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Dolmetscher: Der Mensch in der Mitte

Foto: Helle Fordyce

Dolmetscherin  "Hinterher soll keiner mehr wissen, dass ich dabei war"

Sie kennen die Staatsgeheimnisse dieser Welt und flüstern Barack Obama ins Ohr. Dolmetscherin Helle Fordyce erklärt, wie sie sich auf Konferenzen vorbereitet, und warum Versicherungen sie und ihre Kollegen in eine Risikostufe mit Piloten stecken.
Zur Person
Foto: Studioline/ Martin Landsmann
Foto: Studioline / Martin Landsmann

Helle Fordyce (Jahrgang 1977) arbeitet als Dolmetscherin für Deutsch, Englisch und Spanisch im Bundeslandwirtschaftsministerium.

KarriereSPIEGEL: Frau Fordyce, ohne Dolmetscher wie Sie wären die Regierungschefs dieser Welt ganz schön aufgeschmissen. Wie nervös sind Sie vor Ihren Einsätzen?

Fordyce: Große Veranstaltungen sind natürlich etwas Besonderes, zum Beispiel der G7-Gipfel - aber sie sind auch Teil unseres Jobs. Wir bereiten uns immer sehr gut vor, lesen viel, um die Zusammenhänge, den aktuellen Stand und den Hintergrund zu den Themen zu kennen und uns sprachlich einzuarbeiten. Das kostet viel Zeit. Ideal ist, wenn man Reden vorab bekommt. In der Realität ist das aber oft sehr kurzfristig der Fall. Man braucht für diesen Job also eine schnelle Auffassungsgabe.

KarriereSPIEGEL : Wenn es heißt, die Parteien verhandelten bis tief in die Nacht - sind Sie dann auch die ganze Zeit mit dabei? Oder gibt es mehrere Dolmetscher und Sie lösen sich ab?

Fordyce: Simultan zu dolmetschen, also während der andere spricht, ist extrem anstrengend. Man ist dabei grundsätzlich zu zweit. Wenn es länger als sechs Stunden geht, werden entsprechend mehr Dolmetscher eingesetzt und die Teams lösen sich ab. Das ist zum Beispiel bei der EU-Kommission häufig der Fall. Länger als sechs Stunden lässt sich diese intensive Konzentration nicht halten. Etwas entspannter ist es beim konsekutiven Dolmetschen, also zum Beispiel bei bilateralen Verhandlungen, wenn die Gesprächspartner jeweils warten, bis ich übersetzt habe und dann erst weitersprechen. Dabei sind wir an langen Tagen mindestens zu zweit. Auch hier sind Pausen für uns extrem wichtig, um uns zu regenerieren und wieder volle Leistung bringen zu können.

KarriereSPIEGEL : Dann heben Sie mittendrin ein Schild, auf dem steht: Rien ne vas plus?

Fordyce: Diese Pausen entstehen oft natürlich, weil zum Beispiel eine Mahlzeit eingenommen wird oder sich die Parteien zurückziehen. Bei mehr als sechs Stunden leidet die Qualität, man verpasst leichter mal etwas, weil man nicht mehr aufmerksam genug ist. Der Beruf ist sehr stressig - meine Berufsunfähigkeitsversicherung hat mich in die höchste Risikostufe eingeteilt, zusammen mit Piloten und Elektrikern.

KarriereSPIEGEL : Heißt das auch, dass der Beruf nur was für jüngere, fitte Menschen ist, ähnlich wie bei den Piloten?

Fordyce: Nein, auf keinen Fall. Ich habe auch viele ältere, sehr kompetente Kolleginnen. Die brauchen manchmal nur längere Regenerationsphasen zwischen den Reisen.

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KarriereSPIEGEL : Sie sagten gerade Kolleginnen - ist der Beruf ein sehr weiblicher?

Fordyce: Wir sind in der Tat überwiegend Frauen - die meisten Freiberuflerinnen.

KarriereSPIEGEL : Fiebern Sie mit bei Verhandlungen oder konzentrieren Sie sich so sehr auf die Sprache, dass für so was kein Raum bleibt?

