
Soldatinnen mit Stollen Marsch, ins Tor!
Wenn Nationalspielerin Lira Bajramaj an einen Schuss denkt, kommt ihr wahrscheinlich ein gezielter Knaller in den rechten oberen Winkel in den Sinn. Das ist die eine Möglichkeit. Vielleicht denkt sie aber auch an eine halbautomatische Walther-Waffe oder an eine von Heckler & Koch.
Bajramaj ist Sportsoldatin, wird also von der Bundeswehr fürs Fußballspielen bezahlt. Im Gegenzug musste sie schon mal durch den Schmutz robben, gibt Autogramme auf Werbeveranstaltungen und trägt, wenn möglich, bei Turnieren das Abzeichen der Armee.
Weil auch auf Profiniveau wenige Frauen vom Kicken allein leben können, ist die Bundeswehr ein beliebter Arbeitgeber. Allein in der Nationalmannschaft haben sich sechs Spielerinnen dafür entschieden: die Stabsgefreiten Lira Bajramaj, Simone Laudehr und Babett Peter, die Hauptgefreiten Lena Goeßling und Ursula Holl sowie die Obergefreite Bianca Schmidt. Kein Wunder, dass die Bundeswehr ein Turnier auch mal "Operation Olympia-Gold" nennt.

"Seit einigen Jahren sind mehr Soldatinnen im Team", sagt Kerstin Stegemann. Die ehemalige Nationalspielerin ist eine Art Lothar Matthäus mit besserem Prozessor, eine zuverlässige Abwehrspielerin, kämpferisch bis zur Selbstaufgabe und dazu noch intelligent. 191 Länderspiele hat sie absolviert, 41 mehr als Matthäus, der Rekordhalter der Männer. Letztes Jahr hörte sie auf, seitdem arbeitet sie für die Bundeswehr und trainiert deren Nationalmannschaft.
Polizei und Zoll können bei der Sportförderung kaum mithalten
Stegemann spielte schon als Fünfzehnjährige in der Bundesliga, nebenher ließ sie sich zur technischen Zeichnerin ausbilden. Zeitlich war das schwierig, erzählt sie: An einem Tag war sie im Trainingslager in den USA, die Nacht flog sie durch, am nächsten Morgen legte sie in Deutschland die Zwischenprüfung ab. Nach der Ausbildung hätte sie im Beruf mehr arbeiten müssen, deshalb nahm sie das Angebot der Bundeswehr an. "Da konnte ich zwischendurch auch mal die Füße hochlegen", sagt sie, "nach vier bis fünf Stunden Training ist das wichtig für die Leistung."
Die Sportförderung der Bundeswehr ist gut - so gut, dass es für andere Arbeitgeber schwer ist, damit zu konkurrieren. Polizei und Zoll bieten zwar ähnliche Bedingungen, aber es gibt dort deutlich weniger Förderplätze. Daher dominieren gerade in Randsportarten die Militärs: Bei den letzten Olympischen Winterspielen in Vancouver gewannen Sportsoldaten über die Hälfte der deutschen Medaillen.
Kritiker zwickt ein gewisses Unbehagen - weil der Staat Athleten in Uniformen steckt, um in der ewigen Medaillenhatz besser abzuschneiden, wie es einst auch im Staatssport des Ostblocks üblich war. Und auch, weil die Bundeswehr die Sportler gern zur Öffentlichkeitsarbeit nutzt, ohne ihnen längerfristige Perspektiven zu bieten. Eine Debatte darüber stieß 2008 Wolfgang Maennig an, Professor in Hamburg und 20 Jahre zuvor Goldmedaillengewinner im deutschen Ruder-Achter.
Was kommt nach der Sportkarriere?
