
Büroschlaf: Wo sich Arbeitnehmer schlafen legen
Mittagsschlaf im Unternehmen Augen zu und durch
Ingo Fietze erinnert sich gut an den Moment, als er seinen Mitarbeiter in flagranti erwischte. Der junge Kollege saß ganz entspannt da, zurückgelehnt in seinem Stuhl, die Augen geschlossen. Er machte ein Nickerchen - am helllichten Tage und während der Arbeitszeit. Als er seinen Chef bemerkte, schreckte er auf und stammelte Entschuldigungen. Die Sache war ihm furchtbar peinlich. Fietze winkte ab - "Alles gut, weiterschlafen!" - und ging wieder raus. "Spätestens da wusste ich: Der Mann ist bei mir genau richtig", sagt er heute.
Fietze ist Professor an der Berliner Charité und Leiter des interdisziplinären schlafmedizinischen Zentrums, das zur Uni-Klinik gehört. Er ist Verfechter des Büroschlafs. "Mir geht nicht in den Kopf, warum Schlafen bei der Arbeit so verpönt ist", sagt der 53-Jährige. Wenn jemand die Arbeit unterbricht, um eine rauchen zu gehen, sei das in Ordnung. "Aber wer für ein paar Minuten die Augen zumacht, muss Angst haben, erwischt zu werden. Das kann doch nicht angehen."
Schlaf hat in deutschen Unternehmen ein schlechtes Image. Wer am Schreibtisch einnickt, hat im Kollegenkreis bestenfalls den Ruf als Partylöwe weg, der es nächtens mal wieder übertrieben hat. Im schlimmsten Fall ist er der Assi, der andere die Arbeit machen lässt, während er sich ausruht. In der Regel gelten schlafende Kollegen aber schlicht als schwach oder faul.

Tipps für Langschläfer: Wie sag ich's meinem Chef?
Fietze will solche Vorurteile ausräumen. Wenn er in Firmen Vorträge über Büroschlaf hält, höre sich so mancher Chef die Einleitung an - und gehe dann raus. "Aber wenn der Vorgesetzte es nicht gern sieht, dass Mitarbeiter am Arbeitsplatz schlafen, wird sich im Unternehmen nichts ändern", sagt Fietze.
Dabei ist der Powernap erwiesenermaßen gesund: Er wirkt sich positiv auf das Herz-Kreislauf-System aus, eine Viertelstunde Mittagsschlaf steigert die Leistungsfähigkeit um 35 Prozent. "Die Wahrscheinlichkeit, dass wir müde werden, ist zwischen 12 und 14 Uhr sowie 16 und 18 Uhr am höchsten", sagt Schlafforscher Fietze. Durch ein Nickerchen von höchstens 30 Minuten werde man dann körperlich und geistig fitter.
"Stress lass nach" bei Unilever
Trotzdem gönnen nur wenige Unternehmen ihren Mitarbeitern Rückzugsräume. Eines, das es anders macht, ist Unilever: In der Hamburger Niederlassung des Konzerns stehen in einem abgedunkelten Zimmer eine Liege und drei Massagesessel. Von den Paravents, die die Liegebereiche voneinander trennen, lächelt Buddha milde auf die entspannungssuchenden Mitarbeiter herab. Sie können sich von dem Sitzmöbel wahlweise durchkneten lassen oder Kopfhörer aufsetzen und Entspannungsprogramme hören, wie das sechsminütige "Selbstbewusstsein" oder "Stress lass nach", das eine halbe Stunde dauert. Der Sessel fährt dann automatisch in Liegeposition, eine Spezialbrille sorgt für den nötigen Flackereffekt, wenn sich der Ruhesuchende vorstellen soll, er steht vorm Lagerfeuer.
"Die Liegen werden gut genutzt, besonders um die Mittagszeit", sagt Unternehmenssprecher Konstantin Bark. Er kenne Kollegen, die sich eine Viertelstunde vor einem wichtigen Meeting noch einmal hinlegen, um sich zu sammeln. Günstig sind die ledernen Hightech-Sessel allerdings nicht: Rund 6700 Euro kostet ein Exemplar. Dazu kommen nach Garantieablauf die Wartungskosten.
"Viele Unternehmen fürchten die Kosten, die ein Ruheraum mit sich bringt", sagt Schlafforscher Fietze. Er selbst ist daran nicht ganz unschuldig. Gemeinsam mit Akustikern und Lichtdesignern entwickelte er einen Highend-Ruheraum für das Berliner Staatsballett. Kostenpunkt für vier Entspannungsboxen mit Liegen und einem Sessel, der laut Werbebroschüre "alle vier Sinne anspricht": 40.000 Euro. "Unsere Tänzer bringen während der Vorstellungen sportliche Höchstleistungen, deshalb ruhen sie sich davor einige Stunden aus und tanken Energie", sagt Christiane Theobald, stellvertretende Intendantin des Staatsballetts. "Besonders in dieser Zeit sind die Liegen oft besetzt."
Es geht aber auch einfacher. "Wenn Unternehmen ein Zimmer übrig haben, können sie oft auch ohne großen Aufwand einen Ruheraum daraus machen", sagt Fietze. "Oft genügt schon wärmeres Licht oder eine Wanddämmung."
Nach Fietzes Erfahrungen kämen die Ruheräume bei Mitarbeitern generell gut an. Stellt man sie jedoch vor die Wahl, geht ein anderes Grundbedürfnis vor: essen. "Ein Unternehmen hat seine Mitarbeiter darüber abstimmen lassen, ob sie lieber einen Ruheraum wollten oder eine neue Kantine", sagt Fietze. "Die Kantine hat gewonnen."

Anja Tiedge (Jahrgang 1980) arbeitet als freie Journalistin in Hamburg.