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Gerichtsurteil Ein Klaps auf den Hintern kostet nicht den Job

Hat der Chef nur eine lockere Art, oder ist das schon sexuelle Belästigung? Wenn Übergriffe vor Gericht landen, ist die Abwägung oft schwierig. In einem neuen Fall kam der Beschuldigte überraschend glimpflich davon.
Ein Klaps auf den Po ist kein Kündigungsgrund - das entschied ein Berliner Richter

Ein Klaps auf den Po ist kein Kündigungsgrund - das entschied ein Berliner Richter

Foto: Corbis

Der Niederlassungsleiter einer Zeitarbeitsfirma, nennen wir ihn Herrn S., gab sich gern locker im Umgang mit seinen jungen Mitarbeiterinnen, die meisten noch in der Ausbildung. Er soll ihre Kleidung kommentiert haben, ihnen mit der flachen Hand auf den Hintern geschlagen haben oder sie von hinten gegriffen und kräftig geschüttelt haben, so die Frauen.

Als locker empfanden die das freilich nicht. "Er hatte eine Art Terrorregime aufgebaut, die Mitarbeiterinnen waren total verängstigt", so Alexander Birkhahn. Er vertritt als Anwalt der Kanzlei Dornbach die Zeitarbeitsfirma gegen Herrn S.

Als der Geschäftsführer aus der Zentrale der Firma die Niederlassung in Berlin besuchte, vertrauten sich die jungen Frauen ihm an. Zwei weitere Kolleginnen erklärten daraufhin ebenfalls, von S. sexuell belästigt worden zu sein. Herr S., der zu diesem Zeitpunkt gut zweieinhalb Jahre angestellt war, wurde fristlos entlassen. Dagegen klagte er und bestreitet, gegen seine Pflichten verstoßen zu haben.

Arbeitsrechtler im ständigen Balanceakt

S. bekam nun vor dem Arbeitsgericht Berlin recht. Es fehle an einem wichtigen Entlassungsgrund nach Paragraf 626 Abs. 1 BGB, so der Richter. Zwar zweifelt die Kammer wenig an der sexuellen Belästigung und erkennt eine Verletzung arbeitsrechtlicher Pflichten im Sinne des Allgemeinen Gleichstellungsgesetzes (AGG). Doch muss sie auf der anderen Seite den Kündigungsschutz von Herrn S. berücksichtigen. Und kommt zu dem Schluss, dass nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit in diesem Fall eine Abmahnung gereicht hätte.

Ist das in Ordnung? Das Urteil zeigt, wie subjektiv Verhältnismäßigkeit sein kann.

Und es ist symptomatisch für den Balanceakt, den deutsche Arbeitsrechtler derzeit vollbringen. Als Diener zweier Gesetze müssen sie einerseits das AGG anwenden und (potenzielle) Opfer schützen. Sie müssen klarmachen, dass sexuelle Übergriffe keine Bagatelle sind.

Aber sie dürfen auch nicht den in Deutschland umfassenden Kündigungsschutz vernachlässigen, müssen das Weiterbeschäftigungsinteresse des vermeintlichen Täters ernst nehmen. Sehr häufig steht bei Fällen dieser Art auch im Raum: Vielleicht war es ja doch ganz anders - meistens gibt es keine weiteren Zeugen für die Vorfälle.

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Als Richtschnur gelten die Urteile des Bundesarbeitsgerichts (BAG). "Das BAG versucht, klare Grundsätze aufzustellen. Einerseits akzeptiert es eine sexuelle Belästigung grundsätzlich als wichtigen Grund für eine außerordentliche Kündigung. Doch gleichzeitig sagt das BAG auch: Es müssen immer die Einzelfälle angeschaut werden. Gibt es beispielsweise mildere Mittel, mit denen das Opfer genauso gut geschützt werden kann, ohne dass der Täter seine Arbeit verliert? ", sagt Cornelia Marquardt, Arbeitsrechtschefin der Kanzlei Norton Rose Fulbright.

