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Shipspotter Kunadt: Paparazzo des Schiffsverkehrs

Foto: Jörg Römer

Beruf Shipspotter Die dicken Models vom Hamburger Hafen

Thomas Kunadts Leben dreht sich um Schiffe, den ganzen Tag lang lauert er ihnen auf. Als Shipspotter sammelt er Fotos von den Riesen der Meere. Inzwischen hat er aus dem Hobby einen Beruf gemacht - und konkurriert mit anderen Pott-Paparazzi eifersüchtig um den besten Schuss.

In der Ferne ist ein tiefes Tuten zu hören. Thomas Kunadt, 44, unterbricht seinen Satz, lauscht dem Horn andächtig und lächelt sanft, als hätte er gerade einem Küken beim Schlüpfen aus dem Ei zugesehen. "Das ist die Begrüßung von 'Tamina'. Sie fährt gerade am Hauptsitz der Reederei vorbei - für den Eigner ein ganz besonderer Augenblick", sagt er über den Containerkahn, der sich gerade auf der Elbe Richtung Hamburger Hafen bewegt.

Kunadt wirft einen schnellen Blick auf seine beiden Bildschirme. Dann redet er weiter über Frachter, Öltanker und Containerriesen. Schiffe sind Kunadts Beruf, Hobby und Leidenschaft in einem. Eigentlich ist er Fotograf, seine Models aber sind ausschließlich die dicken Pötte, die jeden Tag die Elbe rauf und runter fahren.

Shipspotter lautet der Fachbegriff für Kunadts Lebensinhalt. Bekannter sind Trainspotter, die nach Fahrplan Züge knipsen, Planespotter, wenn es um Flugzeuge geht, oder Birdspotter bei Vögeln. Überall, wo Schiffe vom Land aus beobachtet werden können, liegen die Shipspotter mit riesigen Objektiven auf der Lauer und jagen einem neuen Bild für die Sammlung nach.

"Jeden Tag kommen etwa zwei Schiffe, die noch nie hier waren"

Kunadt ist einer der wenigen, die davon auch leben können. Bis zu fünf Mal am Tag fährt er von seiner Wohnung im Hamburger Viertel Blankenese mit dem Rad an die knapp 300 Meter entfernte Elbe und fotografiert vorbeifahrende Schiffe. Seit 16 Jahren. "Jeden Tag kommen etwa zwei Schiffe nach Hamburg, die noch nie hier waren und mit großer Wahrscheinlichkeit auch nie wieder kommen werden", sagt Kunadt.

Inzwischen ist er über eine Leiter auf sein Dach geklettert. Von hier aus hat er beste Sicht auf den Fluss. Mit den Schiffen liefert er sich täglich ein Wettrennen, sie bestimmen seinen Lebensrhythmus. Von "Tamina" hat er schon knapp 30 Aufnahmen in seiner Sammlung, Kunadt ist entspannt.

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Foto: dapd

Auf seinen Festplatten befinden sich über 18.000 Fotos, 80.000 Dias hortet er in Aktenordnern. Ungefähr 21.000 verschiedene Schiffe hat Kunadt in seinem Archiv, schätzt er. Seine Kunden sind Reeder, die sich Bilder von ihrer Flotte ins Büro hängen wollen, Seeleute auf der Suche nach alten Erinnerungen oder auch Zeitungen und Fernsehsender, die bei einer Piratenattacke ein aktuelles Bild des entführten Schiffs benötigen.

Noch bis vor einem Jahr musste sich Kunadt immer mal wieder mit Nebenjobs über Wasser halten. Inzwischen hat er sich mit dem Verkauf von Bildbänden und Kalendern ein weiteres Standbein geschaffen. Fünf Bücher mit seinen Fotos hat er inzwischen veröffentlicht. Derzeit arbeitet er an einem neuen exklusiven Bildband, der noch dieses Jahr erscheinen soll und bereits vorbestellt werden kann . Ein Shipspotter-Traum: 500 Fotos, die ausschließlich Schiffe zeigen.

Langfristig will sich Kunadt eine weitere Einnahmequelle erschließen - die größte Schiffsdatenbank der Welt. Seit Jahren hackt er zwischen seinen maritimen Fotojobs zu jedem der Schiffe ausladende Datensätze in seinen Rechner - über 580.000 sind bereits gespeichert. Mit den Fotos und Daten könnte er jahrelang jede Woche ein neues Schiffsquartett auf den Markt bringen. Kunadt will seine Sammlung irgendwann kommerziell nutzbar machen. Das sei aber ein Langzeitprojekt.

"Den Schiffen schaue ich immer zuerst auf den Bug"

Shipspotter wurde er eher zufällig. 1991 kam er aus der Nähe von Dresden nach Hamburg, um Musikwissenschaften zu studieren, aber er wollte lieber fotografieren. Als er zufällig eine Wohnung nahe der Elbe bezog, hatte er schnell die ersten Containerriesen im Sucher. Bald wollte er nichts anderes mehr , und ihm wurde klar: "Schiffe sind es, das ziehe ich jetzt durch." Die Ozeanriesen sind für ihn ein Symbol der Freiheit. "Das mag auch damit zusammenhängen, dass ich in der DDR hinter einer Mauer aufgewachsen bin", glaubt er.

