

Viele Fans des VfB Stuttgart dürften von einem Platz träumen, wie ihn Martin Sperlich, 35, hat: Ein eigener Raum im VIP-Bereich der Mercedes-Benz-Arena, mit freier Sicht über das Spielfeld, dazu Monitore, auf denen er nach Lust und Laune Spielszenen noch mal in Zeitlupe ansehen kann.
Doch bevor es soweit ist, muss eine Menge Arbeit erledigt werden. Es ist 13:30 Uhr, zwei Stunden vor Spielanpfiff. Sperlichs Team hat sich im Regieraum des Stadions versammelt: Kamera- und Tontechniker, Cutter, Stadionsprecher, Multimediaspezialisten, zusammen rund 20 Leute. Der Raum selbst ist vollgestopft mit Technik: Bildschirme, Computer, Kabel, Schalter, Schieber, Regler.
Sperlich verteilt Kopien vom Regieplan und eröffnet die Besprechung. Um Punkt 14:21 Uhr wird die Stadionshow der Schwaben beginnen, mit nicht weniger als 71 Punkten bis zum Anstoß. Sperlich ist Stadionregisseur: "Ich biete Infotainment vor und nach dem Spiel sowie in der Halbzeitpause", sagt er. Er muss die Zuschauer einstimmen und auch dann bei Laune halten, wenn nicht gekickt wird.
Jede Sekunde wird genutzt. "Begrüßung live mit Überraschungsgästen, Zeit: zwei Minuten, 30 Sekunden", steht auf dem Plan. Das macht der Stadionsprecher von der Seitenlinie des Spielfelds aus, die Kollegen im Regieraum sorgen für die Übertragung von Bild und Ton auf die große Videoleinwand. Dann folgt Musik, Zeit: sieben Minuten. Eine Minute ist eingeplant, um die Fakten zum Spiel zu präsentieren: Wo steht der VfB in der Tabelle, wo der Gegner, wie lief die letzte Begegnung? Multimediaspezialisten haben die Präsentation vorbereitet. Um den Gegner vorzustellen, sind 90 Sekunden eingeplant, ebenso lang bleibt Zeit, um das Spiel vom letzten Wochenende Revue passieren zu lassen. Dazu kommen Gewinnspiele. Und dazwischen immer wieder Werbung, die Sponsoren wollen es so.
Allmählich füllt sich das Stadion, es sind nur noch sieben Minuten bis zum Anpfiff. Sperlich sagt: "Anheizmusik." Der Mann am Tonpult zieht einen Regler hoch, es läuft Twisted Sister mit "We're not gonna take it". Die Mannschaftsaufstellung des VfB wird eingeblendet, Bilder der Spieler in Aktion. Die Kicker der gegnerischen Mannschaft erscheinen mit Porträtfotos.
Derweil steht der Stadionsprecher vor der Cannstatter-Kurve, dem Block der treuesten Fans. Er will sie zu Fangesängen animieren, doch sie gehen kaum darauf ein. VfB-Fans gelten als anspruchsvoll. "Ich muss mit dem Fanbeauftragten sprechen", murmelt Sperlich im Kontrollzentrum. Die Mannschaften laufen ein, es ertönt ein Werbejingle. Anpfiff vor 45.840 Zuschauern.
Jetzt sind die Spieler dran
Martin Sperlich lehnt sich zurück. "Die nächsten 45 Minuten wird es hier oben ruhiger, jetzt sind die Spieler dran." Er nimmt die Hand von einem kleinen Kästchen, mit dem er zum Stadionsprecher, zu Kamera- und Tonleuten am Spielfeld und auf dem Dach des Stadions Kontakt gehalten hat.
"Meine Aufgabe ist es, einen Spannungsbogen aufzubauen. Dafür braucht man ein Feingefühl für Dramaturgie, sollte sich mit Filmproduktion auskennen und ein Händchen für die passende Musikauswahl haben." Um die Technik selbst kümmern sich Mitarbeiter der EnBW, ein Sponsor des Clubs.
Sperlich hat nach dem Abitur eine Ausbildung zum Industriekaufmann abgeschlossen, dann Sportwissenschaften, Betriebswirtschaftslehre und Soziologie studiert. Als Fußballer hat er es bis in die Landesliga geschafft. Sperlich ist Hesse, "mit starker Neigung zu den Schwaben", wie er sagt: "Natürlich bin ich VfB-Fan."
