Traumjobs Ein Hoch auf die Spießigkeit

Rockmusik im Anzug? Warum nicht!
Foto: CorbisLaut der jüngsten Allensbacher Berufsprestigeskala ist der beliebteste Beruf der Deutschen der des Fotografen. Ausgerechnet! Arbeitet ein Fotograf für Magazine oder Zeitungen, ist er abhängig von der Redaktion. Er mag noch so aufwühlende Bilder vor sich sehen, ein "Wir brauchen aber Palmen und Strand" als Auftragsbriefing zerschießt ihm alles, was er an eigenen Ideen, Vorstellungen, Kreativität und politischem Engagement mitbringt. Selbstbestimmung? Null!
Und beschweren darf er sich auch nicht. Sonst endet er wie die anderen Fotografen im Einkaufszentrum am Rande der Stadt, wo er Kinder mit einem Plüschhund im Arm ablichtet. Selbstbestimmung? Nullkommanull. Fotografen sind abhängig vom Auftraggeber, vom Kunden, von der Konkurrenz und immer wieder auch vom Objekt: Denn was macht ein Fotograf, wenn der Abzulichtende stockbeinig in die Kamera grinst und einfach keinen locker-lässigen Kate-Moss-Look hinbekommt?
Der Sinn, die Freiheit, die gelebte Individualität gilt als wichtigstes Gut im Job. Der Beruf als Jakobswegersatz. Nur, dass man gleichzeitig auch in die Rentenkasse einzahlt.
Warum aber stehen nun ausgerechnet Berufe, bei denen der Anteil an Selbstbestimmung mikroskopisch klein ist, ganz oben in der Beliebtheitsskala?
Selbstständige sind Sonderwunscherfüllungsmaschinen
Die viel besungene Selbstständigkeit ("Endlich bin ich mein eigener Chef") ist eine Ansammlung von Kompromissen, Schwarzbrotaufträgen und absoluter Kundenorientierung. Jeder Blumenladen muss im Februar Tulpen anbieten und im Dezember diese niedlichen kleinen vierblättrigen Kleeblätter. Die Kunden wollen es so. Warum, wissen sie oft auch nicht.
Nun könnte jemand den ersten kleeblattfreien Blumenladen gründen - aber auch die Kunden, die garantiert keine Kleeblätter kaufen wollen, haben andere Wünsche, an denen man sich orientieren muss. Selbstständige sind Sonderwunscherfüllungsmaschinen. Ebenso wie die schicken Manager aus Wirtschaft und Industrie.
Ein Marketingvorstand in einem global agierenden Konzern? Hat ein dicht gewebtes Netz aus Abhängigkeiten, oder euphemistisch, Synergien, die ihn umgeben: Abhängig vom Vertrieb, dem Vorstand, den Marketingkollegen aus Singapur und last, but not least, abhängig von all den Kollegen, die mit, für oder gegen ihn arbeiten.
Die unfreisten Berufe sind die modernen, konzernaffinen, kreativen. Und ausgerechnet diese finden wir hip und erstrebenswert?
Oft sind die Jobs, bei denen man sich die Arbeit frei einteilen kann, nach eigenen Gesetzen, unabhängig von Fremdeinflüssen, die, die niemandem in den Sinn kommen.
Die meist vierköpfige Mannschaft auf einem Seenotrettungskreuzer der Deutschen Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger arbeitet 14 Tage lang rund um die Uhr und hat dann 14 Tage frei. Die vier entscheiden, wann sie aufstehen, was an Wartungsarbeiten anliegt, welches Mittagessen gekocht werden soll und ob es sich lohnt, bei dem Schietwetter eine Kontrollfahrt nach Norderney zu unternehmen.
Selbst Noteinsätze werden mit einem Größtmaß an Eigenständigkeit abgearbeitet: Wie lange das Schiff unterwegs ist und Ertrunkene sucht, entscheidet der Kapitän. Die Geretteten werden an Bord erstversorgt - ohne Videoüberwachung, Schaulustige oder Wartezimmerbetrieb. Selbst die Ultima Ratio darf die Mannschaft laut Satzung selbst entscheiden: ob sie bei gefährlichem Seegang raus aufs Meer fahren, entscheidet allein ihr Gewissen.
Es klingt widersprüchlich: Die Arbeit eines technischen Matrosen schafft es bestimmt nicht unter die Top Ten der saucoolen Berufe - und erfüllt dennoch ein Bedürfnis, das sehr frisch und jung ist.
Auch eine Grundschullehrerin hat, im Rahmen des Lehrplanes, eine große Gestaltungsmöglichkeit. Ist das Referendariat einmal zu Ende, gibt es keinen Kollegen mehr, der ihr über die Schulter schaut und direktiv eingreift. Die Teamfähigkeit fällt nur in solchen Phasen zusammen, wo die Soft Skills eine größere Rolle spielen: Klassenfahrten, Faschingsbälle, Zeugniskonferenzen.
Selbst die Krankenschwester kann, neben vielen fachlichen Einschränkungen, sehr frei entscheiden: Will ich im Job die ruppige Alte geben oder die fürsorgliche Stationsnudel? Hier ist die Arbeit voller Vorgaben, aber nicht die Art, wie man sie ausübt.
Werber, Journalist, Model versus Fahrlehrer, Bäcker, Pastor. Es ist paradox: Je spießiger ein Job scheint, desto selbstbestimmter lässt er sich ausüben. Für die eigene Jobsuche bedeutet das: Wenn einem die Selbstbestimmtheit ein wichtiger Motivator ist, dann macht nicht die Aura eines Jobs glücklich, sondern die Gestaltungsmöglichkeiten. Dann mag zwar der Job spießig sein, die Zufriedenheit aber, die er auslöst, ist hochmodern.

Katrin Wilkens (r.) (Jahrgang 1971) ist Journalistin und hat zusammen mit Miriam Collée (l.) die Hamburger Agentur i.do gegründet. Dort suchen sie Frauen, die sich beruflich verändern wollen, einen neuen Job.Agentur i.do Hamburg