Was Führungskräfte jetzt ändern müssen "Gockelgehabe aus dem Büro weglassen"

Die Coronakrise bedeutet Stress für Chefs: In schneller Taktung müssen Prozesse neu erfunden, alte Strukturen ad acta gelegt oder lang durchdachte Strategien über den Haufen geworfen werden. Plötzlich ist alles anders, alles neu. Dabei ist es wichtig, dass sich Führungskräfte gerade jetzt an ihre Kernfunktion, das Führen von Mitarbeitern, erinnern und umdenken. Denn hier sieht der St. Galler Leadership-Professor Wolfgang Jenewein bei Führungskräften große Defizite, wie er in einem Interview im Harvard Business Manager sagt: "In den meisten Organisationen wurde in der Vergangenheit primär negatives Leadership praktiziert. Der Fokus lag auf Fragen wie zum Beispiel: Wo können wir effizienter werden? Was läuft falsch? Wer ist für den Fehler verantwortlich? So haben wir in den letzten Jahren vielfach spaß-, sinn- und emotionsfreie Organisationen geschaffen." Das wird jetzt zum Problem, wo das Engagement jedes Mitarbeiters gebraucht wird, um kreative Lösungen für die Krise zu finden.

"In den Unternehmen fehlt es an Neugierde und Offenheit. Diese Eigenschaften wurden den Menschen in den vergangenen vier Jahrzehnten abtrainiert, sie sollten nur mehrheitlich das bestehende, erfolgreiche Geschäftsmodell fortschreiben", sagt Jenewein. Das Ergebnis: Mitarbeiter in der westlichen Welt befinden sich normalerweise im Modus des Abarbeitens.
Führungskräfte stehen nun vor der Aufgabe, eine neugierige, offene Haltung in ihren Organisationen aufzubauen. Mit Gewinn für alle Beteiligten: "Das hebt beträchtlich die Stimmung", sagt Jenewein.
Für Mitarbeiter kann durch die derzeit veränderten Rahmenbedingungen eine neue Arbeitsatmosphäre entstehen. Arbeiteten sie beispielsweise früher jeder getrennt voneinander, können sie nun gemeinsam und bereichsübergreifend zusammenarbeiten. Plötzlich kommen Projekte in Gang, die vorher monatelang nicht umsetzbar waren, "weil Mitarbeiter die machtpolitischen Spielchen, die ganze Folklore und dieses Gockelgehabe aus dem Büro weglassen und sich auf das Wesentliche konzentrieren".
Der Sinn muss nun im Vordergrund stehen: Wozu ist welche Aktion gedacht und wie wertvoll ist ein einzelner Mitarbeiter gerade in dieser Krise? "Viele Führungskräfte denken immer noch, dass Mitarbeiter zu Hause genauso weiterarbeiten und die gleichen Leistungen zeigen, wie sie es im Unternehmen getan haben. Das ist ein Irrtum." Man müsse realistisch bleiben - für einen Arbeitnehmer im Homeoffice seien die Ablenkungen hoch. Jetzt müsse die intrinsische Motivation der Belegschaft aktiviert werden. "Das funktioniert meiner Erfahrung nach am besten über Nähe, Mitgefühl und ein emotionales Zielbild", sagt Jenewein, der auch Vorstände coacht und aktuell den 1. FC Köln berät.
Chefs sollten sich beispielsweise ernsthaft nach dem Befinden der Mitarbeiter erkundigen, sich für Erzählungen aus dem Alltag Zeit nehmen - und nicht nur Arbeitsanweisungen in den virtuellen Raum brüllen. Sie müssen Vertrauen entwickeln und ihren Kontrollzwang ablegen. Ebenfalls für wichtig hält es Jenewein, seine Mitarbeiter zu fragen, wie sie die Situation einschätzen, welche neuen Informationen es gibt und was aus ihrer Perspektive jetzt richtig ist. Das rege dazu an, dass die Menschen Ownership, also Verantwortung übernehmen.