
Kampagne der Texterschmiede: "Wer Bescheid weiß, will es ändern"
Was mit Werbung Nichts für schwache Nerven
- Die Schule: Flaggschiff der Texter-Ausbildung
Frage: Den vollen Arbeitstag in einer Werbeagentur rackern, dazu abends einige weitere Stunden lernen, debattieren, über Ideen brüten, und das auch noch ohne Einkommen - wäre das nicht ziemlich dämlich, wenn doch andere junge Werber zwecks Ausbildung ein bezahltes Traineeprogramm absolvieren?
Radio Eriwan antwortet: im Prinzip ja. Aaaaber...
Die Hamburger Texterschmiede verlangt so einiges von ihren Schülern. Dafür bietet sie auch viel. Die Texterschmiede ist einige von wenigen deutschen Einrichtungen, die Werber außerhalb von Hochschulen ausbilden, und rivalisiert vor allem mit der Miami Ad School. Gegründet wurde sie Ende der neunziger Jahre, weil einige Hamburger Agenturen die Schwächen der Nachwuchsförderung wurmten. Also gründeten sie die Texterschmiede, sie sollte es fortan besser machen.
Die Texterschmiede ist ein gemeinnütziger Verein. Heute zählen über 70 Unternehmen zu den Fördermitgliedern, darunter viele namhafte Agenturen wie BBDO, fischerAppelt, Grey, Jung von Matt, Kolle Rebbe, Scholz & Friends, Serviceplan oder Zum Goldenen Hirschen. Und einige Firmen aus der Wirtschaft, neben Ikea oder Otto auch - surprise, surprise - Beate Uhse.
Vorteil dieser Konstruktion: eine Standleitung zu wichtigen Köpfen der Branche. Die Förderer sind nicht nur Sponsoren, sie mischen auch im Schulalltag als Dozenten mit. Zudem engagieren sich Texter und Agentur-Geschäftsführer, Kreativdirektoren und Werbefachleute bei den Prüfungen - und halten stets Ausschau nach Talenten.
- Die Ausbildung: Wer texten will, muss leiden
"Berater haben BWL studiert. Artdirektoren kommen mit Mappen von Grafikakademien oder waren auf der Kunsthochschule", schreibt die Texterschmiede. "Aber woher kommen Texter? Die Leute, die man eigentlich meint, wenn man 'Werber' sagt?"
Aus dem Hamburger Institut natürlich, soll die Antwort lauten. Geschmiedet wird dort mit einem strammen Programm. Ein Jahr dauert die Ausbildung. Tagsüber arbeiten die Jungtexter zweimal sechs Monate lang in Agenturen; die Praktika vermittelt die Texterschmiede. Abends steht viermal wöchentlich für je drei Stunden Unterricht an - in allen Facetten der Werbewelt, vom Online-Texten bis zu Katalogen, vom Dialog-Marketing bis zum Corporate Publishing. Haus- und Semesterarbeiten, in denen neue Kampagnen entstehen, kommen hinzu. Und Klausuren auch, immer unter Anleitung und Beobachtung von Praktikern der Werbebranche.
In Schonhaltung schafft man dieses Training nicht, eher mit einem robusten Gemüt. Arbeitstage von 12 bis 14 Stunden bei ständigem Kreativitätsdruck sind üblich - im Agenturalltag von Werbetextern geht es ja nicht anders zu, die Branche springt recht rüde mit ihren Einsteigern um. Dafür winken am Ende gute Berufschancen. Nach Angaben der Texterschmiede glückte 85 Prozent der bisher über 500 Absolventen der Berufseinstieg auf Anhieb.
Umsonst ist die Ausbildung nicht: Die Texterschmiede nimmt monatliche Gebühren von 305 Euro. Zugleich honorieren die Agenturen die Praktika mit 350 bis 400 Euro pro Monat. Für den Lebensunterhalt geht es also ans Ersparte; einem von 44 Schülern pro Jahrgang wird die Gebühr erlassen.
