Traumarbeitgeber Das süße Gift der Büros

Abenteuerspielplatz Büro: Games-Room bei Google in Hamburg
Foto: Google DeutschlandHelmut Kohl, der ewige Kanzler, hatte von der Arbeitsmoral seines Volkes keine hohe Meinung: Er bezeichnete Deutschland 1993 als kollektiven "Freizeitpark". Das klang, als machten die Mitarbeiter pausenlos Urlaub, in der Firma und außerhalb.
Die visionäre Kraft dieses Kanzlerwortes wurde von Managern erst später erkannt. Mit dem Internet-Boom zur Jahrtausendwende hat eine neue Ära der Arbeit begonnen: Immer mehr Firmen machen tatsächlich auf Freizeitpark, inspiriert von US-Arbeitgebern wie dem Suchmaschinen-Giganten Google. Tischtennisplatten schleppen sie herbei, Fitnessstudios richten sie ein, Kicker verteilen sie über die Flure. So viele Gemälde hängen an den Wänden, dass kein Mensch mehr ins Museum muss. Der Nachwuchs wird im firmeneigenen Kindergarten versorgt, das reparaturbedürftige Auto direkt vom Firmengelände abgeholt, der Lebensmitteleinkauf auf Wunsch erledigt. Und wenn es irgendwo zwickt oder drückt, springt sofort der Betriebsarzt herbei.
Das Firmengebäude gleicht einem Verwöhntempel: Ein Masseur knetet Verspannungen weg. Sanfte Musik flutet die Aufenthaltsräume. Sessel laden zum Dösen ein, Flipperautomaten zum Spielen, exotische Leinwände zum Träumen. Überall stehen Schalen mit Obst, warten frisch gepresste Säfte. Das Gebäude riecht nach Kaffee, nach Plätzchen, nach Freizeit - aber nicht nach Arbeit.
Die Firma als persönlicher Diener ihrer Mitarbeiter: als Kuschelecke, als Gratisrestaurant, als Freizeitpark.

Das verrückteste Büro der Welt: Im Baumhaus ist ein Schreibtisch frei
Mit dieser Tarnung verfolgen Unternehmen einen knallharten Zweck: So bequem soll es sein in ihren heiligen Hallen, so heimelig und so luxuriös, dass der Mitarbeiter gar nicht mehr nach Hause will. Denn was bietet ihm im Vergleich dazu seine Zwei-Zimmer-Wohnung - mal abgesehen von einer unausgeräumten Spülmaschine, einem überquellenden Briefkasten und einer schon mehrfach angemahnten Einkommenssteuererklärung?
Sogar Familienväter und -mütter ziehen es oft vor, die Arbeitsbesprechung mit den Kollegen um 20.00 Uhr im Fitnessraum fortzusetzen, statt sich zu Hause vom Kindergeschrei nerven zu lassen. Oder vom Rasenmäher des Nachbarn und von den ewig selben Vorwürfen des Partners: "Warum kommst du erst jetzt heim? Ist dir die Arbeit wichtiger als ich?"
Angriff vom Überraschungsgegner
Der moderne Arbeitsplatz ist ein Fliegenfänger: Mit seinem süßen Duft lockt er die Mitarbeiter an - und dann bleiben sie kleben. Gerne 60, 70 Stunden pro Woche. Die Angestellten lassen sich auf einen psychologischen Vertrag mit der Firma ein, aber sie lesen nur die Vorderseite: "Arbeit ist bei uns wie Freizeit". Auf der Rückseite übersehen sie den Umkehrschluss: "Freizeit ist bei uns wie Arbeit".
Die Rechnung der Firmen ist einfach: Wenn der Mitarbeiter jeden Tag zwei Gläser Saft trinkt und zwei Äpfel isst, kostet das schlappe zwei Euro. Wenn er jedoch zwei unentgeltliche Arbeitsstunden im Gegenzug spendiert, kann das locker 120 Euro bringen - ein gutes Geschäft. Und auch das Fitnessstudio rechnet sich schnell, wenn der Mitarbeiter am Samstag oder während seines Urlaubs nicht nur dort vorbeischaut (45 Minuten) sondern gleichzeitig im Büro (mindestens 90 Minuten).
Die Firma gaukelt eine Ersatzfamilie vor, auch durch Chefs, die sich von jedem duzen lassen, sogar von der Putzkolonne. Doch merkwürdigerweise driften alle Gespräche, ob im Massagesessel oder im Fitnessstudio, immer zum selben Thema: zur Arbeit. Wie ist der Stand des Projektes? Wer kennt einen Kontaktmann bei diesem Zulieferer? Wie ließe sich diese Präsentation noch aufhübschen?
Judas oder Sekten-Heini?
Schnell beugen sich die Köpfe wieder über einen Laptop, schnell werden neue Mails abgefeuert, Lieferanten angerufen, Strategien entwickelt, Tagungen gebucht, Meetings für 19.30 Uhr anberaumt. Die vermeintliche Freizeit ist nur ein Anlauf für den nächsten Sprung in die Arbeit.
Und der Chef spielt lediglich so lange Kumpel, bis die erste Abmahnung wieder an die wahren Machtverhältnisse erinnert. Und wie verträgt es sich eigentlich, dass die Bosse im Freizeitpark den Teamgeist beschwören und die Gleichheit predigen, während sie selbst in den schönsten Büros residieren, die dicksten Dienstwagen fahren und sich über die größten Zahlen auf dem Gehaltszettel freuen?
Wen solche Zweifel beschleichen, der bekommt Probleme. Denn im Freizeitpark entstehen oft Arbeitssekten, mit dem Chef als Guru. Wer Mitglied sein will, muss ums goldene Firmenkalb tanzen. Wehe dem, der seine Freunde außerhalb der Firma sucht, pünktlich Feierabend macht oder einsam durch Wälder joggt, statt sich von Laufband zu Ergometer über den Stand des Projektes auszutauschen!
Ein solcher Judas wird mit der Höchststrafe belegt: Er fliegt aus der Sekte. Und spätestens im Kündigungsschreiben hat er seinen Chef als Duzfreund verloren: "Leider müssen wir uns von Ihnen trennen."
Der Artikel ist ein gekürzter Auszug aus Martin Wehrles Buch "Bin ich hier der Depp? - Wie Sie dem Arbeitswahn nicht länger zur Verfügung stehen". Mehr davon demnächst auf KarriereSPIEGEL.