
Blumenverkäufer Khan: Der subtile Rosenkavalier
Rosenverkäufer im Kneipenviertel Liebe für alle, Hass für keinen
Mit schnellen, kleinen Schritten steuert Munawar Ahmad Khan den Ecktisch an. Aus dem Augenwinkel bemerkt die schlanke Brünette den Rosenhändler und heftet den Blick starr auf ihr Gegenüber. "Guten Abend", trällert Khan, den Strauß Rosen auf Bauchhöhe von sich gestreckt. Lange Sekunden verharrt das Paar in der Bewegungslosigkeit, die Augen interessiert auf die Pizza gerichtet. Ein energisches Kopfschütteln der jungen Frau beendet die Notlage. Khan lächelt. "Guten Appetit", wünscht er und verlässt eilig das Restaurant. "Liebe für alle", murmelt er - seine Antwort auf alles Unangenehme.
Es ist Dienstagabend, 20 Uhr. Touristen belagern die Cafés in der Lüneburger Altstadt. Keine guten Kunden für Khan, der von seiner Bekanntheit lebt. Seit 26 Jahren dreht der Blumenverkäufer fast jede Nacht seine Runden, unter der Woche bis Mitternacht, am Wochenende bis vier Uhr früh.
Neben dem schweren Blumenberg trägt Khan immer auch die Geschichte seines Erfolges auf den Lippen: Wie er vom Fremden zur Lüneburger Institution wurde, vom Asylbewerber zum Geschäftsmann. Fünf Kinder hat Khan groß gezogen, ohne staatliche Unterstützung, wie er nicht müde wird zu betonen. Eine Tochter ist heute Apothekerin, der jüngste Sohn gerade auf Weltreise. "Viele Jahre muss ich nicht mehr", sagt der 62-Jährige.

Horrorberufe-Test: Elf Jobs, die schlimmer sind als Ihrer
In Pakistan hat er hauptberuflich Waffen repariert. In Lüneburg wechselte er in den achtziger Jahren ins Rosenbusiness. Damals war er ein Exot in der kleinen Stadt. Heute lauert überall Konkurrenz. Offizielle Zahlen über den Berufsstand des mobilen Rosenverkäufers gibt es nicht, dafür aber umso mehr kuriose Geschichten. Auch Khan erzählt sie, spricht von mafiösen Strukturen im nahen Hamburg, von Rosenverkäufern, die keine Steuern zahlen und von Bettlern, die den Ruf seiner Zunft ruinieren. Khan hat nie gebettelt. Khan ist subtiler.
Ausgetretene Laufschuhe und Baseball Cap, dazu ein gebügeltes, weißes Hemd. Das immergleiche Outfit und eine anhaltend gute Laune machen Khan unverkennbar. "Na Chef", begrüßt ihn eine Runde Anzugträger. Khan strahlt. Nach seinem Befinden befragt, verdüstert sich sein Gesicht: "Scheiße. Nix los." Gelächter.
"Ich bleibe trotzdem immer freundlich"
Ein Mann mit Halbglatze zieht die Geldbörse aus dem braunen Sakko. "Na gut. Eine für meine Frau." Mit großer Sorgfalt wählt Khan eine orange Rose aus, dann noch eine und noch eine. Vier lange Stielrosen drapiert er schließlich zwischen den Biergläsern. "Jetzt tut er wieder so, als könne er nicht zählen", sagt der Mann und lacht unnatürlich laut. Khan zwinkert ihm zu und greift nach dem Zehn-Euroschein. "Schönen Abend noch", singt er zum Abschied.
Nette Kunden, findet er. Aber es gebe noch viel nettere. "Meine Stammkunden kaufen jedes Mal, wenn sie mich sehen und dann gleich für alle Frauen im Lokal." Khan spricht bewundernd über diese großzügigen Männer. Geschäftsleute oder Anwälte, mit viel Geld, großem Geltungsdrang und glücklicherweise mit Sympathien für den unermüdlichen Rosenkavalier. "Ich bin ein guter Mensch und das wissen die", sagt Khan.
Es schlägt 22 Uhr, die Zeit läuft. Denn mit vorgerückter Stunde geht der Verkauf zurück. "Zu viele Betrunkene", doziert Khan. Die kaufen nicht, manche stehlen seine Blumen, beschimpfen ihn gar. "Ich bleibe trotzdem immer freundlich." Das gebiete ihm sein Glaube, sagt der Muslim. Und natürlich der Geschäftssinn. "Wenn ich böse werde, spricht sich das schnell rum."
10.000 Mark Umsatz im Monat
In seinen besten Zeiten brachte Khan es manchmal auf bis zu 10.000 Mark Umsatz in einem Monat. Heute verdient er weniger. Läuft es gut, verkauft Khan 60 Rosen am Tag, am Wochenende sind es oft mehr. Bei 2,50 Euro pro Rose macht das 150 Euro Umsatz, abzüglich Einkaufspreis und Steuern bleiben dem Rosenverkäufer pro Verkaufstour rund 60 bis 70 Euro Gewinn.
Heute hat Khan erst 20 Rosen verkauft. Mieses Wetter macht der Verkäufer heute verantwortlich, häufiger noch ist die Weltwirtschaftskrise schuld. Im Klagen ist Khan ganz Bauer. "Das Geld sitzt nicht mehr so locker wie früher." Es ist kurz nach Mitternacht, als er die letzte Kneipe auf seiner Tour betritt. Das Publikum ist jung, Khans Kunden sind meistens alt.
Trotzdem startet der Rosenverkäufer den Zickzacklauf um die Tische, auf sein "Guten Abend" erntet er allerorts böse Blicke und schüttelnde Köpfe. Junge Männer seien keine Rosenkavaliere, weil sie bei den Frauen damit nicht punkten könnten. "Die Frauen wollen das Geld heute lieber in Bier investieren", ist Khan fest überzeugt. Anders kann er sich nicht erklären, warum eine Dame seine Rosen verschmäht.
"Huhu, Herr Khan", zwei Tische entfernt winkt eine lärmende Gruppe Mittfünfziger ihm zu, Khans Mund formt ein breites Grinsen. Es folgen die immer gleichen Gespräche, wie es denn so gehe: "Nix los", klagt Khan. Dann das Geschäftliche: "Ganz frisch vom Hamburger Großmarkt", wirbt Khan und wirbelt mit den Rosen gefährlich nah vor der Nase einer Dame herum. Belustigt blickt sie auf ein schlappes Blütenblatt. "Wenn Herr Khan lügt, sieht man nicht mal, dass er rot wird", grölt ihr Sitznachbar. Eine einträgliche Erheiterung für Herrn Khan, zehn Rosen bleiben am Tisch.
Am Ausgang pfeift ihn jemand zurück. Der Mann am Tresen trägt Trainingsanzug, zwei Vorderzähne fehlen. Er fordert eine blau-weiße Rose: "Für den HSV". Khan verkauft ihm eine weiße. Auf dem Weg zum Auto betteln betrunkene Jugendliche lautstark um ein Rosengeschenk. Khan lächelt nicht mehr. An seinem Credo aber hält er fest. "Liebe für alle Lüneburger, Hass für keinen", sagt Khan.

Ann-Kristin Mennen ist freie Journalistin und lebt in Lüneburg.