Thüringer Familienunternehmen Morddrohungen nach Impf-Aushang

Streit ums Impfen (Symbolbild)
Foto: Christian Ohde / IMAGODieser Artikel gehört zum Angebot von SPIEGEL+. Sie können ihn auch ohne Abonnement lesen, weil er Ihnen geschenkt wurde.
Der Aushang sieht aus wie ein Fahndungsplakat: 13 Fotos sind auf der DIN-A-4-Seite zu sehen, darüber ein rot unterlegter Kasten: »bisher kein vollständiger Impfschutz«. Eine Thüringer Firma mit gut hundert Angestellten hatte es an der Tür eines Pausenraums aufgehängt, zusammen mit einer Liste von Regelungen für nicht gegen das Coronavirus geimpfte Mitarbeiter: Nicht mehr als eine ungeimpfte Person dürfe sich in einem Raum aufhalten, Veränderungen des Impfstatus seien dem Arbeitgeber mitzuteilen, für ungeimpfte Personen bestehe Maskenpflicht, sobald mehr als eine sich in dem Raum aufhalte.
Seit dem 4. Oktober hing das Plakat am Pausenraum. Vor einigen Tagen veröffentlichte es jemand auf Twitter, und ein Sturm der Entrüstung brach sich Bahn, unter Hashtags wie #Impfapartheid.
Der Chef der Firma fühlt sich grob missverstanden: »Wir haben seit anderthalb Jahren mit dem Coronavirus zu tun. Solange sind die Mitarbeiter schon in ihrer Bewegungsfreiheit eingeschränkt, und wir würden ihnen gern zumindest einen Teil dieser Freiheit zurückgeben. Der Gesetzgeber gibt vor, dass wir Geimpfte anders behandeln können als Ungeimpfte«, sagte er dem SPIEGEL.
Chef des Unternehmens über den Zweck des umstrittenen Plakats
Die Lösung mit dem Plakat habe die Leitung des Familienunternehmens gemeinsam mit den Mitarbeitern entwickelt: »Es ging überhaupt nicht darum, jemanden zu erpressen oder zu erniedrigen, sondern um eine pragmatische Lösung. Das sind ja alles meine Leute, Geimpfte wie Ungeimpfte, und natürlich akzeptiere ich auch, wenn jemand sich nicht impfen lassen will«, betont der Chef. Der Pausenraum, um den es gehe, sei etwa 50 Quadratmeter groß. »Da darf sich nicht mehr als ein Ungeimpfter ohne Maske aufhalten, so sind die Vorgaben. Deshalb haben wir die Fotos passbildgroß auf dem Aushang gehabt; ein Name ohne Gesicht sagt nichts, wenn man die andere Person nicht kennt. Ungeimpfte konnten somit erkennen, ob sie im Pausenraum einen Mund-Nasen-Schutz tragen müssen oder eben nicht.«
Von allen betroffenen Mitarbeitern habe man sich schriftlich bestätigen lassen, dass sie mit dem Aushang einverstanden sind. »Da haben wir auch keinen Druck ausgeübt«, so der Chef. Das Plakat habe seit dem 4. Oktober unbeanstandet ausgehangen.
Bis es jemand auf Twitter veröffentlichte. »Das Irre ist ja, dass ausgerechnet die Leute, die das Foto des Aushangs unverpixelt verbreiten, uns vorwerfen, den Datenschutz zu missachten. Das macht mich wütend. Wir werden da auch Anzeige erstatten – solche internen Dokumente gehören nicht an die Öffentlichkeit. Von uns war das ja nicht menschenverachtend gemeint, sondern nur eine interne, zeitlich befristete Maßnahme, die weitere Lockerungen möglich gemacht hätte.«
Es habe auch Kontakt mit zwei Mitarbeitern des Landesdatenschutzbeauftragten gegeben: »Die haben sich die Lage vor Ort erklären lassen und die Unterlagen zur Prüfung mitgenommen. Nach Rücksprache mit der Behörde gehen wir davon aus, dass wir nichts falsch gemacht haben.« Die »Bild«-Zeitung, die in der Donnerstagsausgabe über den Fall berichtet , zitiert einen Mitarbeiter, der auf dem Aushang gezeigt wird: »An einen Pranger gestellt fühlten wir uns nicht. Es gab keinen Zwang, wir waren damit einverstanden.«
Bußgeld für die Empörten bei Twitter?
Der Thüringer Landesbeauftragte für den Datenschutz und die Informationsfreiheit (TLfDI) Lutz Hasse bestätigt gegenüber dem SPIEGEL die Darstellung der Firma im Wesentlichen: »Wir hatten eine Beschwerde und sind ihr vor Ort nachgegangen. Unsere Mitarbeiter haben dort klargestellt, dass ein solcher Aushang nur mit Einwilligung der betroffenen Mitarbeiter rechtens ist. Diese Einwilligungen liegen uns vor. Der Prüfungsvorgang ist noch nicht komplett abgeschlossen, aber grundsätzlich lässt der §26 des neuen Bundesdatenschutzgesetzes es zu, dass Arbeitnehmer auch in eine solche Form der Datenverarbeitung freiwillig einwilligen können, wenn zum Beispiel die Verfolgung gleichgelagerter Interessen vorliegt – wie hier die unkompliziertere Nutzung des Pausenraums.«
Konkret heißt das: Aus Sicht des Datenschutzbeauftragten kann der Aushang durchaus von der Rechtslage gedeckt sein. »Auf keinen Fall rechtens ist es aber, so einen Aushang ohne Einwilligung der abgebildeten Personen im Internet öffentlich zu teilen«, betont Hasse. »Wir prüfen gerade, ob hier eine Straftat vorliegt oder ob wir als Behörde ein Bußgeld gegen diejenigen verhängen können, die das ins Netz gestellt haben.«
Mittlerweile hat der Chef des Unternehmens nach eigener Aussage zwischen 500 und 600 Mails zum Thema Impfstatus-Aushang bekommen. »Die freundlicheren schreiben nur ›schämt euch‹, aber es sind auch Morddrohungen dabei und anonyme Wünsche, man sollte uns am besten am nächsten Baum aufknüpfen.« Ein Twitter-Aufruf, die Firma mit schlechten Bewertungen auf Google zu bestrafen, blieb hingegen weitgehend erfolglos: »Google hat bis jetzt ohne unser Zutun mehr als 300 negative Rezensionen für unsere Firma gelöscht, zu denen auf Twitter aufgerufen worden war«, sagt der Firmenchef.