
Aufwärts immer, abwärts nimmer: Karriere bei Beratungsfirmen
Auf- und Abstieg von Beratern Und raus bist du
Alexander Dober*, 29, ist out. Nach vier Jahren raus aus dem Geschäft. Up or out, aufsteigen oder weggehen, das ist das Motto der großen Unternehmensberatungen. Wer keine Leistung bringt, fliegt raus. Dober sagt, er sei freiwillig gegangen. Aber wer weiß das schon? Niemand kommt aus dem Büro des Chefs und sagt: "Ich bin out." Immer positiv formulieren, das lernen Unternehmensberater schon im Assessment-Center. "Ich widme mich einer neuen Aufgabe" oder "Ich mache jetzt mein eigenes Ding", das hört sich gleich viel besser an. Und die Vorgesetzten spielen das Spiel mit.
In Unternehmensberatungen gibt es keine Loser, offiziell zumindest. Acht von zehn Consultants erreichen nie die höchste Karrierestufe, die des Partners. Aber sie schaffen es, das als Erfolg zu verkaufen. Sie finden andere Jobs, "Linienfunktionen in der Industrie", so formuliert es Carsten Baumgärtner, Partner der Boston Consulting Group (BCG). "Natürlich sind zunächst nicht alle erfreut, denen nahegelegt wird, das Unternehmen zu verlassen. Aber viele merken schnell, dass sich für sie damit neue Türen öffnen." Und manche hätten ja ohnehin nie Partner werden wollen.
Unternehmensberatungen sind interessiert daran, in möglichst vielen Firmen in möglichst hohen Positionen bekannte Gesichter sitzen zu haben. Das Alumni-Netz ist Bestandteil des Geschäftsmodells. Deshalb ist auch Alexander Dober zuversichtlich, dass seine Karriere weitergeht, irgendwie, irgendwo. Dass seine Zeit als Berater schnell vorbei sein könnte, sei ihm schon klar gewesen, als er vor vier Jahren seinen Vertrag unterschrieb: "In der Unternehmensberatung bleibt man nicht ewig. Man verdient gutes Geld, schnuppert überall mal rein, und am Ende bekommt man einen Job in der Industrie." Out zu sein, sei Teil des Spiels.
"Wir sind kein Lifetime-Employer"
Damit werben die Firmen sogar. "Wir sind viel ausbildungsorientierter als andere Wirtschaftsunternehmen", sagt etwa Ana-Cristina Grohnert, Managing Partner bei Ernst & Young. Thomas Fritz, Recruiting-Direktor bei McKinsey, findet noch blumigere Worte: "Up or out ist erst mal ein großes Versprechen." Es besage, dass der Weg nach oben jederzeit offen stehe und nur von der eigenen Leistung abhänge. "Da ist jetzt keine Stelle frei - diesen Satz gibt es bei uns nicht", so Fritz.

McKinsey: Die Ehemaligen an den Schalthebeln der Macht
Wenn fünf Consultants fit seien für die nächste Stufe, dann stiegen auch fünf auf, bestätigt BCG-Partner Baumgärtner. "Unsere Mitarbeiter müssen zwar kontinuierlich sehr gute Leistungen erzielen - sie stehen aber nicht unter Konkurrenzdruck. Das ist ein Vorteil des Systems."
Der zweite Vorteil, den Fritz und Baumgärtner aufzählen: Der Aufstieg geht schnell. In nur sechs Jahren kann man es bei McKinsey vom Associate zum Partner schaffen, bei der Boston Consulting Group sind es acht Jahre - wenn alles glatt läuft. Ob es das tut, wird permanent überwacht.
In keiner anderen Branche wird die Arbeit jedes Einzelnen so vollständig analysiert und bewertet. Nach jedem größeren Projekt füllen alle Vorgesetzten lange Fragebögen zu ihren Teammitgliedern aus: Konnte er oder sie den Kunden überzeugen? Waren die Ideen originell, die Analysen schlau? Am Ende bekommt jeder Berater eine Art Schulzeugnis, das in seine Unternehmensakte wandert. Einmal im Jahr wird die Akte ausgepackt und über das weitere Vorgehen entschieden. Up or out?
