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Frauen in der Wissenschaft Jetzt schreibt doch auch mal was!

Wissenschaftlerinnen werden in der Öffentlichkeit weniger wahrgenommen als ihre männlichen Kollegen. Schuld daran ist auch Wikipedia. Eine junge Biologin will das ändern.
Von Annick Eimer
Allison Mayle arbeitet als Krebsforscherin - und schreibt jetzt auch Wikipedia-Artikel

Allison Mayle arbeitet als Krebsforscherin - und schreibt jetzt auch Wikipedia-Artikel

Foto: Annick Eimer

Eigentlich hätte Isabella Karle der Nobelpreis in Chemie zugestanden. Sie hatte eine Methode entwickelt, die es Forschern ermöglicht, die dreidimensionale Struktur von Molekülen aufzuklären. Doch nicht sie, sondern ihre männlichen Kollegen - einer davon ihr Ehemann - bekamen dafür 1985 die höchste Auszeichnung in der Wissenschaft.

Das Forscher-Ehepaar Karle ist mittlerweile verstorben. Es gibt einen kurzen Wikipedia-Artikel über Isabella Karle und einen langen über ihren Mann. Und in keinem der beiden Artikel ist ihr entscheidender Beitrag zum Nobelpreis erwähnt.

Noch immer werden Wissenschaftlerinnen in der Öffentlichkeit weniger wahrgenommen als ihre männlichen Kollegen. "Daran hat sich bis heute nichts geändert", sagt Margarete Rossiter, eine Wissenschaftshistorikerin, die dieses Phänomen bereits 1993 beschrieben und es den "Matilda-Effekt" genannt hat - nach der amerikanischen Feministin Matilda J. Gage.

Eine junge Molekularbiologin aus den USA will diese Ungerechtigkeit nicht länger akzeptieren. "Mit der Wahl von Donald Trump ist mir klar geworden, dass wir uns darum kümmern müssen, dass Frauen nicht mehr übersehen werden", sagt Maryam Zaringhalam. Seit 2017 setzt sie sich dafür ein, Wissenschaftlerinnen in die Öffentlichkeit zu bringen. Ihr neuestes Projekt: dafür sorgen, dass es mehr und längere Artikel über Wissenschaftlerinnen auf Wikipedia gibt.

So funktioniert Wikipedia

Es gibt keine Zahlen darüber, wie viele Wikipedia-Einträge Wissenschaftlerinnen gewidmet sind. Wohl bekannt aber ist die Gesamtzahl der Artikel über Frauen und die lässt vermuten, dass Zaringhalam eine Sisyphusarbeit bevorsteht. 82 Prozent der 1,5 Millionen Biografien in der englischsprachigen Wikipedia handeln von Männern.

Zaringhalam wundert das nicht: "90 Prozent der Wikipedia-Autoren sind männlich, da ist es kein Wunder, dass es wenige Artikel über Frauen gibt." Gruppen wie WomenEdit oder Art+Feminism versuchen seit Jahren, weibliche Autorinnen zu fördern - mit Workshops zum Schreiben von Wikipedia-Einträgen. Und einen solchen hat auch Zaringhalam organisiert, in einem New Yorker Klub im angesagten East Village. Ein Laptop und eine Portion gerechtfertigte Empörung - mehr sei nicht mitzubringen zum "Female-Scientist-Edit-A-Thon", schrieb sie in der Einladung.

Der Klub Caveat verbirgt sich hinter einer schwarzen Tür, umgeben von Cafés. Ein schwarzgestrichener Flur führt in einen schummrig beleuchteten Kellerraum mit Bücherregalen, Sesseln, einer Bar. Obwohl es noch früh am Tag ist, werden Bier und Wein ausgeschenkt. Rund 20 Frauen sind gekommen, die meisten sind zwischen 20 und 30 Jahre alt und arbeiten in der Wissenschaft, so wie Krebsforscherin Allison Mayle.

Sie fügt als Erstes einem Artikel über die Neurobiologin Anne Churchland einen Preis hinzu, mit dem diese ausgezeichnet wurde. "Ich finde es auffällig, dass die Artikel über Frauen meist sehr kurz und nüchtern und die Artikel über Männer häufig sehr viel ausführlicher sind", sagt sie.

Alexandra Cohen

Alexandra Cohen

Foto: Annick Eimer

Alexandra Cohen, Neurowissenschaftlerin an der New York University, macht sich derweil an das Bearbeiten eines Artikels über die verstorbene Forscherin Patricia Goldman-Rakic. "Ich bin im Kopf durchgegangen, welche Forscherinnen in meinem Fachgebiet herausragend sind und habe geschaut, ob sie auf Wikipedia sind", erklärt Cohen ihre Auswahl. Sie hat ein paar Tippfehler korrigiert und den ganzen Artikel in Abschnitte mit Titeln gegliedert. "An eine noch lebende Wissenschaftlerin habe ich mich nicht rangetraut", sagt sie und lacht.

Nur drei Teilnehmerinnen wagen sich an diesem Tag an das Verfassen eines eigenen Beitrags. Ist das typisch Frau? Megan Wacha, Leiterin des heutigen Workshops und hauptberuflich Bibliothekarin an der City University New York, kann diese Frage nicht beantworten, weiß aber, dass es eine andere Hürde gibt, die sowohl männliche als auch weibliche Neu-Autoren vorsichtig sein lässt: Ihre Beiträge werden häufig von anderen Autoren wieder geändert oder gar gelöscht.

Megan Wacha

Megan Wacha

Foto: Annick Eimer

Yael Heller Jekogian kann das bestätigen. Sie hat schon Einträge auf Wikipedia verfasst, aber über ihrem Artikel über die Biologin Thandiwe Mweetwa aus Zimbabwe steht nun der Warnhinweis, der Eintrag entspreche wohl nicht den Richtlinien der Enzyklopädie. Es fehlten unabhängige Sekundärquellen, um die Relevanz des Beitrags zu belegen.

Und genau das, meint Bibliothekarin Wacha, sei das Problem: "Jeder Wikipedia-Artikel muss mit Referenzen belegt werden. Diese Referenzen sind häufig Artikel in Publikumsmedien. Und in denen werden Männer häufiger genannt."

Auch dieses Phänomen hat die Wissenschaft bereits beschrieben und ihm den Namen Matthäus-Effekt gegeben. Der Matthäus-Effekt ist so etwas wie ein überlegener Gegenspieler des Matilda-Effekts. Der Name spielt auf ein Bibelgleichnis an, das besagt, dass jemand, dem einmal Ruhm zuteil wird, mit noch mehr Ruhm überschüttet wird. Wer einmal in einem renommierten Magazin oder Fernsehsender zu Wort kommt, wird in Zukunft häufiger als Experte angefragt. Ein Effekt also, der Ungleichgewichte langfristig erhält.

"Leider tragen Frauen nicht selten selbst dazu bei, weil sie zu bescheiden sind", sagt Historikerin Rossiter. So passiere es nicht selten, dass Wissenschaftlerinnen einen Großteil zu einer Veröffentlichung beitragen - und dann als Erst-Autor ihr Chef über der Studie steht.

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