Todesanzeigen "Wie im Leben - Oma rief, Opa kam"

Uwe D. wurde nur 46 Jahre alt. Er starb, man ahnt es, plötzlich und unerwartet. Zwei Adjektive, vieltausendfach in der tödlichen Kombination gebraucht - und damit der Todesanzeige eines Uwe D. nicht würdig, fand ein Hamburger Personalleiter. Also machte er sich auf die Suche nach einem besseren Wort. Und schrieb im Namen des Unternehmens: "Wir trauern um Uwe D., der unverhofft im Alter von 46 Jahren verstorben ist." Das ist ein wenig doppelbödig - unverhofft ist nicht nur ein überraschendes Ereignis, sondern auch eines, von dem man kaum zu hoffen wagt, dass es eintritt.
Dem Jurastudenten Christian Sprang gefiel das missglückte Ergebnis der Synonymsuche so gut, dass er die Todesanzeige aus der Zeitung ausschnitt und seinen Mitbewohnern präsentierte. Die lachten herzlich - und bald stapelten sich in der Hamburger WG-Küche kuriose Todesanzeigen.
Mittlerweile ist Uwe D. seit 20 Jahren tot. Aus dem Jurastudenten ist der Justiziar des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels geworden - und Deutschlands bekanntester Sammler von Todesanzeigen. Seine Fundstücke füllen zwei Bücher, die er zusammen mit seinem Studienkollegen Matthias Nöllke veröffentlicht hat. Sprang sammelt, Nöllke kommentiert. Und Hunderte Leser machen mit.
Sprangs Freunde fragten immer nach neuen Todesanzeigen
Jeden Tag bekommt der Jurist von Unbekannten E-Mails mit ihren Trouvaillen, mehrmals im Monat schickt ihm sein Verlag ein dickes Paket mit Leserbriefen. Sprang hat eine Aushilfe engagiert, die gut damit beschäftigt ist, die vielen Zuschriften einzuscannen.
"Ich hätte schon genug Material für ein drittes Buch, aber jetzt muss ich mich erst mal um meine Familie und meinen Beruf kümmern", sagt Sprang, 49. "Das Thema hat mich überrollt, ich hätte nie gedacht, dass das so eine Eigendynamik entwickelt."
Seit dem Heiterkeitserfolg in der WG-Küche sammelt Sprang die auffälligsten Annoncen. Irgendwann hatte seine Frau genug davon, dass alle Besucher immer als Erstes nach neuen Todesanzeigen fragten. 2003 stellte Sprang deshalb seine Sammlung ins Internet und schickte die URL per E-Mail an 29 Freunde. Wenige Tage später verzeichnete seine Seite 300 Besucher pro Tag.
"Ich habe nie aktiv Werbung gemacht, das hat sich einfach im Schneeballsystem verbreitet", sagt Sprang. Den Erfolg seiner Sammlung erklärt er mit der Monotonie der Nachrufe. Todesanzeigen seien sehr durch Konventionen bestimmt und 99 Prozent der Anzeigen sehr langweilig: "Die eine Außergewöhnliche fällt da besonders auf."
"Wer täglich mit dem Tod umgeht, hat mehr Sinn für Humor"
Nachrufe hat Sprang schon immer gern gelesen, auch in Städten, in denen er niemanden kennt. Ihn fasziniert das Spiel mit der Sprache, der Versuch, ein ganzes Leben in wenige Worte zu packen. Eine seiner liebsten Fundsachen: "Wie im Leben - Oma rief, Opa kam".
"Sehr gut gefallen mir auch die Anzeigen, bei denen man erst beim zweiten oder dritten Lesen den Witz erkennt", sagt Sprang. Ganz selten komme es vor, dass Erben ihre Wut über den Verstorbenen in einen Nachruf packten. "Nie gekämpft, im Strom des Lebens getrieben... darin untergegangen. Aus die Maus", schrieben etwa die Angehörigen von Elmar L. Das sei die "Blaue Mauritius" seiner Sammlung, so Sprang.
Er ist sich bewusst, dass manche Menschen sein morbides Hobby "völlig daneben" und pietätlos finden, vorwiegend sind es Norddeutsche. Je südlicher der Wohnort, desto entspannter der Umgang mit dem Tod, hat der Justiziar herausgefunden. Das gelte auch für die Anzeigen selbst - die ungewöhnlichsten stammten aus Süddeutschland.
Besonders viele Fans habe er überraschenderweise unter Pfarrern, Bestattern und Hospiz-Mitarbeitern, so Sprang: "Wer täglich mit dem Tod umgeht, hat bei diesem Thema offenbar mehr Sinn für Humor."