Ausgewandert nach Australien »Ich müsste bekloppt sein, um hier wegzugehen«

Jens Gönnemann beim Tauchen am Great Barrier Reef
Foto: privatViele Menschen träumen von einem Leben in der Ferne, aber nur wenige setzen diese Träume auch um. Was treibt sie an? Wie schaffen sie den Neustart in der Fremde? Davon handelt das neue Buch »Mittagspause auf dem Mekong« der SPIEGEL-Redakteurinnen Kristin Haug und Verena Töpper. Sie haben Geschichten von Deutschen in 28 Ländern auf sechs Kontinenten gesammelt. Dieser Text ist ein Auszug aus ihrem Buch, das seit Montag im Handel erhältlich ist.
»Bevor wir umgezogen sind, haben wir für unsere Söhne, damals zwei und vier Jahre alt, eine Weltkugel gekauft. Meine Frau und ich zeigten ihnen darauf, wo die USA sind, das Heimatland ihrer Mutter. Dann fragten wir sie, was auf der anderen Seite ist.
›Australien, dort wo es Kängurus gibt‹, sagte der Große. ›Wie wäre es, wenn wir dorthin ziehen würden?‹ Das fanden die Jungs spannend. Natürlich hatte ich Bedenken, dass sie ihr Zuhause in München vermissen könnten, aber in dem Alter sind Kinder doch dort zu Hause, wo die Eltern wohnen.

Lebensglück Down Under
Ich war damals Büroleiter bei dem späteren Airbus-Chef Tom Enders. Zwölf Jahre ist das nun her. Als er nach Toulouse wechselte, fragte er mich, was ich mir für die Zukunft vorstellte. Ich wollte so weit weg wie möglich. Mich nervten die deutsch-französischen Geplänkel zwischen den damaligen Hauptsitzen von Airbus in Paris und München. Ich wollte außerdem etwas Neues ausprobieren und in einem Land leben, in dem ich noch nie zuvor war. Es ist nicht ungewöhnlich für einen Büroleiter ins Ausland geschickt zu werden, das ist quasi der nächste Schritt auf der Karriereleiter. Offenbar hatte ich einen guten Eindruck hinterlassen und das hat mir damals geholfen.
Soweit weg wie möglich – das bedeutete für mich Australien, denn dort gab es den von Europa aus am weitesten entfernten Standort von Airbus. Dorthin wurde ich als Managing Director entsandt.
Ich bin Fallschirmspringer und durch mein Hobby kannte ich auch einige australische Sportler, die mir auf internationalen Sportevents immer am lautesten und lustigsten vorkamen. Ich hatte viel über das australische Lebensgefühl gehört, dass alle irgendwie lockerer seien – und genau darauf hatte ich Lust. Meiner Frau und mir fiel es nicht schwer, zu gehen. Wir dachten damals auch noch, es sei kein Abschied für immer.
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05.06.2023 15.44 Uhr
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Airbus hat uns beim Umzug, der Suche nach einem Haus in Sydney und der Miete unterstützt. Das war damals Standard und schon ein Luxus. Ich bin sehr dankbar dafür, weil es uns den Start in dem neuen Land sehr erleichtert hat und ich mich schnell auf meine Arbeit konzentrieren konnte. Unsere Möbel und unseren Hausrat ließen wir mit einem Container verschiffen und die Spielzeuge der Kinder nahmen wir im Flugzeug mit.
Mein älterer Sohn ist im Flugzeug nach Sydney fünf Jahre alt geworden. Der Chef-Stewart gratulierte ihm per Lautsprecher, sagte allen Passagieren, dass der Kleine in Australien leben werde und von nun an ›einer von uns‹ sei. In unserem neuen Haus hatte ich bereits bei einer vorherigen Dienstreise Geschenke für ihn deponiert, und eine Happy-Birthday-Girlande hing auch schon in der Küche. Das Leben auf dem neuen Kontinent hätte nicht besser beginnen können.
Zwei Tage nach unserer Ankunft habe ich meinen neuen Job angefangen. Hier war ich Chef von 750 Mitarbeitern, die zivile und militärische Helikopter sowie militärische Transportflugzeuge zusammenbauten und warteten. Eine sehr komplexe und manchmal auch undankbare Aufgabe, weil ich der Mittler zwischen den Erwartungen des Kunden und der Zentrale war.
Und obwohl die Menschen hier insgesamt etwas entspannter sind, heißt das nicht, dass darunter die Arbeitsmoral leidet. Die Australier arbeiten hart und gewissenhaft. Inzwischen habe ich den Job gewechselt, weil ich für Airbus bereits acht Jahre auf dieser Position in Sydney gearbeitet hatte, normalerweise sind sogar nur drei bis fünf Jahre vorgesehen.
Seit vier Jahren leite ich nun das staatliche Advanced Manufacturing Growth Centre. Hier helfen mein Team und ich australischen Unternehmen dabei, nicht nur etwas im eigenen Land zu produzieren, sondern auch Aufgaben zu übernehmen, die zur gesamten Wertschöpfungskette gehören, wie etwa die Entwicklung vor und die Vermarktung nach der Produktion. Zudem engagiere ich mich seit ein paar Jahren im Vorstand der deutsch-australischen Handelskammer.
Wenn eine Ehe im Ausland auseinandergeht
Im Jahr 2012, also nach viereinhalb Jahren in Australien, konnte ich sogar die australische Staatsbürgerschaft annehmen. Das ging ziemlich mühelos – vermutlich auch, weil ich damals mit 45 Jahren unterhalb und mit meinem Gehalt oberhalb einer bestimmten Schwelle lag.
Auch den Einbürgerungstest fand ich nicht schwer. An eine Frage kann ich mich noch erinnern: Sollten Frauen arbeiten dürfen? Es ging also mehr um die eigene Einstellung zu Werten und Normen des australischen Lebensstils und nicht nur um geschichtliche oder politische Fakten.
Doch ich habe auch Rückschläge erfahren müssen, meine Frau und ich trennten uns vor acht Jahren. Und wenn eine Ehe im Ausland auseinandergeht, dann gilt eben auch das Recht dieses Landes. In Australien heißt das, beide Eltern kümmern sich grundsätzlich im Wechsel um die Kinder. Einfach in eine andere Stadt ziehen, weil man eine andere Partnerin oder einen anderen Partner hat, ist hier wegen der großen Entfernungen nicht so einfach.
Ich bin seit mehr als fünf Jahren neu verheiratet, meine australische Frau habe ich bei Airbus kennengelernt, als ich ihr aus Versehen einen Schaumstoffball an den Kopf geworfen habe. Wir sind aber erst zusammengekommen, als sie nicht mehr bei Airbus gearbeitet hat. Wir haben zusammen zwei Kinder, und die vier Geschwister verstehen sich sehr gut miteinander.
Für Australien beim Fallschirmspringer-Weltcup
Bevor ich nach Australien gezogen bin, war ich zehn Jahre lang Mitglied der deutschen Fallschirm-Nationalmannschaft. In Sydney war es am Anfang schon hart, nicht mehr zusammen mit meinen Teammitgliedern und Freunden zu springen. Ich entschied mich daher erst mal, eine andere Sportart auszuprobieren: das Wellenreiten. Doch darin scheiterte ich leider ziemlich.
Nach einem Jahr sprach mich ein lokaler Springer, den ich von vorherigen Weltmeisterschaften kannte, an, ob wir nicht ein australisches Vierer-Fallschirmteam gründen sollten; er kenne da noch zwei andere nette Springer mit viel Erfahrung.
Wir haben uns von Anfang an gut verstanden und nach etwas mehr als 40 Trainingssprüngen haben wir an der australischen Meisterschaft teilgenommen – und sogar gewonnen! Die zwei darauffolgenden Jahre haben wir ebenfalls den Titel geholt und am Weltcup teilgenommen, der 2019 ausgerechnet in Deutschland stattfand. Dort musste ich dann gegen meine ehemaligen Teammitglieder antreten – das war schon komisch so im australischen Trikot.

