
Sharing-Portale: Unsere Häuser, unsere Autos, unsere Boote
Teilen als Geschäftsidee Deins, meins - egal
Philipp Gloeckler will dieses Jahr nichts kaufen. Es ist ja schon alles da. Es gehört zwar nicht ihm, aber das macht ja nichts. Der 28-Jährige leiht lieber. Mit fünf Leuten arbeitet er an der App Whyown.it. Über das Portal kann man im digitalen Freundeskreis nach Dingen suchen, die man leihen oder verleihen möchte. "Nur weil uns die großen Konzerne einreden, wir müssten alles selbst haben, stimmt das noch lange nicht", sagt Gloeckler. "Ich besitze liebend gern nichts, habe aber Zugang zu allem." Demnächst fährt er mit einem geliehenen Snowboard in den Wintersport.
Die "Access society", die Zugangsgesellschaft, hat der amerikanische Soziologe und Ökonom Jeremy Rifkin schon im Jahr 2000 propagiert: Der Zugang zu Produkten und Ideen zähle in Zukunft weit mehr als schwerfälliger Besitz. "Collaborative Consumption", gemeinschaftlicher Konsum, nennt es Rachel Botsman, die Vordenkerin der gleichnamigen Bewegung.
Sie sieht in der neuen Vernetzung immense kulturelle und kommerzielle Sprengkraft: Der Konsument ist nicht mehr passiv, sondern speist aktiv seine Güter in den Kreislauf des Tauschens und Teilens ein - entweder aus Überzeugung oder um mit brachliegendem Besitz Geld zu verdienen oder gleich beides.
Weg von der Wegwerfgesellschaft
Couchsurfer übernachten gratis bei ihresgleichen, Bookcrosser bringen Gelesenes geldlos in den Umlauf. Aber die Ökonomie des Teilens wird zunehmend auch ein relevanter Wirtschaftsfaktor: Der Mitwohnvermittler Airbnb, der Privatquartiere als Alternative zum Hotel anbietet und dafür eine Provision kassiert, hat schon mehr als zehn Millionen Übernachtungen vermittelt. Automobilhersteller Daimler bietet in deutschen Großstädten mit Car2go Smarts zum Teilen an. Und Autovermieter Avis erwarb jüngst den amerikanischen Carsharer Zipcar - für mehr als eine halbe Milliarde US-Dollar. Die diesjährige Computermesse Cebit hat sich sogar "Shareconomy" als Leitmotto verpasst.
Noch ist der Anteil des Gemeinschaftskonsums an der Gesamtwirtschaft gering. Eine große Online-Umfrage des Cloud-Computing-Unternehmens Salesforce.com vor gut einem Jahr zeigte: Weniger als fünf Prozent der Befragten haben selber schon einmal Sharing-Plattformen ausprobiert. Je älter die Nutzer, desto skeptischer waren sie gegenüber dem Konzept. Insgesamt sagten aber mehr als 70 Prozent der Befragten, dass Teilen immer populärer werde.
Weg von der Wegwerfgesellschaft - das wünschen sich offenbar viele. Der Essener Nachhaltigkeitsexperte Johannes Reidel steht den Tauschangeboten dennoch skeptisch gegenüber: "Es ist ein Ansatz in Richtung einer nachhaltigen Entwicklung, aber es ist empirisch noch nicht erwiesen, dass es tatsächlich Vorteile bringt." Eine Tauschökonomie müsse nicht notwendig zu mehr Nachhaltigkeit führen. "Einerseits muss man den logistischen Aufwand für den Transport der Güter bedenken, andererseits könnten sich einige Shared-Consumption-Modelle sogar konsumsteigernd auswirken."

Gründer im Zweifel: Soll ich dafür meinen Job kündigen?
Tatsächlich gehen fast wöchentlich neue Tausch- und Sharingportale an den Start. Die meisten müssen aber erstmal Lehrgeld zahlen. So auch Michael Aechtler, der 2010 das Portal Leihdirwas gegründet hat: "Nach dem Start haben uns gewerbliche Anbieter mit Angeboten zugeschüttet. Da waren 80.000 Artikel eingestellt, aber niemand meldete sich mehr an, weil zum Teil auch Mondpreise verlangt wurden."
Aechtler und seine Mitstreiter entschieden sich für einen radikalen Schnitt: "Bei unserem Relaunch im März 2012 haben wir alle User und alle Artikel rausgeschmissen und sind komplett neu gestartet." Beliebtestes Leihobjekt der Plattform ist nun Aechtlers eigenes Kostüm des Filmschurken Darth Vader aus "Star Wars", das er für 69 Euro pro Woche anbietet. Ein gutes Beispiel für Gegenstände, die man nun wirklich nicht täglich braucht. Warum sollen sie herumliegen, wenn sie auch Geld bringen können? Das teure Kostüm habe sich längst mehrfach amortisiert, behauptet Aechtler.
Er glaubt, dass die Vernetzung von Freunden alleine wenig bringt. "Freunde sharen nicht", ist seine These, "Leute leihen sich über eine Plattform nichts von Freunden oder Nachbarn aus. Die Transaktionen finden zu 99 Prozent unter Fremden statt. Unsere Plattform soll das Vertrauen zwischen Fremden herstellen."
Darf ich mal Ihre Toilette nutzen?
Das kann ein heikler Spagat sein, gerade, wenn es darum geht, anderen Leuten Zugang zu privaten Bereichen zu geben. Die App "Cloo" etwa, bisher auf amerikanische Großstädte beschränkt, hat sich eines dringenden Alltagsproblems angenommen: Man ist in einer fremden Stadt unterwegs und muss mal - will aber nicht in einem Café oder Restaurant fragen müssen. Die App zeigt auf einer Karte, wo Freunde und Freunde von Freunden aus dem sozialen Netzwerk gegen ein kleines Entgelt Zugang zu ihrer privaten Toilette gewähren. Ganz Fremde sollen das freie WC nicht angezeigt bekommen.
Vertrauen, das ist auch Rachel Botsmans These, ist die neue Bonität in der digital vernetzten Welt. Auf allen Portalen können Nutzer die Erfahrungen bewerten, die sie miteinander gemacht haben - sei es als Käufer oder Verkäufer. Wem man sein Auto oder seine Bohrmaschine leihen oder wen man in seine Wohnung lassen möchte, hängt entscheidend davon ab, welche digitale Reputation der Handelspartner genießt.
Für neue Portale ist es naturgemäß schwierig, hier aussagekräftige Größen zu liefern. Start-ups wie Trustcloud versuchen, die Vertrauenswerte verschiedener Plattformen, wie etwa Ebay und Amazon, zu einem aussagekräftigen Gesamtwert zu aggregieren, ähnlich wie in der Old Economy die Schufa Kreditwürdigkeit ermittelt. Künftig könnte ein Trustcloud-Wert entscheiden, welche Angebote man nutzen kann - und am Ende vielleicht sogar zu welchem Preis, je nachdem, wie hoch der Risikoaufschlag ausfällt.

Maren Hoffmann ist Redakteurin bei manager magazin Online. Dort erschien ihr Beitrag zuerst.