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Michael, Auswanderer in Vietnam »Ich hätte nie gedacht, wie glücklich es mich machen könnte, mein Leben in Deutschland aufzulösen«

Möbel verschenkt, Versicherungen gekündigt – und ab nach Vietnam. All seine Ersparnisse steckte der Deutsche Michael Kredics in ein Bed and Breakfast im Küstenort An Bang.
Kredics bei der Arbeit: »Wir sitzen bis mittags mit den Gästen zusammen«

Kredics bei der Arbeit: »Wir sitzen bis mittags mit den Gästen zusammen«

Foto:

Tung Vu

Viele Menschen träumen von einem Leben in der Ferne, aber nur wenige setzen diese Träume auch um. Was treibt sie an? Wie schaffen sie den Neustart in der Fremde? Davon handelt das Buch »Mittagspause auf dem Mekong«  der SPIEGEL-Redakteurinnen Kristin Haug und Verena Töpper. Sie haben Geschichten von Deutschen in 28 Ländern auf sechs Kontinenten gesammelt. Dieser Text ist ein Auszug aus ihrem Buch, das in diesem Jahr erschienen ist.

»Ich hätte nie gedacht, wie glücklich es mich machen könnte, mein Leben in Deutschland aufzulösen. Endgültig aus meiner WG auszuziehen, meine Möbel zu verschenken, meine Versicherungen zu kündigen. Mit 30 Jahren habe ich den Absprung geschafft.

Eigentlich waren die Weißwürste daran schuld. Ich hatte schon fünf Jahre lang für eine Stuttgarter Werbeagentur gearbeitet und musste für eine Veranstaltung eines Reifenherstellers das Büfett planen. Vier Wochen lang habe ich mit der Reifenvertreterin darüber diskutiert, wie bayerisch das Essen sein sollte. Sie war ziemlich unfreundlich zu mir und forderte ständig neue bayerische Spezialitäten.

Und da habe ich mich gefragt, warum ich vier Wochen lang über Weißwürste reden muss? Was habe ich überhaupt die vergangenen Jahre geleistet?

Dann habe ich gekündigt.

Vorher hatte ich schon zweimal versucht, meinen Job aufzugeben, aber mein Chef hatte mich jedes Mal mit Gehaltserhöhungen halten können. Doch mit der dritten Kündigung hat es geklappt.

Damals fragte mich eine Freundin, ob ich sie auf eine Reise nach Vietnam begleiten könnte. Ihre Eltern waren selbst vor 40 Jahren von dort nach Deutschland ausgewandert, und sie hatte noch Verwandte da.

Michael Kredics auf der Baustelle zu seinem Bed and Breakfast

Michael Kredics auf der Baustelle zu seinem Bed and Breakfast

Foto:

privat

Als wir in Ho-Chi-Minh-Stadt landeten, war alles wuselig, laut und dreckig – und ich fand es großartig. Wir blieben zwei Wochen dort, und seitdem fasziniert mich das Land. Alles riecht anders, alles schmeckt anders. Es fühlt sich die ganze Zeit an wie ein Feuerwerk im Kopf.

Ich flog wieder hin, reiste vier Wochen lang durchs Land und blieb in dem kleinen Fischerdorf An Bang vor den Toren von Hoi An in Zentralvietnam hängen. Da ist der Strand direkt vor der Haustür, es gibt tolle kleine Restaurants, die Menschen sind nett, ich fühlte mich wohl.

Dort verlängerte ich dreimal meinen Aufenthalt um jeweils eine Woche und freundete mich in einem Restaurant mit einer Vietnamesin an. Irgendwann fragte sie mich, ob ich nicht bleiben und mit ihr ein Bed and Breakfast aufbauen möchte.

Ich flog noch einmal nach Deutschland, verkaufte und verschenkte den Großteil meiner Sachen, Möbel, Klamotten, Elektronik, lagerte den Rest bei meiner Mutter ein. Auch mein WG-Zimmer wollte ich nicht nur untervermieten, ich gab es komplett auf.

Vor Ort in Vietnam hatte meine Businesspartnerin ein Grundstück gefunden, und wir ließen unser Bed and Breakfast dort bauen. Wir engagierten eine Architektin, die in London studiert hatte und aus Hoi An kam. Sie kannte Bauarbeiter, Dachdecker, Installateure und Klempner, und nach acht Monaten war unser Haus fertig.

Eineinhalb Jahre nachdem Kredics ausgewandert ist, folgte ihm seine Freundin

Eineinhalb Jahre nachdem Kredics ausgewandert ist, folgte ihm seine Freundin

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Tung Vu

Etwa 30.000 Euro habe ich dafür investiert – meine gesamten Ersparnisse. Aber ich fand den Gedanken, das Geld zu verlieren, falls es nicht klappen sollte, weniger schlimm als später bereuen zu müssen, es nicht in Vietnam versucht zu haben.

