
Kirmesboxer: Schlag mich!
Kirmesboxer Ein Job für Schlägertypen
Um den jungen Mann mit Hornbrille machen sich alle ein bisschen Sorgen. Mit seinem gestreiften Hemd und den gegelten Haaren wirkt er wie ein Doktorand, der seine Nase lieber in Bücher steckt, als sie sich in einem Kirmeszelt brechen zu lassen. Aber er ist hier, auf der Düsseldorfer Rheinkirmes. Und vor kaum einer halben Stunde hat er sich unter dem Beifall der Menge als Freiwilliger gemeldet, um gegen Orhan Akgüz, 22, anzutreten.
Akgüz ist einer von 30 Boxern aus dem "Fight Club" von Charly Schultz. Seit 2008 gehört er zum Team; wenn die Kirmesboxbude in Düsseldorf, Herne oder Stuttgart gastiert, ist er dabei. An diesem Tag ist er schon gegen zehn oder elf Gegner in den Ring gestiegen, genau weiß er es nicht mehr. Neun Tage dauert die Rheinkirmes, über die gesamte Zeit kommt Akgüz auf etwa 100 Kämpfe. Und gerade das macht für ihn den Reiz aus.
"Ich bin seit acht Jahren im Boxverein, aber die Anzahl von Sparringspartnern ist dort begrenzt", sagt er. Nur beim Kirmesboxen habe er die Chance, in so kurzer Zeit gegen so viele verschiedene Gegner mit unterschiedlichem Stil, Körperbau und Können anzutreten. "Das ist eine gute Ergänzung zu meinem sonstigen Training und hilft mir auch in meiner Karriere als Amateurboxer weiter."
"Ich hab da so eine Wette verloren..."
Der junge Mann mit Hornbrille sagt auf die Frage nach seiner Motivation etwas betreten: "Ich hab da so eine Wette verloren..." Doch dann zieht er sein Hemd aus, und die Zuschauer staunen. Sein trainierter Oberkörper will so gar nicht zum Bild des harmlosen Klassenprimus passen.

Boxen für Anzugträger: Immer mitten ins Gesicht
Vom ersten Glockenschlag an geht der junge Mann mit einer Vehemenz und Brutalität auf Orhan Akgüz los, dass man den Eindruck gewinnt, Wettschulden seien für ihn Ehrenschulden. Es bleibt ihm auch wenig Zeit: Gerade einmal zwei Runden à eine Minute stehen den Besuchern zur Verfügung, um die Kirmesboxer für mindestens zehn Sekunden auf die Bretter zu schicken - wer das schafft, dem winkt ein Preisgeld zwischen 50 und 300 Euro, je nach Stärke und Gewichtsklasse der Boxer.
Akgüz ist mittlerweile 150 Euro wert. Sollte der junge Mann mit Brille gewinnen, müsste er ihm das Geld aus eigener Tasche zahlen. Das Eintrittsgeld der Zuschauer, sieben Euro pro Person, wird von Charly Schultz verwaltet. Wie viel er davon bekommt, will Akgüz nicht verraten, "aber es ist genug, damit ich jedes Jahr wiederkomme". Dass seine Bilanz stimmt, liegt auch daran, dass er noch nie verloren hat.
"Hochnäsige Typen kriegen ein paar aufs Maul"
Seinen aktuellen Gegner hat er wohl unterschätzt, er kassiert zum Auftakt zwei kraftvolle Leberhaken. Als ihm klar wird, dass da einer steht, der ihm ernstlich ans Leder will, schlägt er auf Gesicht und Oberkörper seines Gegners ein, wie auf ein Schnitzel.
"Wenn da ein anständiger junger Mann steht, der ein bisschen Erfahrung sammeln will, dann gehe ich die Sache locker an", sagt Akgüz. "Aber solche hochnäsigen Typen kriegen schon mal ein paar aufs Maul."
Das klingt einleuchtend, macht die Vorstellung aber nicht weniger furchteinflößend, sich Tag für Tag mit einem Dutzend wildfremder Kontrahenten schlagen zu müssen. "Ich respektiere meine Gegner und versuche, niemanden zu unterschätzen. Angst habe ich aber niemals gehabt", sagt der Deutschtürke.
Vor vier Jahren waren die Rollen noch anders verteilt: Damals schickte Akgüz als Gast einen von Charly Schultz' Boxern auf die Bretter. Schultz machte ihm vom Fleck weg ein Jobangebot. Seitdem kämpft Akgüz, der bei der Objekt- und Personenschutzfirma Hectas eine Ausbildung zur Fachkraft für Schutz und Sicherheit macht, mindestens dreimal im Jahr im "Fight Club" auf deutschen Volksfesten, Jahrmärkten oder, auch das kommt vor, bei Unternehmensfeiern. Für die Boxkämpfe nimmt sich Akgün extra Urlaub.
Stümperhaftes Schauspiel
Sein Ziel ist es, Profiboxer zu werden. Manchmal verläuft die Karriere auch umgekehrt: vom Boxer zum Zuschauer. Um die Menge anzuheizen und der eigenen Aura der Unbesiegbarkeit entgegenzuwirken, treten Schultz' Leute bisweilen als vermeintliche Freiwillige auf, die dann zum Ende der Show hin einen überraschenden K.-o.-Sieg erringen. Die Schwindelei lohnt sich, denn während die Menge im Boxzelt über auf das reizend stümperhafte Schauspiel lacht, glauben die potentiellen Gäste vor dem Eingang ernstlich an den Sensationssieg.
Ernsthafte Verletzungen gibt es nur selten; die Kirmesboxer tragen besonders große Handschuhe. Sie haben ein Gewicht von 18 Unzen, Profiboxer nutzen Handschuhe mit zehn Unzen. Ob sich Akgüz schon einmal verletzt habe? "Nur an der Faust. Manche von den Typen haben ziemlich harte Schädel."

KarriereSPIEGEL-Autor Constantin van Lijnden aus Düsseldorf (Jahrgang 1985) schreibt gern. Dies vornehmlich als Jurist, immer öfter auch als freier Journalist zu Themen rund um Kampf, Kultur und Zeitgeschehen.