Abschiebebeobachterin am Flughafen Auf Nimmerwiedersehen
Auszug aus dem Aufenthaltsgesetz der Bundesrepublik Deutschland, Paragraf 58, Absatz 1: "Der Ausländer ist abzuschieben, wenn die Ausreisepflicht vollziehbar ist."
Eine anstrengende Woche liegt hinter Diana Nuñez, 58. Sie hat in den vergangenen Tagen Männer, Frauen und Kinder aus Armenien, Nigeria und aus dem Sudan begleitet. Sie ging neben ihnen, als sie von der Bundespolizei durch einen langen Flur geführt wurden. Sie fuhr mit ihnen im Fahrstuhl hinunter, zum Vorfeld des Flughafens. Sie stieg mit ihnen ins Polizeiauto, saß neben ihnen auf der kurzen Fahrt zum Flugzeug.
Auf der obersten Stufe der Gangway, nur noch einen Schritt hinein ins Flugzeug und dann raus aus Deutschland, blickte Nuñez den Menschen noch einmal ins Gesicht, ein letztes Mal. Sie sagte nicht: "Auf Wiedersehen." Was sie erlebt, ist immer ein Adieu, ein Abschied ohne Wiedersehen.
Diana Nuñez, eine kleine, aufrechte Frau mit freundlicher Miene, ist Abschiebebeobachterin am Flughafen Frankfurt am Main. Von dort werden die meisten Asylbewerber aus ganz Deutschland in ihre Heimatländer zurückgeschickt. Täglich hat Nuñez mit Menschen zu tun, deren Asylanträge abgelehnt wurden oder deren Aufenthaltserlaubnis abgelaufen ist. Menschen, die der Staat für unerwünscht erklärt hat. Nuñez prüft, ob die Beamten der Bundespolizei unnötig Gewalt anwenden oder anderweitig gegen Recht verstoßen. Sie soll transparent machen, was im Verborgenen abläuft. Finanziert wird ihr Job von der Kirche.
Diana Nuñez versteht, warum die Menschen nach Deutschland kamen
Nuñez' Büro liegt im Terminal 1. Es ist ein kleines Zimmer mit schlichten Holzmöbeln und wenig Papierkram. Die Luft steht hier an diesem warmen Morgen im Mai, das Fenster geht zum Terminal. Nuñez schaut den Touristen und Geschäftsleuten eine Weile beim Check-in zu. Die Reisenden bekommen nichts mit von der Abschiebung, obwohl sie im selben Flugzeug reisen. Die Ausländer werden diskret weggeschafft: Sie sind schon an Bord, wenn die anderen einsteigen.
Diana Nuñez versteht gut, warum die Menschen, deren Abschiebung sie begleitet, einst nach Deutschland kamen. Sie ahnt, wie sie sich fühlten. Nuñez kam mit 23 nach Deutschland, weil sie es in ihrer Heimat Argentinien nicht mehr aushielt. Es herrschte das Militär, Freunde von ihr wurden gefangen genommen oder verschwanden einfach. Deutschland war die naheliegende Wahl: Ihre Großmutter lebte da, bei ihr schlüpfte sie unter.
Zunächst arbeitete Nuñez mehr als zehn Jahre als Stewardess bei der Lufthansa. Als sie 36 war, entschied sie sich für ein Jurastudium und machte dann noch einen Master in Psychosozialer Beratung und Sozialrecht. Jetzt hat sie eine für sie maßgeschneiderte Aufgabe gefunden, eine, hinter der sie zu 100 Prozent steht. "Ich versuche, die Situation der Abzuschiebenden etwas erträglicher zu machen", sagt sie.
Mehrmals am Tag geht Nuñez rüber zu Terminal 2, wo die Räume der Bundespolizei sind. Es gibt dort Türen, die durch Codes gesichert sind. Uniformierte Männer, Räume, die einmal weiß waren und jetzt nur noch gräulich sind.
Man lobt die gute Zusammenarbeit und wahrt professionelle Distanz
Nuñez fällt hier auf. Ein Namensschild auf ihrer Bluse lässt erkennen, dass sie dazugehört. Ob sie erwünscht ist, ist eine andere Frage. Sie ist die Beobachterin, die Aufpasserin, die den anderen auf die Finger schaut.
Nuñez lobt die gute Zusammenarbeit mit den Beamten, die Bundespolizei lobt die gute Zusammenarbeit mit Nuñez. Man wahrt eine professionelle Distanz. Zu Grillpartys lädt man sich nicht ein.
