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Akademiker-Karriere: Forscher ohne Perspektive

Foto: David Ausserhofer

Wissenschaftler in Nöten Jung, talentiert, frustriert

Und plötzlich stehen sie vor dem Nichts: Deutsche Nachwuchswissenschaftler haben schlechte Aussichten auf einen langfristigen Job in der Forschung. Ihre Karriere können sie kaum planen, Familie und Privatleben kommen unter die Räder. Wer kann, flüchtet ins Ausland oder in die Wirtschaft.

Das saß. Vor ein paar Monaten reiste Helga Nowotny, die Präsidentin des European Research Council (ERC), nach Berlin, um sich mit jungen deutschen Spitzenforschern zu treffen. Es ging unter anderem um die Frage, was der Forschernachwuchs, den der ERC mit Millionenbudgets fördert, denn so braucht, um besser arbeiten zu können. Die Atmosphäre war freundlich, entspannt - bis der Biochemiker und Neurobiologe Jan-Erik Siemens ein brisantes Thema zur Sprache brachte: "Was in Deutschland fehlt, ist eine längerfristige Forscherperspektive."

Später stand es in der Zeitung, und es klang so, als geriere sich der gepäppelte Nachwuchs sehr selbstgefällig: Danke für die Kohle, aber was sind das denn für popelige Aufstiegschancen? Dass ausgerechnet Siemens, 39, das Thema auf den Punkt brachte, gab dem Ganzen besondere Würze.

Erst zwei Jahre zuvor war er mit einer anderen hochdotierten Auszeichnung aus San Francisco ans Berliner Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin geholt worden. Wissenschaftspolitiker verwiesen damals stolz auf Siemens, um zu zeigen, wie es gelingen kann, Supertalente zurückzulocken, die Deutschland zuvor den Rücken gekehrt hatten, um in Amerika Karriere zu machen.

Umsorgt im Ausland, frustriert im Inland

Markus Dahlem, 43, ist dagegen zum Absprung bereit. Sollte der Physiker und Neurowissenschaftler aus Berlin ein attraktives Angebot aus dem Ausland bekommen, wird er sehr wahrscheinlich annehmen. Er würde seine Koffer packen, Freunde, Kollegen und Wegbegleiter in Deutschland zurücklassen, um in einer neuen Forscherheimat Fuß zu fassen.

Die Chancen stehen nicht schlecht. Einmal hätte es schon fast geklappt. Er stand auf der Shortlist für die Besetzung einer Professur an der McGill University in Montreal. Die Gespräche mit den Kanadiern sind ihm noch gut in Erinnerung. Denn nicht nur ihm wurden neue berufliche Perspektiven angeboten. Die Auswahljury erkundigte sich auch nach seiner Frau, die Medizinerin ist, und klopfte ab, ob sich für sie nicht auch gleich etwas finden lässt.

"Die haben sich sofort gekümmert und sich richtig gefreut", sagt Dahlem. So viel Entgegenkommen kennt er aus Deutschland nicht. Stattdessen hangelt er sich seit einigen Jahren von einem Drittmittelprojekt zum nächsten. Aktuell arbeitet er an der Technischen Universität Berlin als Projektleiter in zwei Verbundprojekten der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) und des Bundesforschungsministeriums (BMBF). Seine Arbeiten im Bereich Hirnforschung gelten unter Experten als hervorragend. Einen festen, unbefristeten Arbeitsplatz im deutschen Wissenschaftssystem hat er damit noch lange nicht.

Ganz im Gegenteil: Trotz seiner wissenschaftlichen Reputation verdient Dahlem als Gastdozent und Projektleiter deutlich weniger als promovierte Nachwuchskräfte in seinem Team, die arbeitsrechtlich als Hochschulmitarbeiter angestellt sind und jeden Monat mit gut 800 Euro brutto mehr nach Hause kommen. Wie es weitergeht, wenn die Projekte in etwa drei Jahren auslaufen, weiß Dahlem nicht. Deshalb spielt er mit dem Gedanken, vielleicht doch lieber in Nordamerika eine Stelle anzunehmen, die ihm und seiner Familie eine verlässlichere Perspektive bietet als hierzulande.

