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Beruf im Buch Ich bin's, das Finanzwesen

Wer die Taste F9 findet, kann bei einer Bank arbeiten, behauptet der Autor Joris Luyendijk. In seinem Buch "Unter Bankern" beschreibt er eine Branche zwischen Realitätsverlust und Wahnsinn.
"Unter Bankern": Was braucht man, um in der Branche die Karriereleiter zu erklimmen?

"Unter Bankern": Was braucht man, um in der Branche die Karriereleiter zu erklimmen?

Foto: Corbis

Wer immer sich den Begriff ausgedacht hat, er hat's darauf angelegt: Finanzwesen, das klingt schon so nach Monster. Nicht Mensch, nicht Tier, die Kontur bleibt schemenhaft. Kein Wunder, dass die Deutschen diesem Berufsstand nicht so recht trauen, nur 39 Prozent glauben Bankern, was sie sagen (Journalisten, Politiker und Versicherungsvertreter hat's noch schlimmer erwischt. Feuerwehrmann müsste man sein!)

Spätestens seit der Finanzkrise ist klar: Banker, das sind doch diese schrecklichen, haarigen Biester, die immer nur das eine wollen von einem Kunden. Nur: Was machen die eigentlich den ganzen Tag? Und - sind die alle so?

Mit anthropologischem Eifer hat sich der Journalist Joris Luyendijk ins Londoner Finanzwesen gestürzt, um diese "Spezies" zu "besichtigen", wie der Untertitel seines Buchs in naturwissenschaftlichem Duktus verheißt. Zwei Jahre lang hat er recherchiert, ob diese Branche eine sichere Bank ist - und Berufe gefunden, wie sie im Buche stehen:

1. Was gibt's zu tun?

Die Taste F9 drücken. Dann ploppen auf dem Bildschirm die aktuellen Gewinne und Verluste auf. Nur blöd, wenn man keine Ahnung hat, was hinter der Software steckt. Der Finanzcrash von 2008 jedenfalls, so die These im Buch, wäre nicht so dramatisch ausgefallen, wenn die Händler keine "F9-Affen" gewesen wären - denn die Annahmen über den Markt, auf denen die verhängnisvollen Programme basierten, hatten mit der Bankenrealität nichts mehr zu tun. Am besten, man rettet sich in die Sparte, die sich um die Vermögensverwaltung kümmert. Da geht's geradezu ruhig zu. Oder in einen der Zulieferbetriebe, also Ratingagenturen, Wirtschaftsprüfer, Finanzanwälte, Headhunter, IT-Firmen. Besonders letztere werden dringend gebraucht, denn:

2. Welches Werkzeug braucht's?

Vergesst die Bildschirme und die Börsenkurven - eine richtig gescheite Software, das wär's. Denn was die Insider schildern, klingt, als sei die EDV handgestrickt. Einer sagt sogar: "Die nächste weltweite Finanzpanik wird von einem IT-Crash ausgelöst werden."

3. Wie ist's um die Arbeitsmoral bestellt?

In den Handelssälen hocken "Söldner", alle in permanenter Angststarre wegen der Kultur des "Hire und Fire", schreibt Luyendijk. Genau deswegen, so seine Bilanz, haben sie keinen Grund, sich "auf lange Sicht über das Abschneiden komplexer Anlageprodukte oder die finanzielle Gesundheit ihrer Bank" Gedanken zu machen. Außerdem unterscheidet er "Wahn-Banker" und "Seifenblasen-Banker", die einen verlieren den Kontakt zum Rest der Welt, die anderen den zur Realität. Und dazwischen sitzen Mathenerds mit Asperger-Syndrom. Na, prima.

4. Und die Kollegen so?

Regel Nummer eins: Keiner legt sich mit dem "Front Office" an. Denn wenn es einen Mikrokosmos mit intaktem Kastenwesen gibt, dann ist es diese Branche: Die supergeilen Händler aus eben jenem "Front Office" stehen oben, dann kommt lange nichts. Irgendwo weiter unten in der "Mitte" die Compliance-Aufpasser, ganz unten das "Back Office", das sich um Infrastrukturkram kümmert. Auch wenn Beruf-Tier-Vergleiche immer am Rande der Albernheit vorbeischrammen, ist bezeichnend, was sie auf Luyendijks Frage antworten: Die Leute aus dem Back Office sehen sich als Bienen oder Biber, die Sicherheitsaufpasser aus der Mitte als Hunde. Und die Trader? Als Wölfe, Tiger, Hyänen, Paviane oder Schlangen. Na, doch lieber umsatteln?

5. Was sind die miesen Seiten des Geschäfts?

Diese Taubheit, wenn man den nächsten fünfstelligen Bonus bekommt. Und dann nichts fühlt. Eine Leere, so leer wie ein geräumtes Konto. Schlimm, wenn man sich nicht einmal über Geschenke freuen kann. Abgesehen davon scheint unter Bankern noch etwas sehr verbreitet zu sein: starke Paranoia. Alle, mit denen Luyendijk sprach, hatten Angst, mit ihm gesehen zu werden. Sie schauten sich permanent nervös um, manche brachen spontan das Gespräch ab, wenn ein Bekannter am Café vorbeilief. Oder kamen erst gar nicht. Kein Wunder: Es ist sogar Usus, für ein und denselben Job zwei Mitarbeiter anzuheuern - nur um zu sehen, wer überlebt.

6. Welche Codeworte muss man beherrschen?

Wer ein "broker's ear" hat, kann angeblich fünf Gesprächen gleichzeitig folgen, wer einen "doughnut" bekommt, hat sicher keinen Appetit mehr, denn so bezeichnen die Banker einen Nullbonus. Vielleicht weil derjenige am "Fat-Finger-Syndrom" leidet - und blöderweise eine Null zu viel auf der Tastatur eingetippt hat. Da hilft auch die rettende F9-Taste nicht, aber die kennen Sie ja schon.

7. Was sind die Insignien der Macht?

Die Hinterbänkler erkennt man ihren Billigkulis, im "Front Office" garniert man sich mit teuren Füllern - und wer aufsteigen will, legt sich am besten prophylaktisch schon mal einen zu. Den Luxusschlitten hat sich der Kollege allerdings nur für potenzielle Kunden zugelegt: Damit die sehen, dass der Typ schon viele Unternehmen mit Karacho an die Börse gebracht hat. Bei Investmentbanken mag die Fassade zwar aus Luxusgedöns bestehen, von Brioni-Anzügen bis zu Kunst an der Wand, aber: "Die Handelssäle sind Fabriken".

8. Lohnt es sich?

Für 140.000 Euro im Jahr? Stimmt, rhetorische Frage. Doch die selbstständigen Trader müssen knapsen, ihre Fixkosten sind immens: Da sind die teuren Abos für Finanzdaten, die zig Bildschirme, mittags wollen die Kunden zum Essen eingeladen werden, ach, abends auch, und weil man den ganzen Tag am Schreibtisch sitzt, muss ein sauteurer ergonomischer Stuhl her. So viel zum Job. Auch wenn das Buch selbst nichts Revolutionäres enthüllt - siehe Image-Umfrage über Banker - ist es die Investition dennoch wert: Das "Aha!"-Gefühl, das Luyendijks Branchenorganigramm bei Fachfremden hinterlässt, ist so stark, man wünschte, man hätte es auch beim nächsten Termin beim Finanzberater.

Foto: privat

KarriereSPIEGEL-Autorin Anne Haeming (Jahrgang 1978) ist freie Journalistin in Berlin.

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