Jobmesse "Sticks & Stones" Und jetzt outen sich die Unternehmen

LGBT: Die Firmen müssen Farbe bekennen (Symbolbild von einer Schwulenparade in Warschau)
Foto: ALIK KEPLICZ/ APWer hätte das gedacht: Die Berliner Karrieremesse "Sticks & Stones" feiert ihren fünften Geburtstag. Kaum jemand hätte der ersten deutschen Jobbörse für Schwule und Lesben so viel Durchhaltevermögen zugetraut. Und sie wächst rasant: Am Samstag findet die Messe statt, in diesem Jahr werden knapp 70 Unternehmen und geschätzt 2500 Besucher kommen, ein Plus von 25 Prozent im Vergleich zum Vorjahr.
Was ist da los? Haben sich Deutschlands Firmen binnen kurzem zu regenbogenfreundlichen Musterarbeitgebern gewandelt?
Ganz so einfach ist es dann doch nicht. Als Stuart Cameron, Bayer mit schottischen Wurzeln, vor sechs Jahren seine Messeidee entwickelte, war er überzeugt: Die boomende Businessstadt München ist der beste Ort dafür. Inmitten globaler Giganten wie Siemens, BMW, Linde, Allianz oder Münchener Rück sollte es die erste Karrieremesse für Schwule und Lesben geben.
Die Zeit schien ohnehin reif. Angesichts des demografischen Wandels mussten immer mehr Unternehmen lernen: Um erfolgreich zu sein, brauchen sie nicht nur weiße deutsche Männer in den besten Jahren. Sie brauchen ebenfalls mehr talentierte Frauen, Ältere, Migranten, Ausländer und auch LGBTler, so das sich durchsetzende Kürzel für Lesben, Schwule, bi- und transsexuelle Menschen (lesbian, gay, bisexual, transgender). Vielfalt ermöglichen und gestalten, das ist das Gebot der Zeit.

Und doch wollten sich damals nur acht Unternehmen den Besuchern als schwulen- und lesbenfreundliche Arbeitgeber präsentieren. Viele bayerische Dax-Schwergewichte warteten lieber ab, wie es höflich hieß. Oder reagierten verschnupft oder gar nicht.
Immer diese Angst, über Privates zu reden
Cameron zog ins dynamischere Berlin, und sofort mit der zweiten Auflage explodierten die Besucherzahlen. Die Messen waren sorgfältig vorbereitet, um Jobsuchende und Unternehmen zusammenzubringen, und sie lockten mit immer neuen Ideen wie dem Speed Networking oder einem Business Slam Contest.
Der Erfolg war die Antwort auf die erwartbare Frage: "Braucht es so etwas wirklich?" Offenbar schon. "Auch wenn sich vieles zum Besseren wandelt: Immer noch kennen die meisten Schwulen und Lesben die Angst, sich im Job zu outen", erklärt Cameron die Sicht der Besucher. "Die Sticks & Stones aber ist ein Ort, an dem man sich von Beginn an nicht verstecken muss."
Unternehmen treffen dort "auf einen offenen Geist, spannende Bewerbertypen und eine geniale Plattform für die Vernetzung mit Unternehmenskollegen", lobt Matthias Stupp, Partner bei der globalen Anwaltskanzlei White & Case und Mitinitiator des firmeneigenen schwul-lesbischen Mitarbeiternetzwerks. Und Franka Johne von Ikea sagt: "Unternehmen können hier zeigen, dass sie es wirklich ernst meinen, ein schwulen- und lesbenfreundlicher Arbeitgeber zu sein."
Heteros entdecken die Messe für sich
Bei heterosexuellen Interessenten wird die kreative Atmosphäre der Sticks & Stones mittlerweile ebenfalls geschätzt. "Sie zeigen sich vermehrt an allen Ständen", berichtet Uta Menges von IBM. Der US-Konzern gilt seit Langem als besonders LGBT-freundlich und ist der Messe von Beginn an bis heute treu geblieben.
Zu den regelmäßigen Ausstellern zählen vor allem IT-Unternehmen, etwa Dell, Hewlett-Packard, Microsoft oder SAP. Daneben zeigen sich auch viele Beratungsfirmen wie McKinsey, Boston Consulting Group, A.T. Kearney oder Ernst & Young.
Zur größten Gruppe aber sind global arbeitende Wirtschaftsanwaltskanzleien aufgestiegen, darunter neben White & Case weitere Top-Adressen wie Freshfields, Simmons & Simmons oder GSK Stockmann + Kollegen. Die Not auf der Suche nach den bestqualifizierten Bewerbern treibt sie massiv zum Wandel. Dabei verflüchtigt sich die Diskretion, für Juristen eine besondere Tugend, in Sachen sexueller Identität offenbar mehr und mehr.
Sparen sich manche Banken ins Abseits?
Banken dagegen machen sich rar. Dass Hypovereinsbank und Sparkassen nicht kommen, verwundert kaum, sie sind bekannt als LGBT-Wüsten. Es fehlen aber auch Commerzbank und Deutsche Bank, sonst in vielem vorbildlich bei der Unterstützung schwul-lesbischer Mitarbeiter. Beide entlassen derzeit eher, als dass sie Bewerber suchen. Die Finanzkrise fordert ihren Preis. Es könnte sein, dass sich diese Zurückhaltung später rächt. Einzig Volkswagen Financial Services und die Targobank denken antizyklisch und sind auf der Messe kontinuierlich präsent.
Merkwürdig zurückhaltend bleiben bislang die deutschen Großkonzerne. Zwar gibt es mittlerweile auch bayerische Dax-Größen wie BMW und Allianz, die sich auf der Messe zeigen und intern einiges für LGBTler tun. Abgesehen von Eon oder der sehr engagierten Post zögern aber die weitaus meisten Unternehmen des deutschen Leitindexes immer noch, sich als schwulen- und lesbenfreundlich zu präsentieren. Das gleiche gilt für den deutschen Mittelstand, in dem von selbstverständlicher Wertschätzung gegenüber Schwulen und Lesben nach wie vor kaum die Rede sein kann.
Siemens tastet sich in diesem Jahr immerhin durch einen Vortragsredner auf der Messe heran. Und auf den am Tag vor der Sticks & Stones stattfindenden LGBT-Unternehmenskongress "24/7Unicorn" schickt der Industriegigant sogar eine seiner Top-Managerinnen, Denice Kronau, die die weltweiten Diversity-Aktivitäten des Konzerns verantwortet - ein Coup für Messegründer Cameron. Steht Siemens demnächst ein Kulturwandel bevor? Viele können es noch gar nicht glauben.
Vielleicht bewirken die dynamischen Messeaktivitäten und die Veränderungen in den Unternehmen ja, dass sich in Dax- oder MDax-Konzernen bald schwule und lesbische Vorstandsmitglieder outen. In Holland, den skandinavischen Ländern, Großbritannien oder den USA ist das mittlerweile kein großes Thema mehr. Davon ist die konservative Business-Republik Deutschland trotz großer Fortschritte in den letzten Jahren immer noch weit entfernt.

Jens Schadendorf ist Unternehmer, Berater und Publizist und forscht zum Thema Diversität in Unternehmen an der TU München. Er hat BWL, Politische Ökonomie und Entwicklungsökonomie studiert und war lange Programmleiter, unter anderem der Verlage Gabler und Econ. Vor Kurzem erschien sein Buch "Der Regenbogen-Faktor" (siehe Kasten in der Randspalte).