Die Abschiebe-Kandidaten sollen zwei Stunden vor Abflug am Flughafen sein - wie andere Fluggäste auch. Sie müssen ihre Papiere zeigen und einen Sicherheitscheck durchlaufen. Die Bundespolizei verfügt über ein eigenes Kontrollband für Gepäck. Es gibt zwei Warteräume mit Holzbänken. In einem hängt der Lageplan des Flughafens, im anderen kleben ein paar bunte Aufkleber an der Glasscheibe.
Die Ausländer, die weg sollen, sind oft erschöpft, wenn sie in Frankfurt ankommen. Die Polizei hat sie nachts abgeholt, sie mussten Koffer packen, vielleicht verstörte Kinder beruhigen und den Traum von einem neuen Leben endgültig begraben. Viele kommen aus dem Norden oder aus Süddeutschland, sie haben lange Autofahrten hinter sich.
Abgeschoben wird von 6.30 bis 23 Uhr, sie kann nicht immer dabei sein
Die Polizisten haben mehrere Regale gefüllt mit Spielzeug, das sie den Kindern während der Wartezeit geben. Auch Kleidung gibt es. Wenn einer ohne feste Schuhe kommt, findet er vielleicht ein Paar in der richtigen Größe.
Jeden Tag werden im Schnitt 15 bis 20 Menschen abgeschoben, letztes Jahr waren es allein über den Frankfurter Flughafen 3442 Personen. Abgeschoben wird von 6.30 bis 23 Uhr. Im Wartesaal starren die Zwangsreisenden meist apathisch vor sich hin. Andere toben, weinen. Nuñez versucht, mit ihnen ins Gespräch zu kommen, ermöglicht Telefonate mit Angehörigen, überreicht Adressen von Hilfsorganisationen, die im Heimatland aktiv sind.
Sie kann nicht immer dabei sein. Eine Woche vorher erhält sie eine Liste mit den geplanten Abschiebungen. Die Namen sind anonymisiert, die Hintergründe nur skizziert. Nuñez sucht sich heikle Fälle heraus: Kranke, Suizidgefährdete, Familien. Sie begleitet bis zu vier Abschiebungen an einem Tag.
"Ich darf den Menschen nicht das Gefühl geben, dass ich sie rette", sagt Nuñez. Sie ist nicht befugt, aktiv in Abschiebungen einzugreifen. Sie kann höchstens den Gruppenleiter der Bundespolizei informieren, wenn aus ihrer Sicht etwas schiefläuft. Es ist lange her, dass sie einen Verstoß der Bundespolizei feststellen und dem "Forum Abschiebungsbeobachtung" melden musste, vor mehr als zwei Jahren war das. Damals hatte eine Beamtin einem Algerier auf den Rücken geschlagen. Inzwischen kritisiert Nuñez eher die Ausländerbehörden als die Bundespolizei.
Selten bricht die Bundespolizei Abschiebungen ab
Sie erzählt von einer Großmutter, deren Abschiebung von den Behörden beschlossen wurde, obwohl ihre ganze Familie in Deutschland lebt. Von Mädchen und Jungen, die von ihrer Mutter getrennt wurden, nur weil diese gerade nicht zu Hause war, als die Polizisten die Familie abholte.
Manchmal bricht die Bundespolizei Abschiebungen ab. Nuñez erinnert sich an den Somalier, der sich mit seinem Gürtel auf der Toilette strangulieren wollte. An den Syrer, der im Juli 2010 nach Damaskus zurücksollte und sich den Bauch aufschlitzte, aus Angst vor der Rückkehr in die Heimat. An den Afghanen, der vor dem Abflug auf die Landebahn rannte. Meistens ist es nur eine Frage der Zeit, bis diese Menschen erneut zur Abschiebung auf dem Flughafen sind, dann in Begleitung von Ärzten und Sicherheitsbeamten.
Manchmal gibt es auch andere Gründe für einen Abbruch. Einmal stand Nuñez mit einem Abzuschiebenden schon auf der obersten Stufe der Gangway. Plötzlich klingelte ihr Telefon. Bei der Bundespolizei sei ein Fax eingegangen, hieß es. Das Verwaltungsgericht hatte dem Eilantrag des Abzuschiebenden stattgegeben. Er durfte bleiben, zumindest vorübergehend. Vielleicht für immer.
In solchen Fällen darf Diana Nuñez nicht einmal ihre Freude zeigen. Sie beobachtet ja nur.

Die Autorin Ulla Reinhard besuchte die Deutsche Journalistenschule und schreibt unter anderem für den UniSPIEGEL. Dort erschien dieser Artikel zuerst.