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"Vier-Stunden-Woche": Jobs, die nicht wie Arbeit wirken

Foto: Anne Haeming

Hängematte als Büro Der Traum von der Vier-Stunden-Woche

Arbeit unter Palmen, die Füße im Sand, Geld kommt wie von selbst rein - so liebt es der "Dynamite Circle". Vier Wochenstunden Arbeit sollen der internationalen Gruppe von Selbständigen reichen. Die Idee funktioniert nur, wenn die Profi-Lenzer alle Schlupflöcher ausnutzen.

Sie haben doch tatsächlich den Vorhang zugezogen. Draußen scheint die Sonne, ganz Berlin genießt die ersten sonnigen Tage seit langem - und diese 80 Männer und eine Handvoll Frauen hocken in einem dunklen Konferenzraum und starren auf eine Leinwand, die Meer und Palmen und Sandstrände zeigt.

Die Südseephantasien sind Hintergrundmotive von Blogs und Unternehmensseiten. Ihre Macher sind für ein Wochenende aus Malta, Bali oder Medellín eingeflogen, um herauszufinden, wie man mit möglichst wenig Arbeitseinsatz möglichst viel verdienen kann. Und zwar idealerweise nur mit einem Laptop, irgendwo auf der Welt, Hauptsache warm. "Dynamite Circle" nennt sich die Gruppe, die sich ein-, zweimal im Jahr trifft; das Logo ist eine brennende Dynamitstange. Fast alle sind in ihren Zwanzigern und Dreißigern, Kinder hat keiner.

Gründer des "Dynamite Circle" ist Dan Andrews, wie fast alle hier braungebrannt und mit Kapuzenpulli. Vor sechs Jahren hat der Amerikaner seine Sachen gepackt und ist nach Asien gereist, um von dort aus zu arbeiten. Seine Firma baut mobile Bars. Thailand, Bali, Vietnam, alle paar Monate woanders. "Slow Travelling" nennt er das. "So kann ich Netzwerke aufbauen, Arbeitskräfte einstellen."

Der große Vorteil von Asien, abgesehen vom Essen und den Temperaturen: Arbeit ist billig, die Flüge sind es auch. "Man kann von tausend Dollar im Monat leben", sagt Andrews. "Damit hat man einfach eine bessere Chance auf Erfolg als Unternehmer."

Das Motto ist geklaut

Seine Erfahrungen gibt er via Podcast weiter, "Tropical MBA" hat er die Seite genannt, auf dem Profilbild schlürft der 37-Jährige aus einer Kokosnuss. "Get Paid to Travel The World" (Werde bezahlt, um die Welt zu sehen), das ist sein Motto. Er hat es geklaut.

Das Konzept stammt von Timothy Ferriss. "Die Vier-Stunden-Woche" nannte er sein erstes Buch. Mehr als eine Million Menschen haben es gekauft. 2007 kam es in den Handel, vier Jahre lang hielt es sich auf der Bestsellerliste der "New York Times", in 35 Sprachen wurde es übersetzt. Auf Twitter hat Ferriss eine halbe Million Follower, zweieinhalbmal so viele wie Boris Becker.

Zwei Bücher hat er mittlerweile nachgeschossen: "Der Vier-Stunden-Körper" und "Der Vier-Stunden-Koch". Darin erklärt er etwa, wie man ohne Sport in 30 Tagen zehn Kilo abnimmt, mit zwei Stunden Schlaf pro Nacht auskommt oder sein Testosteronlevel verdreifacht. Die Methoden sind häufig radikal: Um die chinesische Kickbox-Meisterschaft zu gewinnen, habe er binnen 18 Stunden per Dehydration fast 13 Kilo ab- und dann wieder zugenommen. Und im Kampf selbst habe er seine Gegner einfach aus dem Ring geschubst und so durch technischen K.o. gewonnen, schreibt Ferriss in der "Vier-Stunden-Woche". Man muss nur die Schlupflöcher finden.

Arbeit? Das ist das, was die anderen machen

Arbeit ist für Ferriss vor allem das, was die anderen machen. In seinem Fall in Indien. Dort hat er einen persönlichen Assistenten engagiert, der für ihn via Internet ungeliebte Aufgaben erledigt. In Rekordzeit und für wenig Geld, na klar. "Nehmen Sie sich einen Assistenten, auch wenn Sie keinen brauchen", jubelt er in seinem Buch.

Das ist der Haken am freien Leben des Südsee-Unternehmers: Der Traum lässt sich nur so lange leben, wie es Menschen gibt, die nicht den ganzen Tag in der Hängematte liegen. Die dort arbeiten, wo es regnet und kalt ist oder der Smog ihnen den Atem verschlägt. Und die sich freuen, wenn sie in Berlin die Vorhänge auf- statt zuziehen dürfen.

