mallorca) und 17.000 Euro (14 Tage Kalifornien mit zwei Betreuern) zahlen.

Im vergangenen Jahr veranstaltete Smik circa 50 Reisen mit vier bis zehn Teilnehmern - mehrere Hundert erfüllte Lebensträume. Viermal fuhr er im vergangenen Jahr selbst mit, "leider viel zu selten", wie er sagt.

Smik ist ein Spätachtundsechziger. Er kommt aus schwierigen Verhältnissen, war kein guter Schüler, blieb zweimal sitzen. In seinen Zwanzigern lebte er in einer Autonomen-WG, demonstrierte gegen den Nato-Doppelbeschluss und Atomenergie. Drei Semester lang studierte er Politik und Soziologie, ohne richtig zu wissen, warum.

"Ich will ihnen die Welt zeigen"

Den vermeintlichen Traumberuf fand er in einem Nebenjob in einem Verein für Behinderte. Smik studierte Pädagogik, landete über Umwege als Angestellter bei eben jenem Verein - und fühlte sich nach ein paar Jahren ausgebremst: "Ich wollte meine Klienten nicht nur in ihrem Umfeld betreuen. Ich wollte ihnen die Welt zeigen, ihnen neue Orte, neue Gerüche präsentieren."

Es sind rührende Reisegeschichten, die er zu erzählen hat. Von der Fahrt über die Route 66, von Chicago nach Los Angeles, für die ein Rollstuhlfahrer zehn Jahre lang gespart hatte. Von der treuen Kundin, die jeden Monat 100 Euro spart, um nach zwei Jahren mal wieder nach Mallorca aufbrechen zu können. Oder von einer alten Dame, die sich mit einer Kenia-Reise belohnte, weil sie seit zehn Jahren unter Multipler Sklerose litt.

Smik muss jedes Detail der Krankengeschichte kennen, muss wissen, welche Medikamente und welche Hilfen im Alltag benötigt werden. "Erst dann kann ich alles individuell auf die Person zuschneiden", sagt er.

New York für eine 98-Jährige

Einmal sei ein Paar mit neun Kindern zu ihm gekommen, die beiden jüngsten, sechs und neun Jahre alt, waren behindert. Sie wollten gemeinsam nach Griechenland, allerdings benötigten die Kinder eine 24-Stunden-Betreuung, eine nächtliche Sauerstoff- und Medikamentenzufuhr. "Da haben wir drei Kollegen mitgeschickt. Hauptsache, wir konnten es realisieren", sagt Smik. Die Grundversorgung sei für ihn die Pflicht, das Pflegerische, das Erlebnis, das sei dann die Kür.

Ein anderes Mal organisierte er eine Reise für eine 98-Jährige, die mit 19 Jahren an Kinderlähmung erkrankt war und nun New York sehen wollte. Ein Großteil ihrer Familie war in den Vierzigerjahren in die amerikanische Metropole ausgewandert, doch weil ihr Vater kurz zuvor schwer erkrankt war, blieben sie und ihre Eltern in Deutschland. Fast 70 Jahre später erfüllte sie sich ihren Traum: Einmal sehen, welches Leben sie hätte führen können, falls damals alles anders gekommen wäre. Zwei Jahre und einen Vietnam-Urlaub später starb die alte Dame, mit 100 Jahren.

Martin Smik ist ein ruhiger, ausgeglichener Mann. Nur eins kann ihn in Rage bringen: Die Frage, ob sich das finanziell für ihn lohnt. Er strebe nicht nach Geld, sagt er, er strebe nach Glück. Deshalb wolle er lieber eine andere Frage hören: "Macht dir das Spaß, was du tust?" Die Antwort gibt er gleich selbst: "Ja!"

Foto: Henrik Andree/ Udl Digital

Dennis Betzholz (rechts, Jahrgang 1985) hat mit Felix Plötz (Jahrgang 1983) per Crowdfunding mehr als 10.000 Euro für ihr Mutmach-Buch "Palmen in Castrop-Rauxel" eingesammelt. Darin erzählen sie elf Erfolgsgeschichten von Menschen, die neben ihrer Arbeit begonnen haben, ihrem Traum von der Selbstständigkeit zu folgen.

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