Erst summa cum laude, dann Patchwork-Lebensweg

Um seine Lebensplanung geht es auch Jörn Niessing, 35. Geforscht hat er zuerst am Max-Planck-Institut für Hirnforschung in Frankfurt und später am Friedrich Mischer Institute for Biomedical Research in Basel. Seine Doktorarbeit hat er mit summa cum laude abgeschlossen. Und er hat - wovon die meisten Naturwissenschaftler träumen - bereits in "Nature" und "Science" publiziert.

Muss man sich mit solchen Referenzen Sorgen um seine Laufbahn machen? Niessing muss. Er kennt die Patchwork-Karrieren seiner älteren Kollegen. Er weiß, wie gering die Chancen in Deutschland sind, eine unbefristete Stelle an einer Hochschule oder einem außeruniversitären Forschungsinstitut zu bekommen. "Und man hat ja auch noch ein Privatleben", bemerkt der Nachwuchsforscher. Aus familiären Gründen kommt ein Job im Ausland für ihn nicht in Frage. Seine Freundin, ebenfalls Wissenschaftlerin, arbeitet zudem in Berlin. Beide führen eine Fernbeziehung, wie so viele ihrer Generation. Das zehrt an den Kräften. Angesichts all dieser Unsicherheiten stellt sich Niessing die Frage, ob eine Karriere in der Wissenschaft für ihn überhaupt in Frage kommt.

Unter Deutschlands Forschernachwuchs rumort es schon seit Jahren. Und der Unmut über die unsicheren Perspektiven wächst. Wer nicht zu den wenigen Glücklichen gehört und einen Lehrstuhl auf Lebenszeit ergattert, für den ist die Verweildauer im deutschen Wissenschaftssystem aufgrund des geltenden Wissenschaftszeitvertragsgesetz (WissZeitVG, siehe Infokasten) klar begrenzt.

Strikte Gesetzeslage

Wie praxistauglich die Rechtslage ist, hat das Forschungsministerium untersuchen lassen und kam zu dem Schluss, dass "die Arbeit in zeitlich befristeten Forschungsprojekten heute zum typischen Karriereweg der Wissenschaftler in Deutschland gehört", dass die Beschäftigungsmöglichkeiten verbessert wurden und dass Rechtssicherheit geschaffen wurde. Für Nachwuchsforscher sieht die Lage freilich anders aus. Planbare Karriereperspektiven gab es für junge Wissenschaftler in Deutschland eigentlich noch nie. In den letzten Jahren ist die Unsicherheit aber gewachsen. Statistiken zufolge waren 1995 rund 75 Prozent der Wissenschaftler in Deutschland befristet angestellt. Im Jahr 2009 lag ihr Anteil bei 83 Prozent.

Einfacher Einstieg, unmöglicher Aufstieg

Immerhin, der Einstieg in die Wissenschaft ist heute einfacher als je zuvor. So haben die größten außeruniversitären Forschungsinstitute wie die Leibniz-Gemeinschaft, die Helmholtz-Gemeinschaft und die Max-Planck-Gesellschaft in den letzten Jahren ihre Promotionsprogramme deutlich aufgestockt. Und im Zuge der Exzellenzinitiative, mit der Bund und Länder seit 2006 bislang rund 1,9 Milliarden zusätzlich in die deutschen Universitäten gepumpt haben, sind unzählige Doktorandenstellen entstanden. Nie gab es in Deutschland so viele Möglichkeiten zu promovieren wie jetzt. Die Zahl der wissenschaftlichen Mitarbeiter ist allein zwischen 2005 bis 2009 um ein knappes Drittel gestiegen.

