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Schräge Stellenanzeige "Sie erwarten nichts? Bewerben Sie sich bei uns!"

"Wir suchen eine eierlegende Wollmilchsau, bieten Überstunden und schmales Gehalt" - mit dieser entwaffnenden Annonce sucht ein Pflegedienst Personal. Fürchtet der Chef nicht, Bewerber abzuschrecken?

"Sie haben keinerlei Ambitionen, gutes Geld zu verdienen, möchten aber immer mehr Aufgaben übernehmen? Dann bewerben Sie sich bei uns!" Wie Satire liest sich die Stellenanzeige des Krankenpflegedienstes Kolf & Buchholz aus Bergisch Gladbach: "Freuen Sie sich auf ausgelaugte Kollegen, Überstunden ohne Ende und ein attraktives Gehalt von 850 Euro brutto." Am Mittwoch erschien die Annonce in den "Lokalen Informationen" von Leverkusen, und sie ist so auffällig, dass der Twitternutzer @senadpalic ein Foto der Anzeige veröffentlichte, Kommentar: "Beste. Stellenanzeige. Ever."

Das Bild verbreitete sich rasant in sozialen Netzwerken, Donnerstagabend gab es die ersten Medienanfragen bei dem Pflegedienst, der als Bewerbung gern "ein aussagekräftiges Foto von ihrer letzten Familienfeier" haben möchte unter der Chiffre "Lachen ist gut für die Herzkranzgefäße". Ein Anruf bei Norbert Buchholz, 52, dem Chef des Pflegedienstes.

KarriereSPIEGEL: Guten Tag, Herr Buchholz. Sind Sie in der Pflege tätig oder als Kabarettist?

Buchholz: Wir sind mit unserem Pflegedienst seit 21 Jahren selbstständig, hier in Bergisch Gladbach. Sie fragen wegen unserer Stellenanzeige, richtig?

KarriereSPIEGEL: Genau. Wir waren uns nicht ganz sicher, wie ernst die gemeint ist. Melden sich darauf Bewerber?

Buchholz: Es melden sich tatsächlich mehr Journalisten, ein paar Fernsehsender haben auch schon angerufen. Bisher gibt es zwei echte Bewerber auf die Stelle, eine examinierte Pflegekraft und eine Arzthelferin.

KarriereSPIEGEL: Sonst traut sich niemand?

Buchholz: Das ist in unserer Branche und unserer Region ein ganz normaler Schnitt. Wenn sich im Laufe einer Woche noch jemand Drittes meldet, können wir froh sein. Deswegen schalte ich ja so ungewöhnliche Anzeigen: damit es überhaupt Leser gibt, denen sie auffällt.

KarriereSPIEGEL: Sie machen das öfter?

Buchholz: Das ist jetzt meine dritte in der Art, nur so viel Rummel gab es noch nie. Wir inserieren drei- bis viermal im Jahr, zuletzt vergangenen Herbst. Ich bin vor einiger Zeit selbst auf eine ähnliche Anzeige gestoßen und habe dann unsere eigene Version entwickelt.

KarriereSPIEGEL: Haben Sie keine Angst, Bewerber abzuschrecken? Nicht jeder Leser versteht Ironie.

Buchholz: Wir richten uns ja an Leute, die seit Jahren in diesem Beruf stehen. Denen muss ich nichts vormachen, die wissen, dass Arbeit im Pflegebereich anstrengend und unangemessen bezahlt ist. Aber mit dieser Annonce zeigen wir, dass sie hier in einem angenehmen Team arbeiten können.

KarriereSPIEGEL: Warum ist die Bezahlung so mau?

Buchholz: Pflege darf in unserer Gesellschaft nichts kosten. Wenn Sie in der Fußgängerzone Passanten fragen, ob eine Krankenschwester mehr verdienen soll, werden Sie immer auf Zustimmung stoßen. Aber dann spreche ich mit Patienten und höre Sätze wie: "Können Sie nicht wenigstens diese Leistung aus Nächstenliebe erbringen?" Ich muss mich immer noch rechtfertigen, wenn ich zusätzlich erbrachte Leistungen in Rechnung stelle.

KarriereSPIEGEL: Wie viele Angestellte haben Sie?

Buchholz: 22, darunter viele Teilzeitkräfte. Wir betreuen derzeit rund 100 Patienten. Früher waren es mal 160, aber ich schaffe es nicht, genug qualifiziertes Personal für so viel Arbeit zu bekommen. Ich muss etwa 60 Prozent der Kundenanfragen ablehnen. Wir haben wirklich einen Fachkräftemangel.

KarriereSPIEGEL: Sollte Ihre Stellenanzeige auch darauf aufmerksam machen?

Buchholz: Das war kein politisches Statement. Wenn die Berichterstattung nun einige Leute dazu bringt, über die Situation im Pflegesektor nachzudenken, dann ist mir das aber sehr recht. Hier in Nordrhein-Westfalen versucht die Politik, mehr Menschen für die Pflegeausbildung zu gewinnen. Aber so lange der Job so schlecht bezahlt ist, wird sich die Situation kaum entspannen.

Das Interview führte KarriereSPIEGEL-Redakteur Matthias Kaufmann.

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