Karriere als Unternehmensberater Aufwärts immer, abwärts nimmer

Rein: Erst plaudern, dann rechnen
Es ist eine Berufskrankheit des Beraters, Unschönes in Worthülsen zu verpacken. Probleme sind Challenges, Defizite werden zum Entwicklungspotenzial - und das Assessment-Center heißt Auswahltag. Wir setzen niemanden unter Druck, soll der Begriff suggerieren, hier gibt es keine Fließbandabfertigung und keine Fangfragen, bei uns geht es doch ganz anders zu als in anderen Firmen. Natürlich ist das Unfug.
Wer als Bewerber von einer Unternehmensberatung eingeladen wird, muss in kürzester Zeit beweisen, dass er das Zeug für den Job hat - indem er standardisierte Aufgaben löst. Ob man das Auswahltag oder Assessment-Center nennt, ist egal. Der Stress beginnt ohnehin lange vorher: Die drei Topberatungen McKinsey, BCG und Bain brüsten sich damit, Jobs nur an Menschen zu vergeben, die zu den besten 10 bis 15 Prozent eines Jahrgangs gehören. Das messen sie an den Abschlussnoten. Und erwarten neben dem Einserzeugnis selbstverständlich Auslandsaufenthalte, Praktika, ehrenamtliches Engagement.
Die Top 3 können sich solche hohen Ansprüche leisten. Allein McKinsey wird mit 10.000 Bewerbungen pro Jahr geflutet. Rechnerisch bekommt jeder 50. Bewerber einen Job, real ist die Quote noch geringer. Denn von den jährlich 200 neuen Arbeitsverträgen gehen einige direkt an ehemalige Praktikanten, die in der Bewerberstatistik nicht mitgezählt werden. Interessenten ohne auf Hochglanz polierten Überfliegerlebenslauf haben dennoch Chancen - aber eher bei mittelständischen Beratungen, Wirtschaftsprüfungsgesellschaften und im Inhouse-Consulting.
Eine Besonderheit der Branche: Die Interviews führen fast durchweg die Berater selbst, nicht Mitarbeiter aus der Personalabteilung. Meist bestehen die Einstellungstests bei Strategieberatungen, egal welcher Größe, aus mindestens zwei Teilen. Die persönlichen Interviews und die Fallstudien gehen fließend ineinander über. Erst wird geplaudert, dann gerechnet.
Die Fallstudien sind vielfach Aufgaben, die der Interviewer in der Praxis selbst schon mal lösen musste. Für den Auswahltag werden die Fälle so reduziert, dass sie in knapper Zeit, bei McKinsey etwa in 25 bis 30 Minuten, ohne Recherche zu lösen sind. In der Regel schildert der Interviewer eine Situation und formuliert eine Frage: Was soll die Firma jetzt machen, was würden Sie dem Chef raten? Wichtiger als eine korrekte Antwort ist ein schlüssiger und eleganter Lösungsweg. Manchmal bekommt man dazu einen ganzen Stapel Infos mit Tabellen, Grafiken, Zahlen in die Hand gedrückt, plus Stift und Papier.
An einem Auswahltag müssen Bewerber drei bis fünf solcher Interviews meistern. Wer sich gut schlägt, bekommt oft direkt einen Arbeitsvertrag angeboten.
Rauf: Jeder bewertet jeden - jederzeit
Große Beratungsfirmen sind aufgebaut wie Pyramiden. Unten passen viele rein, oben wenige. Keine andere Branche trägt das interne Bewertungssystem so offensiv nach außen: Schaut alle her, wie hart wir drauf sind! Bei uns arbeiten nur die Allerbesten! Das ist die Botschaft und zugleich der Werbeslogan der Consulting-Firmen.
Unternehmensberatungen kennen sechs bis sieben Karrierestufen mit verwirrend vielen eigenen Titeln und Anforderungsprofilen. Je nach Hochschulabschluss und Berufserfahrung können Einsteiger auch Stufen überspringen und, beispielsweise mit Promotion oder MBA, direkt Associate oder Junior Consultant werden. Auf der nächsten Ebene ändern sich die Arbeitsaufgaben; nun leitet man Projekte und Teams - manche nennen es auch "Beraterabitur".
Es gelten strikte Regeln, wie lange jemand auf einer Karrierestufe verweilen muss oder darf, meist zwischen einem und drei Jahren. Ist die Zeit um, gibt es nur zwei Möglichkeiten: Up or out. Grow or go. Wer hart arbeitet, kriegt alles - und zwar in kürzester Zeit. Wer versagt, fliegt raus.