Die Politik sucht durchaus nach bezahlbaren Lösungsmöglichkeiten, um mehr exzellente Jungforscher zu halten. Doch es ist nicht einfach, an den Hochschulen über Jahrzehnte gewachsene Strukturen umzukrempeln.

Reinhard Kreckel, früherer Leiter des Instituts für Hochschulforschung an der Uni Halle-Wittenberg, hat das deutsche Wissenschaftssystem lange analysiert. Sein Fazit: "Die Personalstruktur an den Hochschulen ist ein verkrustetes System, aus dem keiner so richtig rauskommt." Der Bund nicht, die Länder nicht, die Hochschulen selbst erst recht nicht. Kreckel sieht nur einen Ausweg: Die Personalstruktur müsse Schritt für Schritt verändert werden - mit neuen Stellenkategorien unter den wissenschaftlich Beschäftigten.

Keine klaren Kriterien für feste Stellen

Eine Idee dafür war etwa die Einführung von Juniorprofessuren im Jahr 2002. Sie sollten jungen Wissenschaftlern mit herausragender Promotion einen direkten Zugang zu unabhängiger Forschung und Lehre an Hochschulen bieten. Doch anders als etwa in den USA, wo Juniorprofessuren mit dem sogenannten Tenure Track ausgestattet sind. Das ist die Möglichkeit, sich über Publikationen und Evaluationen auf eine unbefristete Professur zu qualifizieren, die es in Deutschland nur in Einzelfällen gibt. Von den ursprünglich 6000 geplanten Juniorprofessuren wurden nur gut 800 eingerichtet. Zum Vergleich: Die Gesamtzahl der Professoren liegt bundesweit bei rund 22.000.

Auch die Bildungsgewerkschaft GEW forderte 2010 in einem Positionspapier "eine Reform von Personalstruktur und Berufswegen in Hochschule und Forschung". Tenure Track wird als wesentliche Voraussetzung angesehen, um unbefristete Beschäftigungsverhältnisse für den promovierten Nachwuchs zu schaffen.

Jan-Erik Siemens formuliert es konkreter: "Was in Deutschland fehlt, sind klare Kriterien, wie sich junge Forscher für eine unbefristete Stelle qualifizieren können. Wenn bestimmte Publikationen, Seminare und Projektmittel erbracht, diese begutachtet und für gut befunden wurden, muss man auch in der jeweiligen wissenschaftlichen Institution bleiben dürfen." Für sich selbst hofft er, dass sich im Zuge der angekündigten Fusion der Berliner Charité und dem Max-Delbrück-Centrum neue unbefristete Laufbahnmöglichkeiten ergeben.

Alle Parteien geloben Besserung

Die meisten Parteien im Bundestag machen sich für eine Änderung der Gesetzeslage stark. Die SPD will, dass weitere 2500 Professorenstellen und 1000 Juniorprofessorenstellen als Alternative zur Habilitation geschaffen werden und plädiert für mehr Tenure Track. Die Linke wendet sich gegen jede Befristung in Arbeitsverträgen in der Wissenschaft. Bündnis90/Die Grünen wollen eine Korrektur des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes, die "mehr Anreize" für unbefristete Stellen schafft. Nicht nur in der Opposition, auch in der Regierung hat man das Problem erkannt. Bei so viel Zuspruch ist GEW-Vorstandsmitglied Andreas Keller "vorsichtig optimistisch gestimmt".

Wann die Politik allerdings derlei Neuerungen in Angriff nimmt und wie sie dann konkret aussehen, ist völlig offen. So bleibt jungen Wissenschaftlern in Deutschland vorerst nichts, als weiter abzuwägen, ob sie auf eine riskante Forscherkarriere wetten - oder lieber nach Alternativen in der Wirtschaft suchen.

KarriereSPIEGEL-Autorin Christine Xuân Müller ist freie Journalistin in Berlin.

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