
Tipps von der Karriereberaterin Soll ich schwindeln, wenn nach dem aktuellen Gehalt gefragt wird?


Irgendwann komme für jeden die Stunde der Wahrheit, hat der Schauspieler Willy Millowitsch einmal gesagt, und dann heiße es: lügen, lügen, lügen. Aber bei Gehaltsverhandlungen könnte das eine schlechte Idee sein.
Foto: Andrey Popov / Getty Images/iStockphotoEva, 31 Jahre, fragt: »Ich bewerbe mich für eine neue Stelle in einem anderen Unternehmen. Wenn der Recruiter oder die potenzielle neue Vorgesetzte fragt, was ich aktuell verdiene: Soll ich den Betrag etwas nach oben korrigieren, damit das Angebot besser ausfällt? Oder ist es möglich, dass diese Lüge später herauskommt und negativ auf mich zurückfällt? Sollte ich um eine direkte Antwort herumreden oder lieber komplett ehrlich sein?«
Hallo Eva,
die Fragen, die ich mir sofort stelle, ist: Warum wollen Sie das Gehalt nach oben korrigieren? Wenn Sie das »Warum« wissen, können wir später das »Wie argumentiere ich es« dazu finden.
Vorab: Ich persönlich bin – fast immer – für Ehrlichkeit, ergänzt durch mindestens ein gutes Argument. Ganz abgesehen davon, dass eine Lüge immer herauskommen kann und dann eine gewisse Eigendynamik entwickelt.
Laufschrift auf der Stirn oder Pokerface?
Es kommt sehr darauf an, wie Sie gestrickt sind. Nehmen wir einmal an, Sie schwindeln den Betrag nach oben. Wie geht es Ihnen damit? Laufen Sie bei dem Gedanken direkt tomatenrot an? Bekommen Sie schwitzige Hände oder fangen an herumzuhibbeln? Dann sollten Sie es in jedem Fall lassen! Wer auch immer auf der anderen Seite sitzt – telefonisch, digital oder persönlich – wird sofort merken, dass etwas nicht stimmt.
Und die Person wird gar nicht unbedingt denken, dass Sie schwindeln, Sie hat nur ein komisches Grummeln im Bauch und denkt sich dann vielleicht: na, ob die wirklich auf den Job und zu uns passt, irgendetwas ist da komisch. Sie vergeben sich vermutlich die Chance, inhaltlich zu punkten. Oder noch schlimmer, Sie wären schon in der engeren Auswahl gewesen und würden deswegen herausfliegen…
Haben Sie ein cooles Pokerface und bluffen jeden Tag zur Übung? Dann können Sie das machen. Wenn Sie unbedingt besser dastehen wollen, setzen Sie das fiktive aktuelle Gehalt fünf bis zehn Prozent unter dem an, was Sie am Ende für die Stelle haben wollen. Raten würde ich es Ihnen nach wie vor eher nicht.
Warum verdienen Sie derzeit zu wenig?
Da sind wir wieder bei der Frage, warum Sie das machen wollen. Die zweite, meistens bisschen schmerzhafte Frage lautet: Warum verdienen Sie in Ihren Augen im jetzigen Job viel zu schlecht? Haben Sie sich unter Wert verkauft, schlecht verhandelt oder sind Sie sich Ihrer Leistung nur bedingt sicher?
In allen und noch weiteren Fällen hilft eine klare Selbstanalyse, was kann ich, was bin ich wert und was habe ich für einen Nutzen für das Unternehmen.
Kennen Sie beim Gehalt Ihre Schmerzgrenze?
Setzen Sie sich drei klare Ziele: Minimal, Okay und Juhu. Das wichtigste ist das Minimalziel: Ihre Schmerzgrenze. Unter der ist das Thema für Sie erledigt, das heißt, Sie schlagen den Job aus. Machen Sie sich bewusst, wann genau Sie diese Konsequenz wirklich ziehen. Bei 60.000 Euro Minimalziel bedeutet das, dass Sie bei 59.500 nicht annehmen. Sonst ist es nicht Ihre Schmerzgrenze. Beschäftigen Sie sich ausgiebig und vor allem ehrlich damit.
Mit Ihrem Okay-Ziel fühlen Sie sich für diese Aufgabe gut bezahlt. Das Juhu-Ziel ist das Ziel, bei dem Sie drei Tage kreischend vor Freude unter der Decke hängen.
Halten Sie für alle drei Zielvarianten fest, was Sie aufgabentechnisch und inhaltlich in der jeweiligen Kategorie wollen. Überprüfen Sie diese finanziellen und inhaltlichen Grenzen sehr genau, ob Sie so faktisch und gefühlsmäßig für Sie stimmen.
Wenn Sie wissen, was Sie können und für das neue Unternehmen wert sind, noch mal zum Warum:
Wollen Sie im neuen Job deutlich mehr verdienen?
Ist das auch der Grund, warum Sie wechseln wollen? Vermutlich sind Sie sicher, dass Sie mehr bekommen sollten. Bereiten Sie sich sehr gut vor und üben Sie Ihre Nutzenargumente, bis sie Ihnen zu den Ohren wieder herauskommen.
Mögliche Bemerkung der anderen Seite: Na, da machen Sie ja einen ganz schönen Sprung. Mögliche Antwort: Ja. Adäquat zu meinen sprunghaft angestiegenen Leistungen.
Haben Sie im vorigen Job schlecht verhandelt?
Das ist doof. Stehen Sie dazu. Auf genauere Nachfrage sagen Sie dann etwa: Mir ist klar, dass ich echt schlecht verhandelt habe. Jetzt will ich nach Leistung und nicht nach Verhandlungskünsten bezahlt werden. Stellen Sie Ihren Nutzen für das Unternehmen dar.
Ist der Job inhaltlich komplett anders aufgestellt?
Dann könnte Ihre Antwort lauten: »Aktuell verdiene ich 55.000 Euro. Die Aufgaben bei Ihrer Stelle sind deutlich komplexer. Deshalb liegt meine Gehaltsvorstellung für die Position bei 70.000 Euro Jahresgehalt, plus Erfolgsbeteiligung.«