Fordyce: Ich bin inhaltlich immer dabei, ich muss ja verstehen, was ich da übersetze. Natürlich ist einem manches Thema näher und ein anderes weniger. Im Frühjahr war ich zum Beispiel mit der Familienministerin in New York, sie sprach bei der Uno zum Thema Frauenrechte. Das bewegt mich dann auch persönlich. Trotzdem ist die oberste Pflicht immer: absolute Neutralität. Ich gebe nur wieder, was die Ministerin sagt.

KarriereSPIEGEL : Wie ist es mit interkulturellen Eigenheiten, die über Sprache transportiert werden - übersetzen Sie die mit?

Fordyce: Wenn ich zum Beispiel einen Brief übersetze aus einem Sprachraum, wo man zu sehr blumigen Abschiedsformulierungen neigt, übersetze ich nicht wörtlich "Mit der Hoffnung auf ein baldiges Wiedersehen, den besten Wünschen für Ihre Gesundheit und die Ihrer Familie, möge Gott Sie schützen", sondern "Mit freundlichen Grüßen" - weil das bei uns üblich ist.

KarriereSPIEGEL : Und in der persönlichen Begegnung wird dann aus einem "Tschüss" eine innige Abschiedsformel?

Fordyce: Nein, ich kann nur übersetzen, was der Minister sagt. Wir waren vor kurzem in Sambia, davor haben wir unter anderem ein Papier bekommen über die Kultur des Landes. So fragt man dort zum Beispiel immer erst nach der Familie, bevor man zur eigentlichen Sache kommt. Ich weiß das dann, aber wenn der Minister aufgrund der knappen Zeit direkt ins Thema einsteigt, ist das seine Entscheidung.

KarriereSPIEGEL : Wenn er also sagt "Guten Tag, was macht das Bewässerungsprojekt?"...

Fordyce: ... dann übersetze ich genau das und nicht: "Was macht die Schwiegermutter?" - auch wenn das vielleicht üblicher wäre.

KarriereSPIEGEL : Nehmen die Minister oder die Kanzlerin immer ihren gleichen Stab an Dolmetschern mit und wächst man da über die Zeit zusammen?

Fordyce: Es gibt angestellte oder verbeamtete Dolmetscher und Übersetzer, die zum Einsatz kommen, wenn ihre Sprache gebraucht wird. Manche Behörden beschäftigen mehr Dolmetscher als andere, wie etwa das Auswärtige Amt, der Bundestag und das Verteidigungsministerium, weil diese Behörden besonders viele Kontakte mit dem Ausland haben. Es gibt auch die sogenannte Amtshilfe, wo sich die Ministerien gegenseitig Dolmetscher ausleihen. Für besonders exotische Sprachen werden freie Dolmetscher engagiert.

KarriereSPIEGEL : Wie stellt man die Vertraulichkeit der Dolmetscher sicher?

Fordyce: Es gibt eine Sicherheitsüberprüfung und verschiedene Vertraulichkeitsabstufungen. Sicherheitsrelevante Übersetzungen machen die Beamten oder Festangestellten.

KarriereSPIEGEL : Was ist der Unterschied zwischen Dolmetscher und Übersetzer?

Fordyce: Ein Dolmetscher übersetzt gesprochene Sprache, reist viel, arbeitet im Team, muss gut mit Stress umgehen können und in Echtzeit übersetzen. Ein Übersetzer macht schriftliche Übertragungen von einer Sprache in die andere - in der Politik also zum Beispiel Briefe oder Reden. Er macht das meiste vom Schreibtisch aus, kann also länger nach dem perfekten Wort suchen. Für mich persönlich wäre Übersetzen nichts, ich werde unruhig, wenn ich eine zu lange Phase nur im Büro habe.

KarriereSPIEGEL : Haben Sie diese Entscheidung schon im Studium getroffen?

Fordyce: Ja. Wir hatten alle das gleiche Grundstudium und haben uns dann spezialisiert. Abschluss war bei mir noch das Diplom. Übrigens sind die Berufsbezeichnungen "Dolmetscher" und "Übersetzer" nicht geschützt - es kann sich also jeder so nennen, der denkt, er könne das. So ist es wichtig, auf den akademischen Abschluss zu achten.

KarriereSPIEGEL : Wann haben Sie Ihren Job gut gemacht?

Fordyce: Wenn das Gespräch fließt und hinterher keiner mehr weiß, dass ich dabei war.

Das Interview führte Helene Endres, Redakteurin beim Harvard Business Manager.

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