Psychotherapie per Telefon oder Video "Der Bildschirm suggeriert nur eine vermeintliche Nähe"

Psychologische Behandlung über Telefon und Video: "Eine sinnvolle Erweiterung"
Foto: Antonio Guillem/ ShutterstockSascha Belkadi, 30, ist Psychotherapeut mit eigener Praxis in Mönchengladbach. Er ist spezialisiert auf die Behandlung von Depressionen, Traumata und Angststörungen bei Erwachsenen.
"Mitte März habe ich meine Behandlung von heute auf morgen komplett auf Telefon und Video umgestellt. Ich arbeite unweit des Kreises Heinsberg, der lange Zeit Epizentrum des Virus war. Wegen der Ansteckungsgefahr habe ich viele Behandlungen mit Nachdruck auf Videosprechstunden umgestellt. Die meisten waren glücklicherweise so stabil, dass das möglich war. Viele Patienten, gerade ältere, hatten zu Beginn Bedenken. Da war Überzeugungsarbeit per Telefon nötig; und die braucht neben der Behandlung auch Zeit.
Am Telefon fällt es vielen Menschen leichter, über Dinge zu sprechen, die im persönlichen Kontakt schwerer fallen. Behandlung per Video bietet mit Bild eine Sinnebene mehr und ist daher noch einmal intensiver. Dennoch ist das persönliche Gespräch in der Praxis durch nichts zu ersetzen. Patienten während der Behandlung nicht gegenüberzusitzen, ist etwas, an das ich mich auch als Therapeut gewöhnen muss.
Dennoch sind Telefon und Video für unsere Arbeit sinnvolle Erweiterungen. Wir erreichen so Menschen, die kaum mobil sind oder deren psychischer Zustand es nicht zulassen würde, dass sie die eigene Wohnung verlassen. Patienten, die durch Schicksalsschläge oder Missbrauch das Vertrauen in andere verloren haben, kann eine virtuelle Behandlung viel Druck nehmen. Gibt es die Angst, mit einem Mann oder einer Frau allein im Raum zu sein, sind Sitzungen per Telefon oder Video oft ein sehr wertvoller Zugang.
Niedrigschwellig Kontakt aufzunehmen, ist etwas, das für uns auch im Alltag, beim Dating oder Chatten mit Freunden, viel selbstverständlicher geworden ist. Warum sollten wir das nicht auch für unsere Behandlung nutzen?
Auch Patienten, die bereits stabiler sind und eine gute Struktur in ihrem Alltag haben, können davon profitieren. Der Bildschirm suggeriert nur eine vermeintliche Nähe. Das Fehlen der persönlichen emotionalen Bindung ist für diese Patienten besser auszuhalten. Je grundlegender die Störung in der Persönlichkeitsstruktur, desto wichtiger ist die unmittelbare Erfahrung von persönlichem Kontakt. Zusammen Gefühle auszudrücken, zusammen bestürzt sein - all das ist wichtig.
Gerade ist die Anstrengung für mich als Therapeut viel körperlicher zu spüren. Ich sitze den ganzen Tag vor dem Bildschirm, bin angespannter im Nacken und auch der Augenkontakt fällt beim ständigen Starren auf den Bildschirm schwerer. Es fühlt sich am Ende des Tages ein bisschen an, als hätte ich dreimal hintereinander "Titanic” geschaut.
Meine Praxis ist immer auch Schutzraum für meine Patienten. Der fehlt in Videobehandlungen. Viele von ihnen haben nie gelernt, wie das geht, sich einen persönlichen Schutzraum aufzubauen. Es ist auch schon vorgekommen, dass ich Behandlungen abbrechen musste. Häufig, weil die häusliche Situation es nicht zulässt zu therapieren. Privatsphäre ist nötig. Gerade dann, wenn Dinge besprochen werden, die nicht für Kinderohren gemacht sind.

Psychotherapeut Belkadi: "Das erste Mal, dass ich bei Patienten eine so große Bedrückung, Beklemmung und Sorge erlebe"
Foto: Marcel HünninghausViele Menschen haben jetzt neue Sorgen. Die zusätzliche existenzielle Angst etwa, den Job zu verlieren oder in Kurzarbeit zu wenig zu verdienen. Das erschwert mir als Therapeut, die Ursachen persönlicher Probleme an ihrer Wurzel zu behandeln. Die Leute belastet vor allem die Isolation und die Ungewissheit, die gerade herrscht. Für Patienten, die früh im Leben Kontrollverlust erlitten haben, ist das besonders schwer.
In meiner Laufbahn habe ich noch keine vergleichbare Situation erlebt. Patienten und Freunde erzählen mir, dass die Angst in den Achtzigerjahren, als die ersten Aids-Fälle auftraten, eine ähnliche war. Für mich ist es das erste Mal, dass ich bei Patienten durchgehend eine so große Bedrückung, Beklemmung und Sorge erlebe. Wir alle wissen gerade nicht, wie es weitergeht – das ist für die meisten das Schlimmste. Das kann die Menschen ängstlicher und depressiver machen. Jeder kompensiert das anders. Viele Menschen scheinen Kontrolle und Erklärbarkeit in den aufkommenden Verschwörungstheorien zu finden.
Akute Selbstmordgefahr und schwere Krisen zu behandeln, ist im nicht-persönlichen Kontakt deutlich schwieriger. Ich arbeite häufig mit stark traumatisierten Patienten, bei denen zudem die Gefahr besteht, dass sie wegtreten, wir nennen das dissoziieren. Über Video oder Telefon sind solche Situationen kaum aufzufangen. Die Behandlungsmöglichkeiten sind hier auf die Stabilisierung begrenzt.
Manche Situationen sind über Video kaum aufzufangen
Das Gespräch über den Wunsch nach Ruhe durch Selbstmord ist in meinem Beruf auch im Videokontakt alltäglich. Diese Gedanken bedrücken die Patienten ohnehin und sind keine zusätzliche Belastung, im Gegenteil: Es gibt den Menschen Entlastung, wenn Sie darüber sprechen können. Nur bei akuter Selbstmordgefahr, "Gefahr im Verzug", also einer angekündigten unmittelbaren Tat, von der ich den Patienten nicht abhalten kann, darf ich externe Hilfe hinzuziehen – die Gefahrenlage bricht die Schweigepflicht.
Befinden Sie sich in einer scheinbar ausweglosen Situation? Hier finden Sie Hilfe.
Corona wird meinen Beruf nicht wesentlich verändern. Mein Wunsch, auch für meine Patientinnen und Patienten, wäre es, dass Telefon und Video auch nach der Pandemie als Ergänzung für die Behandlung genutzt werden. Dennoch: Therapie darf ihren persönlichen Kontakt nie verlieren. Behandlungen sollten immer eine Begegnung bleiben."