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Bewerbungsgespräche "Video Killed the Interview Star"

Wenn Chef und Bewerber sich beschnuppern, können Handschlag und Kantinengeruch den Ausschlag geben. Bei Videointerviews kommen nicht nur die künftigen Mitarbeiter schlecht weg. Sie machen sich auch ein verheerendes Bild von der Firma.

Klingt perfekt: Man kann ein persönliches Gespräch führen, muss dafür nicht mal die Wohnung oder das Büro verlassen, alle sparen Reisekosten und die Umwelt freut sich auch. Kein Wunder, dass Bewerbungsgespräche per Videokonferenz boomen: Laut einer Umfrage des Personaldienstleisters Office-Team unter 500 Personalmanagern nahmen die virtuellen Begegnungen im vergangenen Jahr in den USA um 400 Prozent zu, auch in Deutschland nutzen immer mehr Unternehmen diese Möglichkeit bei der Personalsuche.

Jetzt zeigt eine kanadische Studie jedoch die Grenzen der Methode: Alle Beteiligten schneiden schlechter ab als in persönlichen Gesprächen. Nicht nur die Bewerber kommen als weniger geeignet rüber, auch die Unternehmen werden als wesentlich unattraktiver eingeschätzt. "Unternehmen können potentielle Mitarbeiter allein durch die Form des Interviews verlieren - das ist fatal und lässt einen die Effizienz des Video-Recruitings in Frage stellen", so Willi Wiesner, Professor für Personalmanagement an der McMaster Universität in Hamilton, Kanada und einer der Autoren der Studie.

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Foto: Darren Calabrese/ AP

Die Studienteilnehmer bewerteten den Auswahlprozess als unfair, hatten das Gefühl, nicht adäquat zeigen zu können, was in ihnen steckt und fühlten sich schlecht informiert. Auch der Personaler kam schlechter weg: Er wurde als weniger glaubwürdig und weniger kompetent eingeschätzt.

Keine Chance fürs Bauchgefühl

"Bei einem Jobinterview vor Ort werden viele Informationen nebenbei aufgenommen, die entscheidend sein können. Der Gast kann Mitarbeiter beobachten, bekommt ein Gefühl für die Stimmung vor Ort, den Dresscode, kann vielleicht seinen künftigen Arbeitsplatz ansehen oder Kollegen treffen. Das geht in einer Videoschalte alles verloren", so Wiesner. Gerade Talente, die eine Auswahl an mehreren potentiellen Arbeitgebern haben, sagen lieber einem Unternehmen zu, bei dem sie vor Ort waren.

Ein Teil des Unbehagens scheint jedoch auch der fehlenden Gewohnheit zuschreibbar: Chinesische Studienteilnehmer, die angaben, häufig mit Videokonferenzen zu arbeiten, fühlten sich insgesamt während der Interviews wohler und vergaben bessere Noten an Personaler als die kanadischen Teilnehmer. Sie waren stärker mit den veränderten Kommunikationsregeln vertraut. Hauptirritationen der Teilnehmer waren der eingeschränkte Blickkontakt (die meisten schauen nicht in die Kamera, sondern auf den Bildschirm) und die zeitverzögerten Reaktionen - Gesprächspausen werden so oft überinterpretiert als Desinteresse, obwohl sie an der Technik liegen. Körpersprache fällt im wahrsten Sinne des Wortes unter den Tisch.

"Unsere Studie möchte nicht nahe legen, dass Videogespräche schlecht sind. Sondern unfair, wenn man es mit persönlichen Gesprächen vergleicht", so Willi Wiesner, "Video killed the interview star."

Dumme Antworten? Weiterspulen

Doch der Boom des "Green Recruiting", wie sich der Trend zum CO2-armen Kennenlernen in den USA nennt, wird nicht abbrechen. Eine Verbesserungsmöglichkeit ist, Videointerviews nur für eine erste Auswahl zu verwenden zur Grobrasterung der Kandidaten, und zwar für alle, egal ob aus der Nachbarschaft oder einem anderen Land.

Eine weitere ist die Vorauswahl per zeitversetztem Videointerview: Jobkandidaten sprechen per Internetvideo in eine Blackbox, alle bekommen dort die gleichen Fragen, die sie innerhalb einer bestimmten Zeit beantworten müssen. Wann und von wo man sich zur Fragestunde einloggt, ist egal. Rückfragen sind nicht möglich, Irritationen durch mangelnden Blickkontakt und langsame Antworten gibt es nicht, da ja keiner am anderen Ende der Leitung sitzt.

Anschließend vergleichen die Personaler die gesammelten Antworten auf die einheitlichen Fragen. Die Software-Anbieter preisen die Effizienz: Bei ganz lahmen Kandidaten könne man einfach die Vorspultaste drücken.

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