Tipps von den Karriereberaterinnen Wie kann ich meine Mitarbeiter im Homeoffice gerecht beurteilen?



Homeoffice (Symbolbild): Mitarbeiter aus der Distanz zu beurteilen ist nicht einfach
Foto: Willie B. Thomas / Getty ImagesHagen, 51, fragt: »Als Leiter des deutschen Vertriebs für ein US-Pharmaunternehmen führe ich erfolgreich ein wachsendes Team. Die Leistung meiner Leute konnte ich eigentlich immer gut einschätzen. Nur jetzt, da ich sie kaum mehr persönlich sehe, frage ich mich, wie ich die nicht so offensichtlichen, »weichen« Faktoren meiner Leistungsträger:innen beurteilen soll, wie etwa ihr Stimmungsmanagement oder ihre Vorbildwirkung.«
Dorothea Assig und Dorothee Echter sind Beraterinnen für das internationale Topmanagement, Konferenzrednerinnen und Autorinnen von Fachartikeln und Fachbüchern. Dazu zählen »Freiheit für Manager« und »Ambition. Wie große Karrieren gelingen«. Ihr jüngstes Buch: »Eines Tages werden sie sehen, wie gut ich bin! – Wie Karrieremythen Ihren Erfolg blockieren und wie Sie dennoch weiterkommen.« Ariston Verlag. In ihren Beiträgen gehen sie besonders auf Probleme von Führungskräften ein. E-Mail an karriere.leserpost@spiegel.de schreiben – Stichwort Assig und Echter
Lieber Hagen,
dies ist eine Frage, die sich auch Ihre CEO und Ihr Personalmanager stellen, und die alle weitsichtigen Führungspersonen bewegt. Ein Thema, zu dem intensiv nach Lösungen gesucht wird, denn die Entwicklung geht hin zu hybridem Arbeiten: Ihr Team arbeitet zum Teil von zu Hause oder unterwegs aus. Dass alle gemeinsam im Büro sind, wird die Ausnahme sein. Die neue Zeit verlangt nach neuen Beurteilungsverfahren. »Harte« Daten, etwa aus der Balanced Score Card, oder Kennzahlen etwa aus dem Verkauf, Pünktlichkeit von Ergebnissen, die Qualität von Online-Präsentationen lassen sich online gut beurteilen. Je anspruchsvoller der Job, desto entscheidender sind die »weichen« Dimensionen. Das gilt ganz besonders im Vertrieb:
Welche Stimmung stellt jemand mit Kundinnen, Teamkollegen, Interessenten her? Sind es eher Zuversicht, Erfolgsgewissheit, Dankbarkeit und Vertrauen, allesamt Erfolgsfaktoren? Oder überwiegen Zweifel, Konkurrenz, Stress, Druck und Unsicherheit, die Verkaufszahlen schmelzen lassen?
Ist jemand im Verhalten ein Vorbild? Also selbst erfolgreich? Ambitioniert? Engagiert? Verkörpert jemand in der Zusammenarbeit die Werte des Unternehmens und überträgt sich sein oder ihr positiver Arbeitsstil auf alle anderen? Findet jemand positive Worte zum eigenen und zum Erfolg der anderen?
Höchstleistungen entstehen durch positive Spiegelung. Deshalb ist unser Rat, dass Sie möglichst unvoreingenommen und wertschätzend gestimmt in Kontakt mit jeder und jedem Einzelnen in Ihrem Team gehen.
Bleiben Sie neugierig
Verlassen Sie sich dabei nicht nur auf Ihr Gefühl – Achtung, es könnte ein Vorurteil sein –, sondern auf den Gesprächsprozess. Bleiben Sie neugierig, unterstellen Sie positive Absichten. Hören Sie gut zu. Erkunden Sie gemeinsam mit Ihrem Gegenüber, wie sie oder er den eigenen Arbeitsstil, die eigene Ambition, das eigene Talent nutzt und entwickelt und wie sich dies auf das Team, auf die Kunden, auf Vorgesetzte auswirkt. Stellen Sie Ihren Leuten in Einzelgesprächen diese und ähnliche Fragen:
Was war Ihr größter Erfolg und welches Ihrer Talente hat Ihnen dabei geholfen? Wie wirkt sich das auf die Stimmung im Team aus – haben Sie gefeiert? Gedankt? Wie?
Was war die größte Schwierigkeit, die Sie überwunden haben, mit welchen Kompetenzen ist Ihnen das gelungen? Wie hat sich das auf das Team ausgewirkt? Welches Feedback haben Sie dort erhalten?
Welche positiven emotionalen Reaktionen erfahren Sie von anderen?
Wie können Sie Ihre persönliche Wirkung weiter ausbauen?
Wie würden Sie Ihren persönlichen Erfolgsstil beschreiben? Welche Beispiele gibt es dafür?
Wie wirkt sich Ihre Art zu arbeiten, zu führen, zu verkaufen aus? Ist eine zuversichtliche Erfolgsstimmung in Ihrem Team entstanden? Wie reißen Sie andere mit?
Wenn Sie ein unternehmensinternes Beurteilungssystem bedienen müssen, in das Sie für jede und jeden einen Wert in vorgegebenen Dimensionen eingeben sollen, wie Teamspirit, Eigeninitiative, Empathie und anderes – dann sollten Sie wissen, dass diese Systeme überall auf dem Prüfstand stehen, denn sie halten der Realität schon lange nicht mehr stand.
Es gibt keine Objektivität
Einen Erfolg zu erzielen, ist heute ein komplexer und sich kontinuierlich wandelnder sozialer und wirtschaftlicher Prozess. An ihm sind viele Menschen, Strukturen, Trends und Einflussfaktoren beteiligt. Da gibt es keine Objektivität, erst recht nicht in der Prognose: Wird diese Expertin in Zukunft erfolgreich sein? Erfolge sind immer einzigartig, individuell, interpretierbar, und nicht durch ein allgemeingültiges Kompetenzsystem abbildbar. Wir plädieren für ein System, das konsequent nur auf den Ausbau der individuellen Stärken der zu Beurteilenden ausgerichtet ist. Schließlich geht es nicht um die objektive Abbildung der Vergangenheit, sondern um die Steuerung hin zu mehr Höchstleistungen in der Zukunft.
Was können Sie konkret tun?
Geben Sie der Unternehmensleitung einen Alternativ-Vorschlag, wie Sie in Zukunft »beurteilen« möchten.
Bleiben Sie neugierig, stellen Sie konkrete Fragen, die Ihnen und Ihren Mitarbeitenden Gelegenheit geben, über sich selbst und die eigene Entwicklung positiv zu sprechen.
Falls es Bewertungsformulare gibt: Füllen Sie diese im besten Wissen, möglichst ermutigend, gemeinsam mit Ihren Mitarbeiter:innen aus.
Nehmen Sie das System als das, was es ist: Eine Hilfskonstruktion, die sich wahrscheinlich bald überlebt hat. Sie bleiben erfolgsgewiss.