Als unser Bed and Breakfast gebaut wurde, habe ich mir einen Sprachlehrer genommen und mit ihm die Grundlagen der vietnamesischen Sprache gepaukt. Jedes Wort hat eine Silbe, die Sprache hat sechs Töne – ein Wort kann je nach Ton sechs verschiedene Bedeutungen haben. Mir hat mal jemand gesagt, es dauert zehn Jahre, bis man perfekt Vietnamesisch spricht. Dann habe ich jetzt zumindest schon die Halbzeit geschafft, und mein Vietnamesisch ist ganz passabel.

Inzwischen bin ich mit der Freundin, mit der ich das erste Mal in Vietnam war, zusammen. Eineinhalb Jahre nachdem ich ausgewandert war, hat sie ihren Job als Leiterin einer Physiotherapiepraxis aufgegeben und ist mir gefolgt.

Meine vietnamesische Geschäftspartnerin haben wir inzwischen ausbezahlt. Nun stehen wir hier jeden Tag um sieben Uhr auf, kaufen auf einem Markt Obst und Gemüse ein und bereiten das Frühstück für unsere Gäste vor. Es gibt Müsli, Omelett, Waffeln und dunkles Brot – aber nichts Vietnamesisches, das würden wir ohnehin nie so gut hinkriegen wie die Locals.

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Kristin Haug, Verena Töpper

Mittagspause auf dem Mekong

Verlag: Penguin Verlag
Seitenzahl: 256
Für 14,00 € kaufen

Preisabfragezeitpunkt

31.03.2023 14.10 Uhr

Keine Gewähr

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Normalerweise sitzen wir bis mittags mit den Gästen zusammen, dann essen wir selbst etwas, gehen zum Strand, machen Sport oder Mittagsschlaf und kümmern uns dann um den Check-in und Check-out.

Manchmal muss ich mich kneifen, um zu begreifen, dass ich mir hier in einem sozialistischen Land etwas Eigenes aufgebaut habe. Wir haben fast nur deutsche Gäste, und auch viele Freunde und Familienmitglieder besuchen uns. Wir haben drei Bungalows, zwei Lofts, zwei Privatzimmer und ein Ferienhaus. Maximal können wir 22 Gäste gleichzeitig unterbringen. Eigentlich ist unser Bed and Breakfast wie ein kleines Stückchen Deutschland, nur entspannter und mit geilem Wetter. Deswegen haben wir auch nie Heimweh.

Die Coronapandemie ist für unser Business leider eine Katastrophe, uns sind alle Buchungen weggebrochen. Die Grenzen sind so gut wie dicht, aber wir hoffen, dass es bald wieder bergauf geht. Momentan leben wir von unseren Ersparnissen, machen viel Sport und genießen die Ruhe. Wir denken eigentlich wenig an die Rente. Aber die Lebenshaltungskosten sind hier auch sehr niedrig, und in der Hauptsaison haben wir bisher immer ganz gut verdient, sodass wir auch ein bisschen Geld sparen konnten. Mit Kindern würde das Leben hier sicher nicht so einfach funktionieren – aber wir wollen auch keine.

Mit Armut konfrontiert

Und es gibt auch Schattenseiten: Es ist nicht einfach, als Ausländer Geschäfte zu machen, ohne einheimische Partner hat man keine Chance. Geld verschwindet im System. Und wer nicht weiß, dass man mit der Polizei verhandeln kann, zahlt mehr als andere.

Was mir auch oft bewusst macht, dass ich auf einem anderen Kontinent bin, sind die Tiere. Hier gilt: Wenn du es fangen kannst, kannst du es essen. Das schlägt vor allem mir als Vegetarier auf den Magen.

Und natürlich wird man in Vietnam mit Armut konfrontiert. Unsere Nachbarn sammeln Pappe, und alle zwei Wochen holt eine Frau bei uns die Plastikflaschen ab, weil sie damit Geld verdienen kann. Deswegen versuchen wir hier möglichst bescheiden zu leben und spenden auch ab und zu Geld, zum Beispiel für eine neue Straße durch unsere Nachbarschaft, für Familien in Not, für ein Waisenhaus oder Opfer des Giftes Agent Orange.

Eigentlich würde ich gern ein richtig großes Motorrad fahren, aber ich kaufe mir keines, weil ich hier nicht mit so einer dicken Maschine gesehen werden will. Einfach aus Respekt vor den Einheimischen.

Nur zu Weihnachten ist es blöd. Das feiert kaum jemand groß, es gibt keinen Glühwein, keinen Weihnachtsmarkt, keine Stimmung. Vor zwei Jahren waren wir über Weihnachten mal in Deutschland. In dieser Zeit spielt sich das Leben ja meist in den Häusern ab. Alle sind drinnen, und es ist unfassbar leise draußen. Das fand ich irgendwie seltsam und war froh, wieder nach Vietnam fliegen zu können. In den Trubel. Nach Hause.«

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