Denis Edelmann, ehemaliger Musicaldarsteller
»33 Tage Urlaub im Jahr, wer kommt damit zurecht? Hatte ich noch nie.«
Im Arbeitsleben von Denis Edelmann hat sich durch die Coronakrise so gut wie alles verändert.
Denis Edelmann, ehemaliger Musicaldarsteller
»Hallo! Hallo, ihr Lieben!«
»Hi, wir kennen uns noch gar nicht. Ich bin der Denis, und wer bist du? Magst du mir die Station zeigen?«
Menschen mit Behinderung pflegen? Das hätte sich der 30-Jährige aus Ludwigsburg bei Stuttgart vor einem Jahr im Leben nicht vorstellen können. Damals war er Musicaldarsteller. Dirty Dancing, Westside Story, Hair – Edelmanns Traumberuf.
Denis Edelmann, ehemaliger Musicaldarsteller
»Die Bühne ist schwarz, ein Spotlight auf mich und singen.«
Nach dem Abitur studierte Edelmann an der Universität der Künste in Berlin, wurde Diplom-Musical-Darsteller. Sieben Jahre stand er danach auf Bühnen in ganz Deutschland.
Denis Edelmann, ehemaliger Musicaldarsteller
»Bei Medicus war ich im Ensemble auch mit dabei. Es war eine sehr intensive Zeit. Wir hatten 103 Shows in zweieinhalb Monaten, das waren zehn Shows die Woche, teilweise.«
2020 kamen Pandemie und Lockdown.
Denis Edelmann, ehemaliger Musicaldarsteller
»Ich glaube, es war der 18. März, als die E-Mails losgingen und ich an einem Tag mit meinem Kalender hier saß und von drei Theatern E-Mails bekommen habe. Ich habe an drei Theatern gleichzeitig arbeiten müssen, um überhaupt über die Runden zu kommen. Und alle drei haben mir die Shows abgesagt. Ich hatte drei Monate lang gar kein Einkommen. Und natürlich alle Fixkosten weiterhin laufend.«
Wie Edelmann ging es vielen Deutschen: Hunderttausende verloren seit Frühjahr 2020 ihren Job, vor allem in Hotels und Restaurants, in Freizeit, Sport und Kultur. Aktuell sind erstmals seit Jahren fast drei Millionen Deutsche arbeitslos gemeldet (Stand aktuell: ca. 2,9 Millionen). Doch Quereinsteiger haben es derzeit offenbar leichter als sonst: Eine Umfrage unter 4700 Personalverantwortlichen ergab, dass sich mehr als ein Drittel der befragten Arbeitgeber momentan aktiv um neue Mitarbeitende bemühen, für die sie sich vor der Pandemie eher nicht interessiert hätten.
Wie viele andere versucht es Denis Edelmann im Frühjahr 2020 in einem Supermarkt, wird sogar als stellvertretender Filialleiter angestellt. Aber die gute Laune währt nicht lange.
Denis Edelmann, ehemaliger Musicaldarsteller
»Das hat mir überhaupt nicht gefallen, da musste ich ganz schnell raus. Und ein Bekannter von mir, den hab ich übers Tanzen kennengelernt, ist tatsächlich jetzt mein Chef. Er hat einen Job gehabt, hat gesagt: ›Du, Denis, wir brauchen immer Hilfe. Wir brauchen immer Unterstützung. Haste Bock, komm vorbei.‹ Und ich hab die ersten dreimal Nein gesagt. Ich wusste nicht: Was heißt Behindertenpflege? Und ich wusste nicht, was auf mich zukommt. So gar nicht. Ich bin tatsächlich einfach echt ins kalte Wasser gesprungen, weil ich dachte, ich muss da weg. Und dann kam ich hierher und da hab ich mich letztendlich nachher in den Job und irgendwie auch in die Menschen hier so ein bisschen verliebt.«
Bald will Denis Edelmann in der Diakonie in Stetten eine berufsbegleitende Ausbildung beginnen, derzeit arbeitet er noch als Aushilfskraft – oft in Schutzkleidung, denn im Moment ist er auf der Isolierstation eingeteilt. Hier sind Menschen untergebracht, die in Corona-Quarantäne sind. Der Ortswechsel bedeutet Stress für die »Klienten«, wie die Bewohnerinnen und Bewohner intern genannt werden. Ein sensibler Umgang mit ihnen ist noch wichtiger als sonst. Edelmanns Musical-Erfahrung ist hier wertvoll.
Timo Pfitzer, Wohnbereichsleiter Diakonie Stetten
»Die Hürde für die meisten Quereinsteiger ist tatsächlich der Gedanke, etwas falsch zu machen, sodass sie viel weniger machen als sie eigentlich könnten. Aus Sorge, den Menschen gegenüber etwas falsch zu machen. Er hat keine Hemmungen zu reden, in Interaktion zu treten, sich auf den Menschen einzulassen, auf seine Art, wie er es halt auch auf der Bühne gelernt hat und gleichzeitig aber auch sein Gegenüber wahrzunehmen, es zu spiegeln, festzustellen: Wie geht es ihm? Also sehr interaktiv zu handeln, was man ja von der Bühne aus sehr oft auch tun muss.«
Früher reiste er Hunderte Kilometer zwischen den Theatern hin und her – heute läuft er, von Wohngruppe zu Wohngruppe. Kein Glamour mehr, aber auch weniger Stress.
Denis Edelmann, ehemaliger Musicaldarsteller
»Das ist eine riesige Umgewöhnung. Also was das Schönste ist: jeden Tag ins gleiche Gebäude rein zu laufen. Ich weiß, für die meisten klingt es einfach nur grauenhaft. Aber dadurch, dass ich sieben Jahre lang toujours unterwegs war, ist für mich das Nach-Hause-kommen, in meinem Bett schlafen einfach das Schönste der Welt im Moment.«
Finanziell steht er sogar besser da als zu Musical-Zeiten. Auch deshalb plant Edelmann jetzt seine Zukunft in der Diakonie.
Denis Edelmann, ehemaliger Musicaldarsteller
»Ich darf vieles lernen und ich lerne auch jeden Tag dazu. Und da freue ich mich tatsächlich auch auf die Ausbildung, dass ich einfach noch mehr Handwerk gelernt bekomme.«
Die Ausbildung zum Behindertenpfleger beginnt im September. Und auch privat will Edelmann weiter lernen. Im Dezember hat er sich in seinem Flur ein kleines Tonstudio eingerichtet.
Denis Edelmann, ehemaliger Musicaldarsteller
»Aufnahmefehler. Das hatte ich jetzt auch noch nicht. Ja, das ist das erste Mal, dass ich überhaupt eine Aufnahme selber mache. Deswegen: Man hat noch viel Potenzial, nach vorne zu gehen.«
Ganz ohne Musik und Gesang kann Denis Edelmann nicht – aber in Zukunft will er nur noch dann als Künstler arbeiten, wenn er möchte. Vielen Begleiterscheinungen seines früheren Vollzeit-Jobs trauert er nicht hinterher.
Denis Edelmann, ehemaliger Musicaldarsteller
»Da ist schon so viel Unzufriedenheit und Einsamkeit. Kein Privatleben. Immer unterwegs. Bei der Hochzeit von meinem Cousin hatte ich eine Premiere in Erfurt und dachte mir nur ›Kann ich bitte einfach nach Hause gehen?‹ Also es gibt natürlich auch diese Momente, und die haben sich halt in den letzten Jahren immer mehr gehäuft und deswegen... Mein Traum ist zwar geplatzt, aber dafür haben sich andere Türen aufgemacht.«