Im Dienst gilt der Grundsatz "70 Prozent trainieren, 30 Prozent marschieren". Jedenfalls offiziell. Anwesenheit ist selten Pflicht, die Athleten müssen nur einen Trainingsplan vorlegen, der gleichzeitig ihr Dienstplan ist. In gewisser Weise ist das ein Freibrief. "Wenn einer sagt, er geht trainieren und bleibt im Bett, merkt das keiner", sagt Stegemann. Andererseits müsse die Förderung oft alle ein bis zwei Jahre erneuert werden. "Das ist ein gewollter Druck. Jeder darf sich mal verletzen, aber wer auf Dauer keine Leistung bringt, fliegt raus."
Aber welche Perspektive haben die Athleten, wenn ihre Beine müde werden und die Leistung nachlässt? Keine, kritisierte Wolfgang Maennig, die Bundeswehr lasse ihre einstigen Aushängeschilder im Stich: "Die Bundeswehr darf Fortbildung nicht nur anbieten - sie muss sie von den Sportlern fordern." Ein Bundeswehr-Sprecher hält dagegen: "Wir klären die Sportler permanent auf und zeigen, welche Möglichkeiten sie haben", sagt er.
Wenn sie sich weiterbilden, können Sportsoldaten von der Arbeit freigestellt werden. "Wer gedient hat, kann auch anschließend studieren und wird dabei eine Zeitlang von uns bezahlt", so der Sprecher. Wie lange die Bundeswehr diese Alimente zahlt, sei abhängig von der Dauer des Dienstes, bei zwölf Jahren mache das zwei Jahre Unterstützung. Wer diese Möglichkeit nicht nutze, sei dafür selbst verantwortlich.
Im Vergleich zur Polizei haben wenige eine langfristige Perspektive bei der Bundeswehr. Von 800 Sportsoldaten, schätzt Stegemann, bekommt etwa einer jährlich die begehrte Berufssoldatenstelle. Sie selbst hatte dieses Glück, warnt aber: "Es ist gefährlich, sich nur auf den Sport zu konzentrieren. Der Bekanntheitsgrad schwindet schnell, und mit dem Alter wird es schwieriger, einen Studienplatz zu bekommen."
Die Uhr tickt für Andrea Henkel
Die mehrfache Biathlon-Weltmeisterin Andrea Henkel ist jetzt 33 Jahre alt und bald an diesem Punkt angelangt. Ein, zwei Jahre noch, sagt sie, dann sei Schluss. Henkel konzentrierte sich früh auf den Sport: Mit 13 besuchte sie eine Sportschule, mit 18 bekam sie einen Platz in einer Sportfördergruppe der Bundeswehr. "Ich bin dafür sehr dankbar." Wie sieht ihre Zukunft aus? "Das ist noch die große Frage", antwortet Henkel, konkrete Pläne habe sie keine. Vor elf Jahren beendete sie zwar ein Fernstudium für Sport und Touristikmanagement. Bewerben wolle sie sich damit aber nicht mehr.
"Es ist schon notwendig, die Athleten zur Weiterbildung zu drängen", findet die Trainerin Stegemann. Ein Studium neben dem Sport sei hart, aber möglich. "Da muss man sich halt öfter ins Hotelzimmer zurückziehen und lernen."
Soldatendisziplin eben. Die brauchen auch Sportlerinnen, angefangen bei der Grundausbildung, auch wenn die auf sechs Wochen verkürzt ist (Spielerin Babett Peter auf ihrer Homepage zur Grundausbildung in Nienburg: "Hölle"). Bis zu zwölf Stunden täglich müssen sie da marschieren, die Nacht verbringen sie oft im Freien. "Da haben einige Mädels Tränen vergossen", sagt Stegemann und meint damit ihre ehemaligen Kolleginnen vom Nationalteam.
Beeindruckt war Stegemann von der zart wirkenden Spielerin Lira Bajramaj. "Die ist hart im Nehmen." Bajramaj habe eine Teamkollegin schier wahnsinnig gemacht, weil sie ständig gut drauf war. "Wenn die Angst hatte, dann um ihre Fingernägel."