Job-Protokoll einer Juniorprofessorin "Bin ich so langweilig?"
Sie will jungen Menschen etwas beibringen - dafür nimmt sie Zeitverträge und große Unsicherheiten in Kauf. Eine Juniorprofessorin beschreibt, wie es ihr damit geht. Und warum sie sich heute wünscht, was sie früher nicht wollte.
Zwischen Wunsch und Wirklichkeit ist in vielen Berufen jede Menge Platz. In der Serie "Das anonyme Job-Protokoll" erzählen Menschen - ob Tierärztin, Staatsanwalt oder Betreuer im Jobcenter - ganz subjektiv, was ihren Job prägt
Ich treibe leidenschaftlich gern Sport. Früher etwas mehr als heute, aber ich trainiere immer noch sehr viel. Mein Job sollte dazu passen, mir Freiräume schaffen - für meinen Sport, für Freunde, Familie. In der Wissenschaft, so dachte ich, ginge das gut.
Außerdem wollte ich mich ungern langfristig festlegen. Entscheidungen treffen ist nicht unbedingt meine Stärke. Deshalb - unter anderem - habe ich nach dem Abi BWL studiert. "Damit kannste alles machen", dachte ich. Das Studium hat mir gefallen. Ich war ganz gut, aber kein Überflieger.
In die Wissenschaft bin ich dann eher so reingeschlittert. Ich jobbte als Hilfskraft am Lehrstuhl, als eine Doktorandenstelle ausgeschrieben wurde. Das Gebiet interessierte mich, ich kam gut mit den Leuten zurecht, fühlte mich wohl. Warum also nicht bewerben? Und ganz ehrlich: Ich mochte auch den Gedanken, dass mir eine Promotion noch mal drei, vier Jahre Zeit verschafft, bis ich mich endgültig entscheiden muss, was ich mit meinem Leben anfangen möchte.
Und dann lief es irgendwie. Mittlerweile bin ich schon seit gut drei Jahren Juniorprofessorin an einer deutschen Universität. Und ja, im Großen und Ganzen bin ich das gern.
Gerade das Forschen macht mir Spaß. Etwas herauszufinden, was noch niemand vor dir herausgefunden hat, das ist schon ein irrer Gedanke. Wir arbeiten eigentlich immer im Team, was schön ist, weil man dann sehr viel diskutieren kann. Und man kann sich gut motivieren. Allein würde ich mich sicher verzetteln. Wer dauerhaft in der Wissenschaft ankommen will, muss viel veröffentlichen. Wer wie oft in welchen Journals auftaucht, ist das Entscheidende. Leider führt das oft dazu, dass Wissenschaftler alte Daten neu verpacken - und das Ganze als große Erkenntnis verkaufen. So etwas ärgert mich.
Wenn das Semester beginnt, habe ich für die Forschung leider nicht mehr so viel Zeit. Dann betreue ich Hausarbeiten, sitze in Sprechstunden und halte natürlich Vorlesungen. In diesem Semester habe ich zum Beispiel eine Bachelor- und eine Masterveranstaltung. Das klingt nicht besonders viel, ich weiß. Aber mit Vor- und Nachbereitung bin ich einige Stunden beschäftigt. Am Anfang war ich oft nervös, wenn ich den Hörsaal betrat. Heute macht es mir nichts mehr aus, vor hundert oder noch mehr Leuten zu sprechen.
Ich mag den Gedanken, Menschen etwas beizubringen. Aber was genau bei den Studenten ankommt? Keine Ahnung. Ich schaue oft in leere Gesichter. Manche spielen mit dem Handy, andere gucken in die Luft oder quatschen mit dem Nachbarn. So was verunsichert mich. Bin ich so langweilig? Aber in solchen Momenten erinnere ich mich daran, wie es mir selbst als Studentin ging. Ich habe auch nicht immer aufgepasst.
Ein leiser, stetiger Druck
Feedback bekommt man ja leider so gut wie gar nicht. Dabei fände ich es cool, wenn mal jemand sagen würde, was ich besser machen könnte. Das würde doch allen helfen.
Was wirklich hängen geblieben ist, sehe ich erst beim Korrigieren der Klausuren. Und da wundere ich mich manchmal sehr. Bei Aufgaben, die ich wirklich leicht fand, liegen oft erstaunlich viele Leute daneben. Da frage ich mich schon, was ich falsch gemacht habe. Dabei gebe ich manchmal extra kleine Hinweise, sage zum Beispiel: "Schaut euch dieses Kapitel noch mal ganz genau an, das könnte drankommen." Ich möchte ja nicht, dass die Leute durchfallen.
Als ich noch studierte, habe ich mich manchmal gefragt, was die Professoren eigentlich den ganzen Tag so machen. Sonderlich gestresst kamen die mir nie vor. Inzwischen weiß ich: Ganz so entspannt ist es nicht. Ich kann mir meine Arbeit zwar tatsächlich ziemlich frei einteilen, habe genug Zeit für Sport, Freunde und Familie. Trotzdem spüre ich Druck. Das ist kein Bis-fünf-Uhr-muss-die-Präsentation-fertig-sein-Druck, sondern ein leiser, stetiger Druck. Existenzangst. Die kennt wohl jeder Nachwuchswissenschaftler.
Was ich früher nicht wollte, wünsche ich mir heute
Mein Vertrag ist auf drei Jahre befristet, so ist es bei Juniorprofessoren meistens üblich. Ich hoffe sehr, dass ich eine Verlängerung um weitere drei Jahre bekomme. Aber danach ist endgültig Schluss, und ich muss mir eine neue Uni suchen. Ich höre mich jetzt schon um: Wo geht in den nächsten Jahren jemand in den Ruhestand? Wo könnte eine Professur frei werden?
Ich muss dabei flexibel sein, mich im ganzen deutschsprachigen Raum bewerben. Das finde ich wirklich schwierig; je älter ich werde. Ich bin jetzt Anfang dreißig, habe vor Kurzem eine Familie gegründet. Es wäre toll, wenn meine Kinder in einem Haus aufwachsen könnten. Am besten mit Garten. Aber mit einem befristeten Vertrag lachen mich die Banken doch aus. Was ich früher nicht wollte - Planungssicherheit und eine langfristige Perspektive -, wünsche ich mir heute.
Anmerkung der Redaktion: Auf Wunsch der Protagonistin haben wir im Nachhinein Details zu ihrer Person verändert. Die inhaltlichen Aussagen sind davon nicht betroffen.
- Buck Studio/ Corbis/ UNI SPIEGEL
Ausgabe 6/2015
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