Bloß keine Gefühle
Seit acht Jahren arbeitet er beim Club im Team Sponsorenbetreuung und Events. Als es darum ging, für seinen Vorgänger einen Vertreter zu finden, war klar, dass es nur einer aus diesem Team werden kann. Auf Sperlich fiel die Wahl, weil "ich schon lange im Verein bin". Zwei Jahre ist das her.
Bei aller Liebe zum Club: "Es ist zwingend notwendig, Emotionen hintanzustellen." Leichter gesagt als getan. Während des Gesprächs verfolgt er jeden Spielzug, fiebert bei jedem Angriff seines VfB mit. Wenn der Schiedsrichter ein Abseits pfeift, lässt er enttäuscht den Kopf hängen, um sich gleich darauf eine Wiederholung der Szene an einem kleinen Bildschirm anzuschauen.
Ein echtes Fanprivileg für Sperlich - aber auch wichtig für die Auswahl der Highlightszenen, die in der Halbzeitpause gezeigt werden. "Strittige Szenen bringen wir nicht, weil damit unnötig die Gemüter erhitzt würden." Ein Cutter stellt die Sequenzen zusammen, die der Stadionregisseur auswählt.
Beim Abpfiff ist Sperlich erschöpft und glücklich: Die Show lief reibungslos, und der VfB hat gewonnen. Sein Vorgänger, der ebenfalls im Regieraum ist, wählt das Schlusslied aus. "Spielt 'An Tagen wie diesen'", sagt er. Die Gitarren der Toten Hosen setzen ein, Sperlich verlässt den Raum.
Peter Ilg (Jahrgang 1960) arbeitet als freier Journalist in Aalen und schreibt vor allem über Berufe und Karrieren.
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Über den Köpfen der Fans: Martin Sperlich an seinem Arbeitsplatz, dem Regieraum der Stuttgarter Mercedes-Benz-Arena. mehr
Beste Aussicht: Hier steuert Sperlich das Geschehen jenseits des Spielfelds und versucht, vor dem Spiel einen Spannungsbogen aufzubauen.
Schaltzentrale: Ein Cutter schneidet bereits während des Spiels die besten Szenen der laufenden Partie zusammen, damit sie in der Halbzeitpause gezeigt werden können.
Auswahl: Dazu muss Sperlich das Spiel genau verfolgen - er entscheidet, welche Szenen in das Video kommen. Bei aller Professionalität tut ihm ein Abseits für den VfB aber in der Seele weh.
Überraschungsgäste, 90 Sekunden: Von seinem Posten aus dirigiert er auch den Stadionsprecher auf seine Positionen. Dazu...
...steht er mit allen Helfern immer in Funkkontakt. Diese Schalttafel hilft, dabei den Überblick zu behalten.
Mikros an: Auch die Tontechniker sitzen mit in der Schaltzentrale, damit sie schnell auf Sperlichs Zuruf agieren können.
Lars Sänger mit dem Maskottchen der Frauen-Fußballweltmeisterschaft: "Ein Stadionsprecher muss den Spagat zwischen Familienfreundlichkeit und Fan-Dasein schaffen", sagt er, "sozusagen der Thomas Gottschalk des Fußballsachverstands." mehr
Moderiert auch Spiele im Herren-Fußball: "Für gute Stimmung sorgen, aber keine Aggressionen erzeugen" ist die Devise von Petra Klein. Die DFB-Stadionsprecherin hätte als Mädchen selbst gern Fußball gespielt. Jetzt ist sie stolz auf die WM in Deutschland.
Durch den Nachmittag führen, anheizen, verkaufen: "Ich dachte mir: Die Klappe dafür haste, das kriegste schon hin." Petra Dahl von Bayer 04 Leverkusen mit ihrem Kollegen Klaus Schenkmann. Die Quereinsteigerin arbeitet in der Marketingabteilung des Vereins.
Fan mit Mikrofon: WDR-Moderator Arnd Zeigler hat sich einen Jugendtraum erfüllt: Er ist Stadionsprecher von Werder Bremen. "Ironie klappt im Stadion nur sehr bedingt. Mein Job im Fernsehen ist deshalb etwas komplett anderes", sagt er.
Rollenwechsel für den Fernsehjob: Matthias Opdenhövel war von 2004 bis 2006 Stadionsprecher bei Borussia Mönchengladbach. Ab Juli gehört seine Stimme der Sportschau.
Deutschrocker Lotto King Karl (rechts, mit Sprecher-Kollege Dirk Böge), ist bekennender HSV-Fan: "Wenn einer von der Bank aufsteht und das Stadion ist doppelt so laut wie vorher, dann ist das schon ein besonderer Moment."
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