Älterwerden im Beruf "Mit 50 fängt das Ende an"

Älterer Arbeitnehmer (Symbolfoto): Nicht dauernd die Leistungsgrenzen ausreizen
Foto: CorbisKarriereSPIEGEL: Herr Sulz, Sie raten uns, schon mit 50 an die Zeit nach dem Berufsausstieg zu denken. Ist das nicht etwas früh?
Sulz: Nein. Mit 50 ist das Jungsein endgültig zu Ende. Da wird einfach eine Grenze überschritten.
KarriereSPIEGEL: So mancher Manager ist da gerade erst auf dem Höhepunkt seiner Macht.

Professor Dr.med. Dr.phil. Serge K.D. Sulz (Jahrgang 1946) ist Arzt, Psychologe und Psychotherapeut in München. Er war lange Jahre in der Ausbildung von Psychotherapeuten tätig, unter anderem als Leiter des Centrums für Integrative Psychotherapie (CIP). Heute leitet er die Coaching Academy CIP in München und plädiert dafür, die Menschen besser auf ein gesundes und erfülltes Alter vorzubereiten.
Sulz: Das kann durchaus sein. Aber er ist eben keine Frischware mehr und sollte daher nicht so tun, als ob er noch locker 15 Jahre Zeit hätte, um die Weichen für sein Alter zu stellen. Manches davon braucht eine lange Anlaufzeit.
KarriereSPIEGEL: Zum Beispiel?
Sulz: Wer bisher Raubbau mit seinem Körper getrieben hat und unter Bluthochdruck oder Übergewicht leidet, der muss dringend handeln, wenn er einen gesunden Alterungsprozess erleben will. Andere betreiben exzessiv Sportarten, die einen hohen Verschleiß mit sich bringen. Sie sollten sich ernsthaft fragen, wie lange das noch gut geht. Es nützt mir doch nichts, wenn ich weiter Marathon laufe, aber mit 65 kaputte Knie habe. Ab 50 braucht der Körper andere Arten von Bewegung.
KarriereSPIEGEL: Aber zumindest geistig ist man mit 50 doch noch fit.

Altersvorsorge: Lebenslust und Ruhestandsbezüge
Sulz: Die kognitiven Fähigkeiten erreichen sogar erst im Alter von 50 bis 60 Jahren ihren Höhepunkt. Aber das Gehirn reagiert langsamer, erfasst weniger Dinge gleichzeitig und braucht eine längere Erholungszeit. War es früher kein Problem, auf drei Dinge zugleich rechtzeitig zu reagieren, bekommt man im Alter nicht mehr alles so gut mit. Manche Hirnfunktionen müssen wir daher anders kompensieren, indem wir uns zum Beispiel auf gute Mitarbeiter oder Kollegen verlassen oder die Komplexität verringern und weniger Themen auf die Agenda einer Besprechung setzen. Die Gleichzeitigkeit sollte mehr zu einem Hintereinander werden. Das wird in der heutigen Medienwelt natürlich immer schwieriger.
KarriereSPIEGEL: Aber können wir das nicht mit Erfahrung ausgleichen?
Sulz: Erfahrung ist zwar ein Plus, aber sie ist nicht mehr so punktgenau verfügbar. Der Überblick geht nicht verloren, aber die Details. Und gerade die braucht man bei komplexen Entscheidungsprozessen. Auch die Stresstoleranz sinkt allmählich. Das passiert schleichend. Viele nehmen es nicht wahr. Aber ich muss einfach erkennen, dass meine körperlichen und psychischen Ressourcen nicht mehr hundertprozentig einsetzbar sind und in kleinen Schritten Korrekturen durchführen.
KarriereSPIEGEL: Wie soll das gehen? Auch mit 50 wird doch heute volle Leistung verlangt.
Sulz: Wenn Sie es geschickt anstellen, wird Sie niemand davon abhalten, von hundert auf achtzig Prozent herunterzufahren. Denn oft tut die neue Einstellung so gut, dass Sie so sogar leistungsfähiger werden, wenn Sie einen Gang herunterschalten und sich nicht mehr ständig übermäßig anstrengen. Doch leider sind viele darauf programmiert, immer die maximale Leistung zu erbringen.
KarriereSPIEGEL: Viele Ältere leiden darunter, wenn ihre Meinung und ihr Wissen plötzlich nicht mehr so gefragt sind.
Sulz: Auch darüber muss ich mir frühzeitig klar werden und schauen, ob es noch etwas anderes gibt, damit ich mich auch ohne Job noch nützlich und wertvoll fühle. Ein bisschen Ehrenamt oder Hobby wird da nicht reichen. Das muss schon etwas wirklich Erfüllendes sein, und das erfordert eine längere Anlaufzeit.
KarriereSPIEGEL: Warum tun sich oft gerade Manager so schwer mit dem Aufhören?
Sulz: Wer im Beruf immer am Limit agiert hat, macht im Ruhestand oft genauso weiter - oder sogar noch hektischer. Da wird auf Teufel komm raus um die Welt gereist, nur um das eigene Alter nicht zu spüren. Andere mogeln sich mit Vortragsmarathons von einer Konferenz zur nächsten durch. Das kommt mir manchmal vor wie im Dschungelcamp. So wie C-Promis versuchen, sich dort wieder ins Gespräch zu bringen, nutzen pensionierte Professoren oder Manager ihre Vorträge. Aber auch das ist ein Stück Verleugnung der eigenen Lebensrealität.
KarriereSPIEGEL: Ist das nicht auch eine gute Möglichkeit, seine Netzwerke weiter zu pflegen?
Sulz: Wir müssen akzeptieren, dass unser berufliches und privates Netzwerk mit zunehmendem Alter immer kleiner wird. Dabei meine ich gelebte Freundschaften und keine Telefonbuch-Bekannten. Daher ist es wichtig, rechtzeitig Bilanz zu ziehen und sich ein neues oder erweitertes privates Netzwerk aufzubauen, und zwar eines, das das Berufsleben überdauert. Das passiert nicht von heute auf morgen, und ich muss einen Teil meiner Energie dafür verwenden. Aber dafür entstehen zwischen 50 und 60 häufig auch neue und belastbare Freundschaften.
KarriereSPIEGEL: Sie fordern eine "Revolution der 50- bis 70-Jährigen". Wie soll die aussehen?
Sulz: Die Alten haben die Klugheit und Erfahrung, die Kontakte, den Einfluss und das Geld, um etwas in der Gesellschaft zu verändern. Sie können ein Unternehmen, einen Verein oder eine Initiative gründen und sich so aktiv in die Gesellschaft einbringen. Wir können es uns als Gesellschaft nicht leisten, die Älteren aufs Abstellgleis zu schieben. Aber die müssen sich besser auf die neue Lebensphase vorbereiten.

Das Interview führte KarriereSPIEGEL-Autorin Bärbel Schwertfeger. Sie ist freie Journalistin in München.