
Studienabbrecher: Glücklich ohne Abschlusszeugnis
Studienabbrecher Glücklich ohne Abschlusszeugnis
"Es gab nicht den Punkt, an dem ich aufgehört habe", sagt Dirk Fellinghauer. "Ja, irgendwann kam die Exmatrikulation, aber die Abkehr vom Studium war schleichend." Acht Semester war er für Politologie, Anglistik und Ethnologie eingeschrieben. "Ernsthaft studiert habe ich vier." Die Organisationsform störte ihn: "Mir war das zu zerfleddert. Die zeitliche Abstimmung der Fächer aufeinander, da klafften riesige Lücken", erzählt er. "Hätte man das kompakt zwei Tage pro Woche machen können, wäre ich eher dabeigeblieben."
So wurde dem heute 44-Jährigen der Zeitaufwand, verstärkt durchs Pendeln, zu groß. Was ein Ausgleich zum und Finanzierung fürs Studium sein sollte, wurde zur Hauptbeschäftigung: die Arbeit als Journalist und Texter. "Der Job machte immer mehr Spaß, das Studium immer weniger. Ich merkte, was ich für die Arbeitswelt brauche, lerne ich im Job - nicht von Referaten der Kommilitonen."
Finanziell ging er eine Mischrechnung ein: Journalismus als Herzenssache, Werbetexte zur Finanzierung. Nebenher legt er als DJ auf, "ein Hobby, aber ein bisschen was verdiene ich auch". Vor zwei Jahren bekam er das Angebot, als Objektleiter das Wiesbadener Stadtmagazin "Sensor" an den Start zu bringen - damit erfüllte sich für Fellinghauer ein Traum. "Dass ich keinen Abschluss habe, war bei den vielen Stationen meiner Karriere nie ein Thema. Das hat mich selbst überrascht." Früher habe ihn der vermeintliche Makel manchmal beschäftigt, "inzwischen habe ich so viele Erfahrungen und bin so gut vernetzt, da spielt es keine Rolle".

Abbruch, Aufbruch, Durchbruch: 100 prominente Uni-Deserteure
Dass ein fehlender Studienabschluss beruflichen Träumen nicht im Weg stehen muss, ist in unserer Leistungsgesellschaft eine Überraschung - sogar für manche Abbrecher selbst. Denn auch wenn Promis gern damit kokettieren, das Studium geschmissen zu haben, erfordert es Mut, auf sich selbst zu vertrauen und den Studienabschluss zu ignorieren, diese scheinbar selbstverständliche Anforderung in Sachen Karriere.
"Ich wäre auch als Architekt glücklich"
Karsten Brinsa, 41, hatte diesen Mut. Auf dem Weg zum Architekten fehlten ihm noch zwei Prüfungen und das Diplom. "Ich habe viel nebenher gemacht, jeden Job, auch gefaulenzt und gefeiert", erzählt er. Das Studium zog sich in die Länge, schon waren acht Jahre vorbei. "Ich dachte: Jetzt oder nie - und bin die Prüfungen konsequent angegangen." Doch kurz vorm Ziel ging ihm das Geld aus, und parallel stieß er auf ein Gutscheinbuch.
Die Idee gefiel ihm, aber "ich habe mich gefragt, wieso die so hässlich sind". Mit einigen Freunden stellte Brinsa kurzerhand ein Gutscheinbuch für Dortmund auf die Beine, liebevoll gestaltet, mit Kultur als Schwerpunkt neben Gastronomie. Was als letzte Pause zum Geldverdienen vor dem Abschluss gedacht war, wurde zum finalen Bruch: "Es hat so viel Spaß gemacht, dass ich das fortführen wollte."
Weitere Bücher für andere Städte folgten. Vor Ort arbeitet Brinsas Agentur Luups mit Leuten aus seinem wachsenden Netzwerk. "Am Anfang waren es Freunde, dann Freunde von Freunden." Heute beschäftigt er Angestellte, Freie und Auszubildende, etwa Veranstaltungskaufleute. Ein Schwerpunkt sind "Science Slams" zur unterhaltsamen Vermittlung von Forschungsthemen.
Daneben organisiert die Agentur Musikevents, arbeitet im Grafik- und Webdesign und hat das erste Ladengeschäft eröffnet. "Das ist perfekt, weil es immer darum ging, Leute zu verbinden", sagt Brinsa. Luups ist für ihn nicht mehr wegzudenken, gleichzeitig ist er sicher: "Ich wäre als Architekt auch glücklich. Es ging nie darum, dass der Studiengang nicht zu mir passt."
Leben ist das, was passiert, während man Pläne macht
Auch Malin Kompa, 35, ist glücklich mit ihrem Job, trotzdem hat sie noch keinen Frieden mit dem fehlenden Abschluss gemacht: "Dafür habe ich zu viel investiert." Stattliche 25 Semester hatte sie bei der Exmatrikulation auf dem Buckel. An der Uni war sie da schon Jahre nicht mehr, zahlte aber zeitweise sogar Studiengebühren von rund 800 Euro pro Semester: "Aus heutiger Sicht verrückt", sagt sie und lacht.
Auf sie trifft das überstrapazierte John-Lennon-Zitat zu, dass Leben das ist, was passiert, während man damit beschäftigt ist, Pläne zu machen: "Eigentlich hat sich alles total zufällig ergeben." Kurz vorm angestrebten Studienende pausierte Kompa für ein Volontariat bei NBC Giga. Sie kehrte an die Uni zurück, arbeitete nebenher als Reporterin bei "Das Ding" und als Projektleiterin beim Jugend-Onlinemagazin "Jom". "Ich habe einfach jede Chance genutzt, die sich geboten hat."
Aus dem alten Traum Fernsehen wurde der gelebte Traum Radio, über ein Casting wurde Kompa zum Sidekick in der "Morningshow" bei Bremen 4. Es folgte die eigene Sendung im Wechsel mit zwei Kolleginnen, zeitweise arbeitete sie bei 1Live in Köln. Heute ist Kompa Moderatorin und Reporterin bei Bremen 4 und Reporterin beim Funkhaus Europa. "Der fehlende Abschluss war nie ein Problem", sagt sie. "Ich glaube, Praxis, gute Chefs und Vorbilder sind genauso wichtig."

KarriereSPIEGEL-Autorin Mara Braun (Jahrgang 1978) arbeitet als freiberufliche Journalistin und Buchautorin in Mainz.