- Die Projekte: "Wer Bescheid weiß, will es ändern"
Im Unterricht entwickeln die Hamburger Jungtexter häufig Werbestrategien und -kampagnen am lebenden Beispiel. Die 41 Teilnehmer des aktuellen Jahrgangs zum Beispiel beschäftigten sich für den Hamburger Verein Dunkelziffer mit dem Thema Kindesmissbrauch und entwickelten elf Konzepte; die drei besten wurden dem Verein präsentiert.

Kampagne der Texterschmiede: "Wer Bescheid weiß, will es ändern"
Besonders gelungen: die schlichten, aber eindrucksvollen Textmotive von Timo Fiebig, Dominik Schreiber, Jan Skordos und Lukas Weber mit Fakten über Missbrauch und dem Claim "Wer Bescheid weiß, will es ändern" (siehe Fotostrecke).
Außerdem entwickelten Text-Talente Postkarten zum Thema Zivilcourage und realisierten für den DFB Sports zur Fußballweltmeisterschaft der Frauen. Beim Video "Mitspielen" machen einige Nationalspielerinnen und Manuel Neuer mit, bei "Die Freundinnen" Steffi Jones, spielen ihre Rollen allerdings ein wenig ungelenk.
- Die Prüfung: So geht's hinein
Unter den jährlich rund 250 Bewerbern pro Semester siebt die Texterschmiede gründlich - mit einem Klassiker, dem Copy-Test, wie ihn auch viele Agenturen verwenden. Voraussetzungen: abgeschlossene Schulausbildung, Alter 18 bis 32 Jahre, und "Du beherrscht die deutsche Sprache (und nicht sie Dich)". Die 60 ideenreichsten Kandidaten absolvierten einen weiteren Kreativtest und ein persönliches Gespräch, 44 starten Anfang Oktober in die Ausbildung. Für den nächsten Jahrgang bewerben kann man sich noch bis zum 31. Mai.
Weitere Infos gibt es auf der Homepage der Texterschmiede. Dort stehen auch die Aufgaben für den aktuellen Copy-Test.
Aber welche Lösungen überzeugen die Juroren? Einige Beispiele aus den Prüfungen der letzten Jahrgänge:
Ja, ist denn heut schon Weihnachten?
- Die Aufgabe: Der Weihnachtsfunkspot
Der Telefonanbieter "Deal-On" bietet vom 1. bis 26.12. eine Null Euro-Flatrate auf alle Telefonate an, in denen im Gespräch das Wort "Weihnachten" fällt. Bitte verfasse einen Funkspot, der dieses Angebot bewirbt und nicht länger als 30 Sekunden ist.
- Eine Lösung: Funkspot "Völlig umsonst"
(Telefonsituation: weibliche, sehr prollige Stimme erzählt am Telefon)
"Ja du und er so was willste denn zu Weihnachten und ich so keine Ahnung und er so ja aber was wünschte dir und ich so weiß nicht is jetzt schon Weihnachten oder wie und er ja ok aber halt so was wünschen könntest dir ist ja schließlich bald Weihnachten und ich so halt mal schauen und so weil ich hab keine Ahnung wegen Weihnachten und so und er so ja klar und ich so wie jetzt und er so ja klar und ich so naja weiß nicht und er so ok dann gib mir Bescheid und ich so ja sicher Mann und er so ja ja und ich so mal schauen und er so Weihnachten ist ja bald und ich so ja Mann echt so keine Ahnung und er so ne du und ich so auch ne Mann ja ok du..." (Gespräch faded aus).
(Off-Stimme)
"Dieses Gespräch eben war völlig umsonst. Jetzt vom 1. bis zum 26. Dezember Weihnachten im Gespräch erwähnen und das Telefonat ist gratis. Deal on. Für sinnvollere Weihnachten."
Kick it!
- Die Aufgabe: Das Tipp-Kick-Banner
Am 23.11. findet in Hameln das deutsche Tipp-Kick-Pokalendspiel statt. Texte ein Banner, der zum Besuch der Veranstaltung und zum Reservieren von Eintrittskarten aufruft. Die Banner werden auf www.kicker.de geschaltet.
- Eine Lösung:
"Spieler groß wie eine Flasche leer."