Conni Biesalski hatte schon genug Sonne in diesem Jahr, ihre Nase schält sich vom Sonnenbrand. Ihr Büro hatte die Reisebloggerin zuletzt in Portugal aufgeschlagen. Mehr als Laptop, Smartphone und Notizbuch braucht sie nicht, ihr Besitz passt in einen 40-Liter-Rucksack und die Umhängetaschen zu ihren Füßen. "Bei 30 Grad und Meer vor der Tür habe ich keine Lust, den ganzen Tag zu arbeiten", sagt sie. "Für mich ist das auch eine Motivation." Sie sei produktiver als in dem Bürojob, den sie mal für ein paar Monate bei einer Berliner Werbefirma hatte.

Vier Stunden, in denen das Geld reinkommt

Wie alle Mitglieder des "Dynamite Circle" schwärmt Biesalski vom Konzept der Vier-Stunden-Woche: "An diesen Punkt wollen alle hier kommen." Da hier aber keiner seine Arbeit als Arbeit empfindet, definiert sie es so: "In diesen vier Stunden musst du dafür sorgen, dass das Geld reinkommt", der Rest sei Vergnügen.

"Ich finde, man sollte das mit den vier Stunden als Inspiration verstehen", sagt Stefan Erlich. Er hat vor 2011 seinen festen Frankfurter Beraterjob gekündigt und arbeitet seither vom kolumbianischen Medellín aus. "Hier ist keiner, der auf Bali sitzt und den ganzen Tag nur Cocktails schlürft", vielmehr hätten sie sich eben einen Job und ein Umfeld gesucht, das Arbeit nicht wie Arbeit wirken lasse. Erlich etwa testet Geldanlagen und schreibt in seinem Blog darüber, im Impressum steht eine Frankfurter Telefonnummer, die nach Südamerika umgeleitet wird, um seine Kunden nicht zu verwirren.

"Ich will nicht aussehen wie ein Backpacker", sagt Programmierer Alexej Friesen. Mit seiner praktischen Reiseuniform aus schwarzen Klamotten und dem angedeuteten Irokesenhaarschnitt hat er etwas von einem Rockstar. Vor knapp einem Jahr schulterte er seinen 28-Kilo-Rucksack und tingelt seitdem durch Asien.

Wo es ihm gefällt, bleibt er vielleicht neun Wochen, meist im Hotel, "da trifft man Leute, die sind wie man selbst. Da gibt es auch mal Chancen zur Zusammenarbeit". So habe er schon einige Jobs gefunden - und vergeben. Friesen berät E-Commerce-Firmen, vor allem in Deutschland. Sie wissen, dass er nicht einfach vorbeikommen kann. "Kunden, die auf Gespräche vor Ort in Deutschland bestehen, habe ich aussortiert."

Sag Tschüs zum Loft

Für Friesen, Erlich und Co. gilt als Schlüsselmoment, ein Business aufzubauen, das automatisch läuft. "Passives Einkommen" ist das Zauberwort der Runde: Umsatz machen ohne zusätzlichen Aufwand, etwa über E-Book-Verkäufe, Podcast-Abos, exklusives Material für zahlende Kunden.

Damit auch andere mehr Geld aus weniger Arbeit rausholen können, gibt es vor der Mittagspause im dunklen Konferenzraum einen Schnelldurchgang in Gruppen-Unternehmensberatung. Ein paar zeigen ihre Homepage und erklären die strategischen Probleme in ihrem Business. Nach zwei, drei Minuten feuert das Publikum Ratschläge ab. "Erhöh einfach die Preise und schau, was passiert", "Kannst du nicht was outsourcen?", "Such dir andere Kunden".

Sie alle wissen, wovon sie reden, sie haben Ahnung, aber auch keine Scheu zuzugeben, wenn sie vor eine Wand laufen. "Business in 48 Stunden neu organisiert, das sagt doch alles", twittert eine prompt.

Und so muss man den Arbeitsnomaden bei aller Skepsis eines lassen: Sie machen einfach etwas. Sie haben eine Chance gesehen und ergriffen. Etwas in ihrem Arbeitsleben hat sie gestört, sie wollten mehr Freiheit, mehr Selbstbestimmung, weniger Arbeit, mehr Geld - also haben sie alle Seile zum Angestelltendasein gekappt, ihr Leben geändert und an den Sandstrand verlegt.

Er habe alles aufgegeben, sagt Friesen: sein Loft, sein Auto, auch seine Freunde. "Ich hatte viel Besitz angehäuft." Seine Bilanz nach einem Jahr on the road: "Es war um ein Vielfaches leichter, als ich es mir vorgestellt hatte."

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