
Weltfrauentag Deutschland, das traurig funzelnde Schlusslicht


Vielfalt? Fehlanzeige
Foto:Lisa Kling / Moment RF / Getty Images
Die gute Nachricht zum 111. Geburtstag des Weltfrauentags zuerst: Es gibt inzwischen Chefinnen in Deutschland! Im deutschen Leitindex waren dank der neuen Vorstandsquote im vergangenen Jahr 42 Prozent der Neubesetzungen von Toppositionen weiblich. Der Frauenanteil im Dax wuchs in Folge von 15,3 auf 19,1 Prozent – ein Rekord. Die Einserschüler in der DAX-Familie mit jeweils 40 Prozent Frauen in den Vorstandsbüros sind Continental, Fresenius Medical Care und Siemens Healthineers.
Was jedoch nicht heißt, dass nun plötzlich überall eitel Sonnenschein herrscht. Deshalb jetzt zur schlechten Nachricht: Insgesamt sind nach wie vor 199 der 246 DAX-Vorstände Männer. Zum 1. Januar 2022 hatten acht der 40 Unternehmen – Brenntag, Hello Fresh, Linde, Porsche, Delivery Hero, Symrise, Sartorius und MTU – keine einzige Dame im Vorstand.
Und da, wo das Gesetz nicht greift, also zum Beispiel in großen Teilen des MDAX, ist alles wie gehabt. Insgesamt wurden dort laut einer Erhebung der Personalberatung Russell Reynolds im vergangenen Jahr nur fünf Frauen neu in die Vorstandssessel berufen. 29 der 50 MDax-Unternehmen hatten zum Jahreswechsel null Frauen im Vorstand. Der Frauenanteil auf oberster Führungsebene stieg minimal von 11 auf 11,7 Prozent – im internationalen Vergleich ein traurig funzelndes Schlusslicht.
Wenig innovative Innovatoren
Richtig bedenklich ist die Situation in den Start-ups. Obwohl nach außen jung und innovativ wirkend – im Inneren wirken dieselben Muster wie in der verknöcherten Deutschland AG: die Buddies holen ihre Buddies in den Vorstand. Daten der Stiftung AllBright , die sich für mehr Diversität in Führungspositionen einsetzt, zeigen nun: Die Neuzugänge auf dem Parkett »ziehen in jedem Jahr zuverlässig den Frauenanteil in den Vorständen der 160 Börsenunternehmen nach unten«.
Wer in den vergangenen fünf Jahren neu in die Börsenindices aufstieg, hatte im April 2021 in den Vorständen einen Frauenanteil von lediglich 10,2 Prozent. In den Unternehmen, die in den vergangenen 15 Jahren gegründet wurden und die nun börsennotiert sind, liegt der Frauenanteil in den Vorständen bei 5,4 Prozent.
AllBright erklärt diese Zahlen mit dem Verhalten der Risikokapitalgeber, die dafür sorgen, dass »in der Regel keine Ressourcen auf eine strategisch-vielfältige Rekrutierung verwendet werden, sondern weitgehend aus dem bestehenden Netzwerk rekrutiert wird«. Die Innovatoren sind also keineswegs besonders innovativ. Sie sind schlimmer als der Bestand.
Warum der Weltfrauentag wichtig ist
In den Aufsichtsräten der Konzerne jedoch sieht es deutlich besser aus – gilt dort doch für viele schon seit geraumer Zeit eine gesetzliche Frauenquote von 30 Prozent. Zahlen lügen nicht und sie besagen: Die gesetzlichen Frauenquoten für Aufsichtsrat und Vorstand börsennotierter Gesellschaften wirken. Doch wo sie nicht greifen, entwickelt sich die Veränderungsbereitschaft im Schneckentempo.
Laut Wiebke Ankersen, AllBright Deutschlandchefin, zeigt die Erfahrung aus den Kontrollorganen, dass der Elan hin zu weiblichen Neubesetzungen spürbar nachlasse, »sobald ein gesellschaftlich einigermaßen akzeptiertes Niveau erreicht ist«. Das macht den Frauentag zu einem guten Anlass, über den Tellerrand zu blicken und das in Deutschland Erreichte mit den Resultaten in anderen Industrieländern zu vergleichen. Und um dann zu verstehen, dass Frauen im norwegischen, finnischen, schwedischen, französischen oder britischen Topmanagement so viel verbreiteter, so viel akzeptierter sind als bei uns.
Wenn es den Herren zu dämmern beginnt, dass dies kein Wettbewerbsnachteil ist – im Gegenteil! – ist das oft der erste Schritt zu ernst gemeinter Veränderung.