23.11. Tipp Kick Pokalendspiel in Hameln. Karten reservieren. Dann haben fertig.
Und Paulus schrieb an die Philister: Hört auf mit dem Chips-Geknister
- Die Aufgabe: Der Kino-Spot
Es gibt nichts Schlimmeres, als im Kino zu sitzen und neben sich eine Chipstüte mit gefühlten 120 Dezibel rascheln zu hören. Damit man trotzdem im Kino Chips knabbern kann, hat Chio kürzlich die ersten knisterfreien Chips entwickelt. Sie werden nicht in der Rascheltüte, sondern im Karton geliefert. Schreiben Sie bitte einen Kinospot (max. 45 Sekunden, ca. 1 DIN-A4-Seite) für die knisterfreien Chio-Chips.
- Eine Lösung:
(Portraitshot)
Wir sehen einen faltigen, nach vorne starrenden Mann von circa 60 Jahren, der mit der linken Hand seinen Kopf abstützt. Mit seiner rechten Hand "stopft" er sich gelangweilt große Portionen Chips in den Mund und kaut diese genüsslich, ohne dabei Knistergeräusche zu erzeugen. Der Mann sitzt in einem abgedunkelten Raum. Sein Gesicht ist nur minimal beleuchtet. Im Hintergrund hören wir durchgängig einen typischen Krimimonolog eines Mannes:
"Natürlich haben wir uns auch mal gestritten. Aber ich habe ihr nie vorgeworfen, dass sie mich mit diesem jüngeren Kerl betrogen hat. Sie war durch und durch meine Traumfrau. Wissen Sie, für mich war es mehr als nur Liebe. Ich hatte das Gefühl, in ihr gefunden zu haben, was ich über zehn Jahre suchte. Aber dann sagte sie mir vergangenen Freitag am Bahnhof, dass sie sich in einen anderen verliebt hat. Ein Arzt. Naja, und als der Zug kam, habe ich sie aus Versehen auf die Gleise geschubst. Das war ja keine Absicht."
Der Mann isst seine Chips und verdreht dabei genervt die Augen.
(Kamera geht auf)
Der alte Mann entpuppt sich als Priester. Er trägt eine Kutte, ein Kreuz um den Hals und sitzt breitbeinig in seinem Beichtstuhl. Der Krimidialog stammt auch nicht aus einer Filmszene. Es ist ein Bußetuender, der den Pastor um Vergebung bittet:
"Ich bitte um Vergebung, Hochwürden."
Der Priester hört kurz auf, die Chips zu essen, lutscht seine Finger ab und malt mit der rechten Hand ein Kreuz in die Luft und sagt ohne Betonung.
"Ego te absolvo."
Off: Halleluja! Die neue Chio Nocrackle. Knistern nicht, nerven nicht.
Building statt Bildung
- Die Aufgabe: "Gala"-Onlinewerbung
Das People-Magazin "Gala" (Claim: Eine Klasse für sich) möchte das Heft im Internet bewerben. Und zwar auf den Seiten www.bundestag.de und www.extrem-bodybuilding.de. Denken Sie sich bitte für beide Seiten jeweils ein lustiges Banner aus.
- Eine Lösung:
1. www.bundestag.de
Banner im "Skyscraper"-Format,
Motiv: Personen in Abendgarderobe (Mann und Frau) ohne Kopf;
im unteren Teil des Banners Schaltflächen, wie bei einem einarmigen Banditen;
Druck auf die "Start"-Taste, und Köpfe der Kabinettsmitglieder beginnen zu kreisen (wie beim Automaten);
per Zufallauswahl stoppt der Kreis und ergibt jeweils ein Paar der Abgeordneten in Robe und Smoking.
Spruch: "Interessant auch nach Dienstschluss. Mehr in Gala - Eine Klasse für sich!"
2. www.extrem-bodybuilding.de
Skyscraper; Motiv: Arnold Schwarzenegger, Ralf Möller, Henry Maske, Regina Halmich, Steffi Graf... in Sportkleidung. Bei Mouse-over in Anzug/Abendkleid.
Spruch: "Auch gesellschaftlich am Drücker! Mehr in Gala - Eine Klasse für sich!"