
Wahrheit im Büro "Hilfe, ich bin von Ja-Sagern umgeben!"

Bernd, 39, fragt: "Ich bin von Ja-Sagern umgeben! Ich habe das Gefühl, meine Mitarbeiter sagen mir nicht die Wahrheit. Wenn ich sie nach ihrer Meinung zu meinen Vorschlägen frage, stimmen sie immer nur zu. Ich kann nicht glauben, dass sie ehrlich dabei sind. Warum engagieren sie sich nicht mehr, um das Unternehmen voranzubringen? Und wie kann ich meinen Mitarbeitern ihre wirkliche Meinung entlocken?"
Hallo Bernd,
Ihrer Frage entnehme ich, dass Sie mit dem Arbeitseinsatz Ihrer Mitarbeiter grundsätzlich zufrieden sind und es Ihnen vor allem um mehr Offenheit geht. Wenn sich mehrere Mitarbeiter ähnlich verhalten, ist die Ursache nicht bei Einzelnen zu suchen, sondern eher bei den Rahmenbedingungen, die dieses Verhalten hervorbringen.
Es stellt sich also die Frage, welchen Anteil Sie selbst daran haben, dass eine kritische und zugleich konstruktive Auseinandersetzung in Ihrem Team kaum stattfindet.
Denken Sie darüber nach, wie, wann und in welchem Zusammenhang Sie Ihre Vorschläge präsentieren. Möglicherweise ist Ihren Mitarbeitern nicht ausreichend bewusst, dass es Ihnen wichtig ist, Beiträge aus dem Team für Problemlösungen außerhalb der Routine zu erhalten.
Vielleicht fehlt Ihren Mitarbeitern auch schlicht das nötige Wissen zur Diskussion oder die Hintergrundinformation, um die jeweilige Sachlage fundiert zu beurteilen. Dies könnten Sie bei nächster Gelegenheit überprüfen, indem Sie einfach nachfragen. Sollte da das Problem liegen, stellen Sie in Zukunft mehr Informationen zur Verfügung.
Verführen Sie Ihr Team zur Passivität?
Womöglich verführen Sie Ihre Mitarbeiter aber auch zur Passivität, weil Sie ihnen bereits fertige Lösungen präsentieren. Dann machen Sie es Ihren Mitarbeitern zu leicht. Denn eine wirkliche Diskussion kostet Zeit. Ihre Leute könnten davor zurückschrecken, eigene Vorschläge ausarbeiten zu müssen. Denn am Ende müssten sie vielleicht Überstunden machen, um die Tagesarbeit zu erledigen. Da ist es doch viel einfacher, die fertigen Gedanken des Chefs zu bestätigen und damit zusätzlichem Aufwand zu entgehen.
Herrscht im Team das Gefühl, Engagement wird nicht honoriert, dann erhalten Sie von dort auch keine Impulse. Dabei geht es nicht primär um Geld, sondern vielmehr um die Anerkennung und Wertschätzung des Chefs.
Schwieriger wird es, wenn Ihre Mitarbeiter zu der Auffassung gekommen sind, dass Sie gar keine Kritik und Gegenvorschläge hören möchten. Denken Sie einmal daran zurück, ob dieses Phänomen schon zu Beginn Ihrer Zusammenarbeit auftrat oder es sich erst nach einiger Zeit entwickelt hat. Könnte es sein, dass Sie nicht aufmerksam zuhören und gut gemeinte Hinweise ungehört verhallen? Es könnte sich für Sie lohnen, darüber nachzudenken, ob Sie kritische Hinweise überhören, weil Sie bereits Ihre eigene Lieblingslösung im Kopf haben.
Vielleicht reagieren Sie auch genervt oder aggressiv auf Kritik. Unter starker Anspannung und Termindruck reagieren viele Menschen so und nehmen sachliche Kritik persönlich. Das führt dann zu einem sich selbst verstärkenden Teufelskreis: Sie sind unter Druck. Ihre Mitarbeiter spüren das und weichen Ihnen aus. Sie fühlen sich allein gelassen und bringen fertige Lösungen ins Gespräch, um Zeit zu sparen. Ihre Mitarbeiter werden vorsichtig und halten ihre Meinung zurück, weil sie keine Angriffsfläche bieten wollen. Sie erhalten kein Feedback und so geht es weiter, immerfort.
Sie können dem entkommen, indem Sie in fünf Schritten vorgehen:
- Präsentieren Sie die Aufgabenstellung möglichst verständlich. Machen Sie dabei deutlich, dass Sie für eine gute Problemlösung die Mithilfe und Vorschläge aus dem Team wünschen. Geben Sie den Mitarbeitern die Gelegenheit, Fragen zu stellen, um das Problem und die Hintergründe zu verstehen. Nehmen Sie sich Zeit dafür.
- Sammeln Sie die Vorschläge auf einem Flipchart, damit es alle sehen können. Halten Sie sich mit eigenen Vorschlägen zurück. Sie können sich entspannen, denn meistens werden Ihre Mitarbeiter ohnehin die richtigen Ideen entwickeln. Haben Sie Geduld, auch wenn es am Anfang noch zäh ist.
- Diskutieren Sie die Lösungsvorschläge gemeinsam mit dem Team. Bitten Sie um eine Bewertung der Vor- und Nachteile. Meist wird dabei schon erkennbar, welche Lösung die beste ist. Ihre Entscheidung ist dann sehr gut abgesichert und für alle Beteiligten nachvollziehbar.
- Dann müssen Sie nur noch die zur Umsetzung der Lösung erforderlichen Schritte mit dem Team festlegen. Achten Sie dabei auf eine gerechte und sinnvolle Aufgabenverteilung.
- Zum Abschluss drücken Sie Ihren Dank aus für die Beiträge und die gute Unterstützung.
Sie werden sehen, dieses Vorgehen funktioniert nach einigen Versuchen immer besser und Ihre Mitarbeiter werden aktiver. Das entlastet Sie, und Sie können sich mehr der Führung und Wertschätzung Ihrer Mitarbeiter widmen.
Matthias Martens, Jahrgang 1964, war zehn Jahre Personalleiter im Otto-Konzern, bevor er sich 2006 für die Selbstständigkeit entschied. Heute begleitet der Inhaber einer Outplacementberatung als Berater und Coach vor allem Menschen in der Lebensmitte, die sich beruflich neu orientieren wollen oder müssen. Alle Kolumnen von Matthias Martens Mail an den Coach