Denkbar wäre beispielsweise eine ordentliche Kündigung, eine Versetzung in eine Betriebsstätte, in der nur Männer beziehungsweise nur Frauen arbeiten. Oder eine Abmahnung, wenn im Laufe der Gespräche klar wird: Der oder die tut das nie wieder. Diese Gelbe Karte zeigt: Hier hat ein Arbeitnehmer ernsthaft gegen seine Pflichten verstoßen. Wer bereits Abmahnungen erhalten hat, kann bei erneutem Fehlverhalten schneller gekündigt werden. "Es gibt aber auch Fälle, da zeigt der Täter keinerlei Einsicht, sagt, er sei provoziert worden. Dann bringt eine Abmahnung nichts und ist dann auch nicht erforderlich", so Arbeitsrechtlerin Marquardt.

Busengrapscher-Urteil als Referenz

Wegweisend ist das sogenannte "Busengrapscher-Urteil" des Bundesarbeitsgerichtes vom November 2014 (2 AZR 651/13 ). Die Abwägung des Gerichts von AGG versus BGB in der Urteilsbegründung gilt als beispielhaft: Ein seit 16 Jahren ohne Beanstandung angestellter Kfz-Mechaniker hatte einer Putzkraft im Waschraum an die Brust gefasst. Der Arbeitgeber setzte den Mann mit sofortiger Wirkung vor die Tür. Er gestand die Tat, nannte sie einen Black-out, entschuldigte sich umfassend und überwies der Reinigungskraft ein Schmerzensgeld. Diese sah von einer Anzeige ab, doch der Arbeitgeber blieb bei seiner fristlosen Kündigung. Das war übertrieben, so das BAG. Hier muss eine Abmahnung reichen.

Einmal ist also keinmal? Im Fall eines Mitarbeiters eines Möbelhauses galt das im Oktober 2007. Das Möbelhaus stellte dem Täter eine Abmahnung zu, weil er eine Mitarbeiterin mit einem Schlag auf den Hintern belästigt hatte. Doch schon ein Jahr später war es wieder soweit - der Mann machte bei vier Gelegenheiten Bemerkungen sexuellen Inhalts gegenüber einer Kollegin. Und wurde fristlos entlassen . Hätte das zweite Opfer geschützt werden können durch eine sofortige Kündigung? Verharmlost der Gesetzgeber sexuelle Belästigung, indem er Tätern einen Freischuss erlaubt?

Ähnliche Fragen stellen sich nun auch die Anwälte in Berlin. "Was müssen sich die Mitarbeiter alles bieten lassen, bevor jemand wegen sexueller Belästigung gekündigt werden kann?", so Rechtsanwalt Birkhahn. "Die aktuelle Rechtsprechung ist nicht frauenfreundlich - die Opfer sind nämlich meistens weiblich."

Vielleicht ein Grund, weshalb die wenigsten Fälle überhaupt vor Gericht landen. Da eine sexuelle Belästigung oft einhergeht mit einer hierarchischen Abhängigkeit des Opfers vom Täter, schweigen viele Opfer aus Angst um ihren Arbeitsplatz. Andere schämen sich, befürchten, nicht ernst genommen zu werden, oder scheuen eine Aussage vor Gericht. Dort zählt nur, was konkret belegt werden kann. Opfer brauchen also einen Kalender oder Tagebuch, wo sie die einzelnen Vorfälle konkret dokumentiert haben - mit Datum und Uhrzeit.

Dennoch ist sexuelle Belästigung nicht mehr ein solches Tabu, wie sie es lange war. Anwältin Cornelia Marquardt: "Es gibt heute mehr Fälle, die verhandelt werden. Doch nicht weil mehr passiert, sondern weil die Opfer eher den Mut aufbringen, die Belästigung zu melden."

Helene Endres ist Redakteurin beim manager magazin.

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