Bis er einen Grundstock hatte und sein erstes Bild verkaufen konnte, vergingen Jahre. Erst nach und nach wurde aus dem Hobby ein Broterwerb. Inzwischen wagt er sogar Fotoreisen auf eigene Kosten. Auf einer dreiwöchigen Tour hat er 2008 die fünf größten Containerhäfen der Welt abgeklappert. In Hongkong, Singapur oder Shanghai entstanden in drei Wochen über 18.000 Bilder, die besten konnte er verkaufen.

Thomas Kunadts kindliche Begeisterung kann leicht kurios wirken. Als er später am Nachmittag einen kleinen Frachter fotografiert, sagt er Sätze wie "Den Schiffen schaue ich immer zuerst auf den Bug". Mit dem Begriff Freak hat er kein Problem, auch wenn er manchmal befremdete Blicke erntet. "Ich tue das nicht nur für mich. Ich bin ein Übersetzer, der Faszination für Schiffe vermitteln will." Seine Sprache seien eben seine Bilder, der Hafen ein hochspannendes Logistik-Wunderwerk. "Da unten läuft ein Krimi ab, und keiner kriegt es mit", sagt er.

Tracking-Dienste erleichtern die Suche

Diesen Krimi findet seine Freundin nur mäßig spannend. Sie kommt aus der Branche, verkauft Seekarten. Wenn Kunadt auch am Wochenende in aller Frühe an den Fluss eilt, wünscht sie sich dann doch Fahrverbotszeiten für Schiffe.

Der kleine Frachter ist weg. Kunadt sitzt wieder an seinem Schreibtisch. Vor ihm stehen zwei Computer-Monitore, der eine empfängt die Bilder von zwei Webcams, die direkt am Fluss installiert sind. Auf dem anderen zeigt der Schiffsmeldedienst, wer in den nächsten fünf Stunden im Hafen an- und ablegen wird.

Seit einigen Jahren nutzt Kunadt zusätzlich Internet-Tracking-Dienste wie Marinetraffic oder Vesseltracker. Sie zeigen die genaue Position von Schiffen an und nutzen dabei ein UKW-Funksignal der Pötte.

Vesseltracker wurde 2006 von drei Hamburgern gegründet. Ursprünglich sollten mit dem Dienst vor allem Reeder, Schiffsmakler oder Lotsen den Verkehr auf den Weltmeeren vom Schreibtisch aus verfolgen. Für die überwiegend kostenpflichtigen Ortungsdaten hat Vesseltracker weltweit kleine Antennenstationen aufgebaut - inzwischen sind es über 700. Der Service sprach sich in der Szene der Shipspotter schnell herum.

"Schlafen mit der Kamera um den Hals"

Zusätzlich ist der Dienst ein soziales Netzwerk für Schiffsfreaks. Inzwischen haben über 200.000 Kunden und Schifffahrtsbegeisterte über 800.000 Fotos hochgeladen, einige Mitglieder haben gleich Tausende Bilder gepostet. "Um das beste Foto zu erhaschen, stehen die Fotografen mitten in der Nacht auf. Man könnte denken, die schlafen sogar mit der Kamera um den Hals", sagt Ralf Paahsen, einer der Betreiber von Vesseltracker.

Die Branche profitiert davon. Ein Reeder entdeckte auf dem Bild eines Shipspotters veränderte Aufbauten auf seinem Schiff. Mit der Konstruktion hätte der Kahn nicht ins Dock gepasst. Die Firma konnte noch rechtzeitig neu planen, erzählt Paahsen. Wenn Interesse an den Fotos besteht, stellen die Hamburger den Kontakt zu den Fotografen her. So konnten schon einige Shipspotter ihre Bilder verkaufen.

Dadurch entsteht innerhalb der Szene Konkurrenz. Die Nutzer können die Aufnahmen bewerten. "Das ist manchmal wie im Kindergarten, weil viele Fotografen denken, ihre Fotos hätten eine bessere Bewertung verdient", sagt Paahsen.

"Das Licht war einzigartig"

So ein Konkurrenzgebaren kennt auch Thomas Kunadt. Inzwischen hat er sich aus der Szene etwas zurückgezogen. Schließlich sei die Schiffsfotografie inzwischen sein Beruf und kein Hobby mehr, sagt er. Trotzdem geht auch Kunadt mal ein Kahn durch die Lappen.

An einen erinnert er sich noch gut. Auf Hawaii hat er vor Jahren vom Land aus ein altes Kreuzfahrtschiff in der Abendsonne erspäht. "Das Licht war einzigartig, das Schiff lag friedlich vor Anker - ein wunderschöner Anblick", sagt er noch immer ergriffen. Trotzdem ist der inzwischen abgewrackte Kahn nicht in seiner Datenbank. Er hatte seine Kamera im Hotel vergessen. Darüber ärgert er sich noch heute.

Jörg Römer (Jahrgang 1974) ist freier Journalist in Hamburg. Er schreibt über Gesundheitsthemen, Sport und ist KarriereSPIEGEL-Autor.

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