Brainteaser-Quiz: Haben Sie das Zeug zum Consultant?
Was brutal klingt, hat auch einen großen Vorteil: Niemand muss ewig auf den Aufstieg warten. Während Jungmanager bei Konzernen mitunter vertröstet werden, weil alle spannenden Posten schon vergeben sind, ist Unternehmensberatern die Beförderung sicher, sofern sie die gewünschte Leistung erbracht haben. Sind neun Berater fit für die nächste Stufe, steigen auch alle neun auf und müssen nicht warten, bis vielleicht irgendwann eine passende Stelle frei wird.
Entsprechend schnell geht es hinauf: In nur sechs Jahren kann man es etwa bei McKinsey oder BCG vom Neuling bis in die Chefetage schaffen. Bei hervorragenden Leistungen und ständiger Kontrolle, versteht sich. Jeder bewertet jeden, "360-Grad-Feedback" heißt das im Beratersprech: War die Powerpoint-Präsentation mitreißend? Erledigt die Kollegin alle Aufgaben pünktlich, oder trödelt sie manchmal? Bringt der Neuling viele eigene Ideen ein, und kann er auch den Kunden überzeugen?
Ständig bewertet zu werden wirkt auf den ersten Blick einschüchternd. Man kann es auch positiv wenden: Jeder Berater weiß jederzeit, wo er steht, was seine Stärken sind, was die Schwächen. Die gibt es im Berater-Slang natürlich nicht. Berater verwenden überhaupt keine negativen Wörter. Schwächen sind also keine Schwächen, sondern Verbesserungspotenziale, ach was: "areas for improvement".
Die Akten vermerken zu jedem Berater, welche "areas" er gerade "improven" muss. Mehrmals pro Jahr tagt das Personalkomitee, hebt oder senkt den Daumen: up or out?
Raus: Der Schwächste fliegt
In Unternehmensberatungen gibt es keine Loser, offiziell zumindest. Bei den großen Firmen erklimmt am Ende etwa jeder zehnte Consultant die höchste Karrierestufe, die des Partners. Oder umgekehrt: Neun von zehn Einsteigern kommen nie dort an. Aber sie schaffen es, auch das als Erfolg zu verkaufen. "Ich widme mich einer neuen Aufgabe" oder "Ich mache jetzt mein eigenes Ding", klingt das nicht gleich viel flauschiger?
Die Vorgesetzten spielen das Spiel mit. Wen sie unreif für die nächste Hierarchiestufe finden, dem knallen sie keine Kündigung auf den Schreibtisch, sondern empfehlen einen Blick auf die Stellenbörse im Intranet. Dort annoncieren die Klienten; Autokonzerne, Banken, Versicherungen. Berater gelten als emsige, fähige, willige Mitarbeiter. Sie finden schon eine Anschlussverwendung.
Die Marktforschungsfirma Lünendonk hat die Fluktuationsrate der zehn umsatzstärksten Beratungen ermittelt: 18 Prozent. Pro Jahr verlässt also einer von fünf Beratern die Firma. Dagegen können sich kleinere Consulting-Unternehmen ein konsequentes Up-or-out-Prinzip kaum leisten - ständig neue Leute zu rekrutieren, ist ein Kraftakt.
Wer Kontinuität im Job will, sollte sich deshalb eher bei Mittelständlern oder im Inhouse-Consulting bewerben. Dort kann man auch intern auf eine andere Stelle wechseln oder zehn Jahre lang auf einer Hierarchieebene verharren.
Das ist in Unternehmensberatungen kein so abwegiger Wunsch. Jede Karrierestufe hat andere Anforderungen, mal analytisches Denken, mal Führungsqualitäten. Möglich, dass jemand als Associate brilliert und als Projektleiter versagt - oder einfach den Spaß an der Arbeit verliert. Dann bleibt bei großen Beratungsfirmen nur der Ausstieg.
Das Alumni-Netzwerk ist das Herzstück jeder Unternehmensberatung. Das Kalkül: Aus ehemaligen Mitarbeitern können zahlungskräftige Kunden werden. Der Wir-waren-doch-mal-Kollegen-Bonus steigert die Chance, neue Aufträge zu bekommen. Und auf frühere Berater ist auch sonst Verlass: Auf die Frage, ob es überhaupt nötig ist, Unternehmensberater kommen zu lassen, werden sie meist mit einem beherzten Ja antworten.

Verena Töpper, 32, ist KarriereSPIEGEL-Redakteurin und sprach für ihr Buch "Consulting Cookbook - der Guide zum Einstieg in die Unternehmensberatung" mit Dutzenden von Consultants.