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Am Anfang meiner Zeit in Sydney musste ich mal im Juli beruflich nach Deutschland reisen. Und eines werde ich nie vergessen: Als ich in Frankfurt landete, war es nasser, kälter und dunkler als in Australien – obwohl dort gerade Winter war. Da war für mich klar: Ich will nicht wieder zurück, wenigstens nicht für immer.
An Deutschland vermisse ich eigentlich nur das Brot und die Autobahnen. Ich finde es gut, auch mal ohne Geschwindigkeitsbegrenzung fahren zu können.
Meine Eltern sind um die 80 Jahre alt und kommen bislang noch gut zurecht. Mein bester Freund wohnt zum Glück in ihrer Nachbarschaft und könnte nach ihnen schauen, das beruhigt. Meine beiden großen Jungs fliegen einmal pro Jahr in den Ferien zu ihren Großeltern, und ich bin auch mindestens einmal im Jahr geschäftlich in Deutschland und schaue nach ihnen.
Es gibt eigentlich keine Momente mehr, in denen ich darüber nachdenke, zurückzukehren. Ich bin mit meiner Familie und mit meiner Arbeit sehr glücklich hier. Das Wetter spielt schon auch eine Rolle. Meine Frau wundert sich immer über meinen Drang, bei gutem Wetter ständig rauszugehen. Sie hält das für einen norddeutschen Reflex. Aber hier ist das Wetter fast immer gut, von daher gehe ich ihr mit meinem Tatendrang manchmal auf die Nerven.
Wenn ich morgens vor der Arbeit mit meinem Surf-Ski durch den Hafen von Sydney paddle, ist das sensationell schön. Ab und an kommt mir eine Gruppe von Delfinen recht nahe. Da frage ich mich schon, wie bekloppt ich denn sein müsste, um hier dauerhaft wegzugehen.«