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Testerin von Onlinespielen: Schieß mich ab, Kollege

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Spieletesterin Von neun bis fünf bin ich im Gott-Modus

Sie zerstört Raumschiffe und ballert auf Aliens - und der Chef findet's super. Maria-Ester Osborne Castro testet hauptberuflich Onlinespiele. Während der Arbeit ist sie unbesiegbar.

Wenn Maria-Ester Osborne Castro von ihrem Job erzählt, denken die meisten, sie sitze den ganzen Tag in einem dunklen Zimmer, umgeben von nerdigen Typen und leeren Pizzakartons. Die 31-Jährige hat Games zu ihrem Beruf gemacht: Sie testet hauptberuflich Onlinespiele.

Ihr Arbeitsplatz sieht eher nach Werbeagentur als nach Trollhöhle aus. Das Büro ist in einem Hamburger Altbau, von der Decke hängen große Punkte in Grau, Rot und Blau, durch die hohen Fenster fällt viel Licht. Überall liegen Plastikknarren, Raumschiffmodelle und Spielzeugfiguren herum.

Castro arbeitet für den Online- und Browserspielanbieter Bigpoint. An diesem Tag soll sie herausfinden, warum im Weltraum-Shooter "Dark Orbit Reloaded" eine Drohne nicht in den Kamikaze-Modus umschaltet. "Jetzt kannst du mich mal richtig abballern!", ruft sie ihrem Kollegen zu. Der grinst und feuert los. Peng! Peng! Peng! Töten kann er Castros Spielcharakter nicht. Die Tester sind im sogenannten Gott-Modus unterwegs und damit unbesiegbar. "Sonst würden wir von den normalen Spielern sofort gejagt."

Mehr als 85 Millionen Spieler sind laut Bigpoint weltweit für "Dark Orbit" registriert. Es sind fast ausschließlich Männer, die meisten aus Deutschland, Frankreich oder Russland und zwischen 16 und 39 Jahren alt. Eine Million Menschen spielen den Shooter regelmäßig, im Schnitt mehr als eine Stunde täglich.

Programmierer sind empfindlich

Mit sieben Jahren ist das Spiel recht alt, auch die Handlung wenig innovativ: In ferner Zukunft bekriegen sich drei Firmen im Weltraum, die Spieler beschießen sich in 2D-Grafik gegenseitig. Mit regelmäßigen Updates will Bigpoint sein Produkt attraktiv halten. Tester wie Castro sorgen dafür, dass neue Raumschiffe und Waffen störungsfrei funktionieren. Zwischen 2000 und 3000 Euro beträgt ihr monatliches Bruttogehalt.

"Was wir Testspieler hier machen, ist eigentlich kein richtiges Spielen", sagt Castro. Ihre Arbeit laufe sehr strukturiert ab: Fehlermeldungen abarbeiten, beobachten, wie sich das Spiel verhält, anschließend alles dokumentieren. Danach sind die Informatiker dran. Sie müssen die Fehler beheben.

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"Wir müssen die Programmierer oft mit Samthandschuhen anfassen. Das Programm ist ihr Baby. Auf Kritik können sie empfindlich reagieren", sagt Castros Teamchefin Annemieke Böhm, 29. Soziale Kompetenz und Teamgeist seien deshalb wichtig für den Job als Spieletester, "Einzelgänger können wir nicht gebrauchen."

Außer den Testern sind gerade nur wenige Spieler im Orbit unterwegs. "Ich glaube, um diese Uhrzeit schlafen die meisten noch", sagt Castro und lacht. Es ist 12.30 Uhr.

Die gebürtige Costa-Ricanerin mit der schwarzen Lockenmähne hat Kommunikationsdesign studiert, in einer Stellenbörse entdeckte sie den Job bei Bigpoint. "Ich dachte mir: Games-Tester? Das klingt wie ein Traumberuf!"

Wer die Farbe des Raumschiffs aussuchen will, muss zahlen

Für Kritiker ist es ein schmutziges Geschäft. Verbraucherschützer kritisieren insbesondere die "Free-to-play"-Strategie: Offiziell werden die Spiele als kostenlos beworben, für Zusatzausrüstung muss man jedoch zahlen. "Die Anbieter richten sich häufig gezielt an jugendliche Spieler und verführen über eingebaute Frustschleifen zum Zahlen", sagt Computerspielforscher Florian Rehbein vom Kriminologischen Forschungsinstitut Niedersachsen. Etwa jeder zehnte Nutzer lässt sich verführen.

"Es ist schon komisch, wofür manche Menschen Geld ausgeben", sagt Castro. Manche zahlten zum Beispiel, um sich die Farbe ihres Raumschiffes aussuchen zu können. "Vor allem aber kaufen sich die Spieler Vorteile, weil sie in der Bestenliste oben stehen wollen."

Und das wollen viele Menschen. Mit Online- und Browserspielen wurden laut Bundesverband Interaktive Unterhaltungssoftware (BIU) im ersten Halbjahr 2014 in Deutschland 140 Millionen Euro verdient, eine Steigerung von 122 Prozent im Vergleich zum Vorjahreszeitraum. Mehr als 10.000 Menschen sind nach BIU-Schätzungen in Deutschland in der Computerspielbranche beschäftigt.

Bigpoint ist mit mehr als 550 Mitarbeitern eines der größten deutschen Computerspiel-Unternehmen und hat neben der Zentrale in Hamburg auch Büros in Berlin, San Francisco, Istanbul, Luxemburg und Malta. Jobs wie den von Castro könnte es in Zukunft mehr geben.

Sie selbst würde kein Geld für Onlinespiele ausgeben, sagt sie. In ihrer Freizeit fährt sie gern Skateboard, wenn sie am Computer spielt, dann eher "Spiele mit einer tieferen Handlung". Aber das sei wie bei Büchern: "Manchmal habe ich trotzdem Lust auf leichte Lektüre."

KarriereSPIEGEL-Autorin Lisa-Marie Eckardt (Jahrgang 1985) volontierte bei der Nachrichtenagentur dapd und der "Hamburger Morgenpost". Heute arbeitet sie als freie Journalistin in Hamburg und ist im Gründungsteam des digitalen Reportage-Magazins "Sieh die Welt":"Sieh die Welt": Das digitale Reportagen-Magazin 

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