Leiden gehört dazu
Beratungsfirmen sind aufgebaut wie Pyramiden. Unten passen viele rein, oben wenige. Und wer einmal drin ist, muss nach oben klettern. Stillstand gibt es nicht - zumindest bei den großen Beratungsfirmen. "Wenn wir dauerhaft zu viele auf einer Karrierestufe hätten, würde das Stagnation in der Entwicklung unserer Mitarbeiter bedeuten", sagt BCG-Partner Baumgärtner. Das Up-or-out-Prinzip sichere "die Fluidität des Karrieremodells". "Wir sind kein Lifetime-Employer", sagt Ernst-&-Young-Partnerin Grohnert. "Wer vom ersten Job bis zur Rente bei einem Arbeitgeber bleiben will, ist hier falsch."
Bei kleineren Beratungsfirmen sieht man das anders. "Bei uns kann man auch mit 40 Jahren noch Senior-Berater sein", sagt Kienbaum-Geschäftsführer Markus Diederich. "Denn wen wird der Kunde wohl eher wieder engagieren: den stromlinienförmigen Berater, der frisch von der Uni kommt und die andere Seite des Schreibtisches und die Berufswelt nur aus der Theorie kennt - oder den Vierzigjährigen, der weiß, wovon er spricht?"
Seine Firma sei noch nie ein Verfechter des sturen Up-or-out-Prinzips gewesen. "Das Modell ist nicht nachhaltig genug - und nicht partnerschaftlich. Wer permanent mit seinen Kollegen konkurrieren muss, wird am Ende eher eine Entscheidung treffen, die seiner Karriere nutzt, als eine Entscheidung, die für den Kunden sinnvoll wäre", so Diedrich. Diese Erfahrung hat auch Alexander Dober gemacht: "Jeder kämpft für sich, das ist die Reinkultur der Leistungsgesellschaft. Eine Wohlfühlatmosphäre darf man in einer Unternehmensberatung nicht erwarten." Das sei aber auch allen Anfängern klar: "Ein bisschen leiden gehört dazu."
Auch Kienbaum verzichtet nicht auf eine regelmäßige Bewertung der Mitarbeiter. Zweimal im Jahr treffen sich alle Mentoren und Führungskräfte und besprechen jeden einzelnen der rund 300 Berater. Wer steigt auf? Wer kriegt mehr Geld? Wer bekommt welche Aufgabe? "People Day" heißen diese Treffen bei Kienbaum.
Jeder will Top-Model sein
Auch bei den anderen Unternehmensberatungen gibt es solche Meetings. "Jeder Partner verbringt fünf bis sechs Tage pro Jahr mit der Bewertung der Mitarbeiter", sagt McKinsey-Recruitingchef Fritz. "Dabei zählt immer das Gesamtbild. Es ist aber keineswegs so, dass man einen Fehler macht und sofort vor die Tür gesetzt wird." Wer zum Beispiel bei einem Projekt eine schlechte Präsentation gehalten habe, werde vom Projektleiter entsprechend gecoacht oder bekomme ein Training angeboten.
"Auch eine Karriereauszeit bedeutet nicht, dass man automatisch 'out' ist. Bei uns kann man ohne Probleme auch mal ein Sabbatical einlegen", sagt Grohnert von Ernst & Young. Und natürlich ist auch BCG-Mann Baumgärtner fest davon überzeugt, dass die regelmäßige Beurteilung dem Wohl der Mitarbeiter dient: "So können wir gezielter Trainings und Fortbildungen anbieten." Außerdem seien die Bewertungskriterien transparent, jeder wisse jederzeit, wo er steht.
Der große Unterschied zum Schulbetrieb: Wer am Ende der fünften Klasse ein Einser-Zeugnis hat, wird mit großer Wahrscheinlichkeit auch die sechste Klasse schaffen. Für Unternehmensberater gilt das nicht. Denn jede Karrierestufe hat andere Anforderungen. "Aus einem guten Consultant muss nicht unbedingt ein guter Projektleiter werden", sagt Baumgärtner. Auf der einen Stufe sei analytisches Denken gefragt, auf der nächsten Teamführung. Wer das eine perfekt kann, das andere aber nicht, muss gehen. Wer alles ein bisschen kann, darf bleiben.
Das behauptet zumindest Alexander Dober, denn "so hart ist das Selektionssystem auch wieder nicht". Eine lange Beraterkarriere lasse noch nicht auf einen genialen Typen schließen: "Die wirklich schlauen Leute suchen sich doch nach ein paar Jahren einen besseren Job." Das sei wie in der Modebranche. Jeder wolle Top-Model sein - "bis man schnallt, was da abgeht". Mit dem Up-or-out-Schlachtruf wolle die Branche nur ihren Mythos aufrechterhalten.
* Name von der Redaktion geändert

Autorin Verena Töpper (Jahrgang 1982) ist KarriereSPIEGEL-Redakteurin.
