
Notarzt-Training: Operation mit der Brechstange
Aus Arzt wird Notarzt Skalpell, Tupfer, Blechschere
Es ploppt hörbar und spürbar. Der Finger rutscht durch das Rippenfell, die Rückseite der Rippen fühlt sich glatt an. Die zweite Hand fasst mit einer Klemme nach dem Plastikschlauch, der im Ernstfall dem Patienten das Atmen ermöglichen soll. Mit viel Druck und Gefühl rutscht der Schlauch durch Haut, Fettgewebe und Muskulatur bis in den Lungenspalt.
Finger rausziehen, zur Seite treten, der Nächste ist dran.
Im Nebenzimmer von Schloss Montfort am Bodensee drängelt sich in dieser kalten Märzwoche ein Dutzend junger Ärztinnen und Ärzte um zwei Schweineschwarten. Bevor sie in einigen Monaten als Notärzte auf echte Patienten losgelassen werden , absolvieren die Mediziner einen achttägigen Fortbildungskurs. In achtzig Stunden bringen erfahrene Dozenten ihnen die Grundlagen der Notfallmedizin bei, theoretisch und praktisch. Gerade üben die Ärzte, mit einer Thoraxdrainage Luft abzulassen, die sich zum Beispiel nach einem Unfall zwischen Lunge und Rippen im Brustkorb eines Patienten ansammeln kann und im schlimmsten Fall das Atmen unmöglich macht.

Vorurteile unter Ärzten: Ich, Halbgott
In Deutschland kommt, anders als in vielen anderen Ländern, im Notfall der Arzt zum Patienten und nicht umgekehrt. In den Vereinigten Staaten zum Beispiel sorgen stattdessen Rettungssanitäter dafür, dass lebensbedrohlich Erkrankte so schnell wie möglich in die Notaufnahme gebracht werden. Um sicherzustellen, dass der Notarzt tatsächlich helfen kann, müssen Ärzte mindestens zwei Jahre Berufserfahrung mitbringen, bevor sie sich zum Notarzt weiterbilden lassen. In den meisten Bundesländern müssen sie außerdem auf einer Intensivstation, in der Notaufnahme oder der Anästhesie gearbeitet haben.
Im Notarztkurs pauken die Ärzte dann Krankheiten, die zwar jeder Arzt aus dem Studium kennen sollte, deren Diagnose und Behandlung im Notfall aber sicher sitzen müssen, selbst wenn sie in der Klinik selten sind. In Langenargen am Bodensee bilden die Arbeitsgemeinschaft Südwestdeutscher Notärzte und die Uni Ulm jährlich zweimal knapp hundert Kursteilnehmer notfallmedizinisch weiter.
Wie füllt man eine Todesbescheinigung aus?
Die meisten Kursteilnehmer arbeiten normalerweise in Kliniken in Baden-Württemberg, jetzt sitzen sie jeden Vormittag dicht gedrängt und hören Vorlesungen über Probleme mit der Atmung, Herzinfarkt und Schlaganfall, psychiatrische Notfälle. Und sie lernen auch, wie man eine Todesbescheinigung richtig ausfüllt und wie man mit Einsätzen umgeht, bei denen der Notarzt zu sterbenden Patienten mit Erkrankungen im Endstadium gerufen wird.
Weil nicht jeder Arzt über Erfahrungen mit Notfällen verfügt, üben die Ärzte nachmittags die praktische Umsetzung. Während Anästhesisten in vielen Krankenhäusern für Notfälle in der Klinik zuständig sind und deshalb die Wiederbelebung bei einem Kreislaufstillstand beherrschen, beschäftigen sich Internisten, Kinderärzte oder Urologen im Alltag mit anderen Problemen. Im Kurs knien alle einträchtig auf dem Boden und drücken bei der Reanimation rhythmisch den Brustkorb von Übungspuppen ein oder trainieren den Umgang mit Defibrillatoren, die im Notfall einen Elektroschock abgeben. Rettungsassistenten erklären die Ausrüstung eines Rettungswagens, der Rettungshubschrauber aus dem nahen Friedrichshafen landet am Ufer.
Patientenpuppen verzeihen vieles
Eine halbe Stunde nach der Übung an der Schweineschwarte beugen sich die Kursteilnehmer über eine junge Frau, die auf eine Treppe gestürzt ist. Die Frau ist Schauspielerin und wird den Ärzten nach der Übung erzählen, wie sie sich während der Behandlung gefühlt hat. Die Übungspuppen, mit denen die Ärzte normalerweise trainieren, verzeihen viele Fehler - mit einer lebenden Patientin dagegen müssen die künftigen Notärzte deutlich vorsichtiger umgehen.
Am vorletzten Tag stehen Ärzte und Ausbilder schließlich im imposanten Fachwerkhaus der Ravensburger Feuerwehr. Damit später die Zusammenarbeit mit Rettungsdienst und Feuerwehr klappt, zeigen ehrenamtliche Helfer den Ärzten, wie Patienten aus Autos, Wohnungen oder Kanalschächten gerettet werden. Auf dem örtlichen Schrottplatz dürfen die Ärzte mit hydraulischer Schere und Spreizer selbst Autos zerlegen. Ins Schwitzen kommen die Mediziner spätestens bei der Sichtungsübung: Feuerwehrjugend und Jugendrotkreuz spielen Patienten in Szenarien mit bis zu zwanzig Verletzten auf einen Schlag, die von den Ärzten möglichst rasch beurteilt werden müssen. Solche Einsätze sind in der Realität zum Glück selten, geübt werden müssen sie trotzdem.
Nach Kursende geht es weiter mit der Ausbildung: Bevor sie als Notärzte auf die Straße geschickt werden, müssen die Mediziner mindestens 50 Einsätze an der Seite eines erfahrenen Notarztes absolvieren und eine Prüfung bei der Kammer ablegen. Erst dann haben sie Einsätze am Menschen, nicht am Schwein.


Dennis Ballwieser ist Arzt. In München machte er Narkose, in Hamburg schreibt er über Medizin. Er ist Redakteur im Ressort Gesundheit bei SPIEGEL ONLINE.